Die Frau, die als Fahrrad erwachte

Die Frau, die am Morgen als Fahrrad erwachte, trug die Haare bis über die Hüften. ...

Die Frau, die am Morgen als Fahrrad erwachte, trug die Haare bis über die Hüften.

Die Frau, die als Fahrrad erwachte im Bett eines Mannes, den sie das erste Mal zwei Wochen zuvor getroffen hatte, kam sich ein wenig ungelenk und etwas sperrig vor. Sie kannte einige Tier- und Verwandlungsgeschichten und wusste daher ihrem scheinbar veränderten Zustand keinerlei größere Bedeutung beizumessen.

Die Frau, die als Fahrrad erwachte, war eine selbsternannte Künstlerin, eine jener zweifelhaften Schönheiten mit spitzem Mund und leicht verletzlichen Brauen. Dass Sie sich Marlene Marlowe nannte, schien ihm von Anfang an lächerlich zu sein. Dabei kam sie aus einem Dorf in der Nähe von Rostock.

Sie hatte vermutlich das Talent, wie diese Leute mit großen Regenschirmen und einem umgeschnallten Grill, die man hierzulande des Öfteren vor Kaufhäusern antrifft. Marlene Marlowe. Ihr Name lag ihm noch Wochen danach wie Meerschaum auf der Zunge. Er vergaß sie erst einige Monate später an einem der Wühltische.

Die Frau, die neben ihm als Fahrrad erwachte, hatte er in einer der Kneipen kennen gelernt, in denen er bei angezündeter Tischplatte mit einem Tequila zu Boden sank. Dass er sie, die unterkühlt und unnahbar schien, trotzdem sofort ansprach, musste damit zusammen hängen. Er stellte sie in den Flur eines Abrisshauses, ohne eine Kette um sie zu legen. Irgendjemand wird sie zu sich nach Hause genommen haben und wahrscheinlich ruft sie vom Balkon oder der Veranda, dass sie in die Arme genommen werden möchte und einfach nur an der Seite eines Mannes einschlafen will.


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