Männerärsche in Chino-Hosen bewegen sich rhythmisch zur Musik, die Stimmung ist alkoholisiert. Zu später Stunde taucht in dieser toxisch aufgeladenen Atmosphäre eine junge Frau (Carey Mulligan) auf. Sie scheint betrunken bis zu dem Punkt, an dem sie nicht mehr in vollem Besitz ihrer Sinne ist. Ihre Lider sind schwer, ihr Blick ist abwesend und ihre Bewegungen unpräzise. Kurz: Der geübte Jäger erkennt sie als leichtes Opfer. Derjenige von den Anzugträgern an der Bar, der sich ihr nähert, ist aber keiner von denen, die ihren Anblick mit anzüglichen Sprüchen kommentieren. Es ist ein „nice guy“, der sich ihrer annimmt und fürsorglich darauf besteht, sie sicher nach Hause zu begleiten. Erst im Taxi rückt er mit seiner
er wahren Absicht heraus: Sie soll mit zu ihm kommen – zufällig liegt seine Wohnung auf dem Weg. Dort angekommen, scheint sein Plan aufzugehen. Sie landet auf seinem Bett, und er auf ihr. Erst, als er ihr den Schlüpfer abstreift, beendet sie das Spiel. Nüchtern, klar und deutlich gebietet sie ihm Einhalt.Promising Young Woman beginnt als minimalistischer Thriller. Die Kamera weiß immer genau, wo sie sein muss. Sie wechselt ihre Perspektiven schnell, sieht Reaktionen voraus. Es ist noch nicht ganz klar, wessen Masterplan die kausal ordentlich verketteten Ereignisse folgen, klar ist nur, dass es einen gibt. Leise, atmosphärische Sounds kündigen das kommende Unheil an, den unvermeidlich schrecklichen Verlauf der Dinge, den Horror, der seine Hauptfigur erwartet. Wissend fährt die Kamera vor der Rächerin her und sieht zu ihr auf. Das Gegenlicht am frühen Morgen verleiht ihr eine Aura. Nichts ist, wie es scheint. Schade nur, dass bald viel zu schnell klar wird, wie die Dinge liegen. Und dass der Film weder an Brüchen mit der Eindeutigkeit noch am Innenleben seiner Protagonistin ein wirkliches Interesse hat.Die Ausgangssituation ist voller Potenzial. Wer ist diese Frau, die sich als Opfer darstellt, um selbst zu jagen? In welche Gefahr wird ihr Vorgehen sie führen, und zu welchen düsteren Erkenntnissen die Zuschauenden? Das Muster, nach dem „Cassandra“ sich ihrer Beute nähert, ist immer gleich. Es geht ihr nicht darum, speziell diesem einen Mann einen Denkzettel verpassen. Es geht um die Rache am ganzen Geschlecht. Zumindest an jedem Mann, der ihr immer wieder aufs Neue den „proof of concept“ liefert, indem er ihre vermeintliche Schwäche ausnutzt. Andere kommen im Film aber auch gar nicht vor.Vergeltung und TraumaCassies Leben ist stehen geblieben, seit ihre beste Freundin im College Opfer einer Gruppenvergewaltigung wurde, deren Täter unbehelligt davonkamen. Aus der vielversprechenden jungen Frau von damals ist eine nicht mehr ganz so junge Frau geworden, für die die Rache für ihre Freundin zur Obsession geworden ist. Der Wunsch nach Vergeltung ist so stark, dass sie jede andere Weiterentwicklung in ihrem Leben blockiert. Für Freunde ist darin ebenso wenig Platz wie für eigene Wünsche oder Pläne. Sie ist seit Jahren gefangen im Wiederholungszwang – denn an die wahren Täter kommt sie nicht heran.Und während sie in immer neue Rollen schlüpft, um den Männern den Spiegel vorzuhalten, ist sie in ihrem eigenen Leben ein College-Girl geblieben. Mit pinken Flausch-Pullovern und blonden Fransen, die ihr neckisch ins Gesicht fallen. Sie lebt bei ihren wohlmeinenden, aber ahnungs- und hilflosen Eltern. Tagsüber steht sie im Café hinterm Tresen, statt, wie ihre ehemaligen Kommiliton:innen, als Ärztin Karriere zu machen. Statt eines Tagebuchs führt sie heimlich Strichlisten über die Männer, denen sie ihre Lektion erteilt hat. Diese Darstellung von Cassies ungelebtem Leben ist ein starkes Bild für ein Trauma. Perfekter Cast ist die mit der Rolle des netten Mädchens von nebenan assoziierte Carey Mulligan, deren wahres Alter der Hauptfigur die nötige Gebrochenheit verleiht.Die klare und sorgfältige Überzeichnung der Figur und der Barbiepuppenwelt, in der sie lebt, ist hübsch, so lange sie mysteriös ist. Jede Frisur, jedes Accessoire ist stimmig und kann symbolisch für ihren Zustand der Erstarrung interpretiert werden. Promising Young Woman hat großen Spaß an Cassies Verwandlungen, in denen unterschiedliche Frauen-Stereotypen abgearbeitet werden – von der Businessfrau zur Aufreißerin im hautengen Glitzerminikleid.Der Film lässt sich als postmodernes Märchen mit stilistischen Referenzen vom Thriller bis zur romantischen Komödie beschreiben. Die verwunschene Prinzessin begegnet bald einem Prinzen, einem echten „nice guy“. Vielleicht kann er sie erlösen. Immerhin trinkt er den Kaffee, in den sie hineingespuckt hat. Die irrationale Hoffnung, Cassie könnte von einem Mann – dem Erlöser seines Geschlechts – aus ihrer Rache-Obsession befreit werden, muss natürlich enttäuscht werden. Doch von da an gefällt sich der Film ein bisschen zu gut darin, Erwartungen zu enttäuschen. Das gelingt ihm zwar, aber er macht es sich damit viel zu einfach.Alles ist, wie es scheintStatt tiefer zu graben legt die wendungsreiche zweite Hälfte des Plots frei, dass die schöne Oberfläche die Essenz ist. Alles ist, wie es scheint. Cassie als Hauptfigur wirkt immer hohler, je weiter sie in ihrer Rache geht. Weitere Bedeutungsschichten sucht man unter der perfekt designten Fassade vergeblich.„Rape and Revenge“ heißt das Genre, in dem die Hauptfigur sich nach ihrer Vergewaltigung auf einen Rachefeldzug begibt. Promising Young Woman wurde dafür gelobt, dass es eine feministische Neuinterpretation des Genres vorlege – ohne Vergewaltigungsszenen, die sich dem männlich-lüsternen Blick darbieten. Nimmt man aber die Auflösung des Films ernst, in der die Hauptfigur erst posthum triumphiert, nachdem sie ihr Leben der Rache geopfert hat, ist die feministische Interpretation schwer nachvollziehbar.Wäre Promising Young Woman 2017 erschienen, hätte er Ausdruck eines kollektiven Aufschreis sein können. Als Reaktion auf die Enthüllungen um Harvey Weinstein und die vielen anderen, die bald folgten, hätte die Rachefantasie eine gewisse Kraft entfalten können. Als Film, der dazu beiträgt, verdrängte Realitäten ins öffentliche Bewusstsein zu katapultieren. 2020/21 aber liefert er keine neuen Blickwinkel mehr. Eher wirkt er wie das Dokument einer Zeit, in dem das Anprangern toxischer Männlichkeit mit Beifall rechnen konnte, noch bevor die Implikationen dieses spezifischen Rache-Narrativs hinterfragt wurden.Placeholder infobox-1
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