Verdun" ist die Mode-Adresse Nummer eins von Beirut; "Märtyrer Harb" liegt in der Hisbollah-Hochburg Haret Hreik, der libanesischen Hauptstadt. Welten trennen diese beiden Straßen. Welten, die sich manchmal jedoch berühren, zum Beispiel, wenn die Geschäfte mit Sonderangeboten locken. In schwarze Abayas gehüllte Mädchen aus Hisbollah-Town fahren dann in die Fashion-Meile zum Mango-Laden, um sich mit knappen T-Shirts und bunten Dessous einzudecken. In der Öffentlichkeit verhüllen sie Körper und Kopf mit einem schwarzen Umhang. Manche tragen sogar Stulpen um die Handgelenke, damit nur die Hände "nackt" zu sehen sind. Trotz der Sommerhitze tragen sie schwere schwarze Schuhe oder Nylonstrümpfe, wenn sie Sandalen anhaben. Zu Hause dagegen ist fast alles erlaubt, was das Designer-Herz erfreut. Frauenemanzipation auf islamisch?
Westliche Frauenrechtlerinnen halten nichts von dieser Art der "Emanzipation". Und die Musliminnen selbst? Die Frauen der Hisbollah stammen aus allen sozialen Schichten. Rada Shamseddine zum Beispiel hat an der amerikanischen Eliteuniversität Beiruts studiert, sie ist Vorsitzende einer Frauenorganisation. Imm Mohamad ist Hausfrau, sie hat mit 18 ihren Cousin geheiratet und ist nie zur Schule gegangen.
Der Islam verleiht der Frau die gleichen Rechte wie dem Mann, aber die Gesellschaft nimmt sie uns. Wir müssen hart darum kämpfen, die Männer werden sie uns nicht freiwillig geben", sagt Rada Shamseddine in fließendem Englisch. Sie ist Chemie-Lehrerin und arbeitet für die libanesische Hisbollah als Vorsitzende der "Organisation zur Unterstützung des islamischen Widerstandes". In ihrem abgedunkelten Büro stapeln sich Bücher, Fotos bedecken die Wand. Sie zeigen Frauen beim Kochen, Backen, Nähen und Feiern, "auf islamisch natürlich", betont Rada und zwinkert durch ihre große Brille. Nackte Haut wird nur auf reinen Frauenparties gezeigt, wenn die Mütter ihre Töchter vorführen wollen, zur Brautschau sozusagen. Abfeiern auf islamisch heißt: Männer und Frauen vergnügen sich getrennt, oder zumindest züchtig verhüllt, wenn beide Geschlechter aufeinander treffen. Sogar Scheich Nasralla, der Hisbollahführer, sei zur ersten Party der Widerstandsorganisation gekommen, erzählt Rada.
Gemeinsam mit anderen Frauen gründete die Lehrerin vor einigen Jahren diese Organisation, um die Hisbollah finanziell und ideell zu unterstützen. Die Parties wurden veranstaltet, um Geld zu sammeln. Ihre selbstgekochten Speisen verkauften die Köchinnen gewinnbringend; das Geld legten sie in Waffen an. Probleme mit dem Kriegsgeschäft hatte Rada offenbar nie. Auch wenn Ehemänner und Söhne im Krieg umgekommen sind. Zum Glück ist der Konflikt inzwischen beigelegt, nachdem sich die israelische Armee aus dem von ihr besetzt gehaltenen Südlibanon zurückgezogen hat. "Wir Frauen durften eben nie als Soldatinnen kämpfen und wir suchten nach anderen Möglichkeiten, unserer Miliz zu helfen. Deshalb gründeten wir die Organisation." Rada engagierte sich besonders in der Öffentlichkeitsarbeit. Vor kurzem lud sie die Frau des libanesischen Präsidenten Lahoud und andere Politikergattinnen zu einer Reise in den Südlibanon ein, um sie auf die Armut der dort lebenden Menschen aufmerksam zu machen. Die Chemielehrerin hat gute Kontakte zu den Politikern, denn ihr Mann sitzt als Abgeordneter der Gottespartei im Parlament. Obwohl sie selbst politisch in der "Widerstandsorganisation" aktiv ist, sagt sie: "Ich persönlich mag Politik nicht. Ich bin Lehrerin und habe als Ehefrau eines Abgeordneten meine repräsentativen Pflichten." Doch es könne sehr wohl sein, dass auch Frauen die Hisbollah im libanesischen Parlament repräsentieren. "Die Frauen sind fähig, alles zu machen, solange es nicht im Widerspruch zum Islam steht. Sie können auch Parlamentsabgeordnete werden, im Iran ist das ja schon Alltag."
Der Iran ist das Vorbild der Hisbollah-Frauen. Doch im Libanon sind sie noch nicht so weit. Schließlich sei die Hisbollah noch eine sehr junge Organisation, ungefähr 20 Jahre alt, entschuldigt sich Rada. Bis jetzt haben die Männer sämtliche Schlüsselrollen inne. Das sei aber nicht nur ein Problem der Hisbollah, sondern allgemein der libanesischen Gesellschaft. "Mit unseren Aktionen spielen wir eine aktive Rolle in unserer Gesellschaft, und vielleicht sitzen wir auch irgendwann im Parlament, aber das braucht Zeit", so die Lehrerin.
Den Begriff "Frauenemanzipation" verwendet Rada bewusst nicht, denn der sei negativ belastet. Sie kleidet sich nach den züchtigen islamischen Normen: Kopftuch, langärmliger Mantel in dunkel gehaltenen Farben. In der traditionellen muslimischen Gesellschaft könnten sich die Frauen nur durch das Tragen des Schleiers Respekt verschaffen, davon ist die Lehrerin überzeugt. Die weltoffeneren Libanesen nennen die schwarz umhüllten Hisbollah-Frauen "Ninjas", aber sie selbst sehen das anders. Der schwarze Umhang sei eben ihre Uniform, jeder könne sehen, dass sie zur Hisbollah gehöre
Im islamischen Frauenbildungszentrum dominieren die dunklen Gewänder. Nur ab und zu sticht ein buntes Kopftuch aus der Runde der studierenden Mütter und Töchter hervor. Die 36-jährige Leiterin des Bildungszentrums, Fadwa Farhat, erzählt von den Problemen der Frauen, eine Schulbildung zu erlangen: "In unserer Schule lernen Frauen und Mädchen die richtigen islamischen Verhaltensweisen. Oft ist das der einzige Grund, warum Männer ihnen erlauben, hier her zu kommen. Die meisten Ehegatten wollen nicht, dass ihre Frauen zur Schule gehen." Die Schule bietet außer Islamunterricht auch weltliche Fächer an, zum Beispiel Englisch und Computerkurse. Auch Mütter mit Kindern können kommen, die kleinen werden in einer Krippe betreut. Die größeren nehmen an Freizeitaktivitäten teil. Durch die Bildung bekämen die Frauen generell mehr Selbstvertrauen, meint die Schulleiterin und das sei die Grundvoraussetzung dafür, Aufgaben in der Gesellschaft zu übernehmen, die jenseits von Kind, Küche und "Kirche" stehen. "Wir wollen, dass die Frauen durch die Bildung ihr Potential entwickeln. Sie sollen ein größeres Bewusstsein dafür erlangen, was um sie herum passiert, auch in der Politik."
Fadwa ist eine sehr überzeugte Hisbollah-Anhängerin. Auf das Tragen ihrer Abaya ist sie stolz, schließlich würde Scheich Nasrallah das Tragen des schwarzen Umhangs gutheißen, sagt sie. In dem komfortablen, klimatisierten Büro kann sie sich so kleiden, ohne ins Schwitzen zu kommen - Handstulpen inklusive. In einer Ecke spielt ihre kleine Tochter. Wenn sie über die politische Zukunft der Hisbollah-Anhängerinnen nachdenkt, sind ihre Erwartungen jedoch noch sehr gedämpft: "Die Aufgaben, die Frauen übernehmen können, sind mit ihren Fähigkeiten verbunden. Bisher haben wir leider keine Frau in der Hisbollah gefunden, die sich als Abgeordnete eignen würde." Hoch sind die Ansprüche, die sie an eine weibliche Parlamentarierin stellt: Es sei nicht nur die Aufgabe der Politikerin, Reden zu halten, sondern sie müsse mit der Basis verbunden sein, eine aktive Rolle in der Gesellschaft spielen und das sei bis jetzt eben noch nicht möglich gewesen. Überhaupt sei es nicht das Ziel der Hisbollah, unbedingt eine Frau aus Prestigegründen ins Parlament zu bekommen. Wenn ein Mann die gleichen Aufgaben erfüllen könne, sollte er es doch tun. "Aber oft sind Männer nicht so sehr an Gerechtigkeit interessiert wie wir Frauen. Deshalb müssen wir aktiv werden." Fadwa erzählt von zwei historischen Frauengestalten der Schiiten: Fatima und Zeinab. Fatima wird als Tochter des Propheten Mohamad verehrt, Zeinab ist seine Enkelin. Der Bruder Zeinabs soll in der sogenannten Kerbala-Schlacht getötet worden sein, aber Mohamads Enkelin wollte sich dem unrechtmäßigen Herrscher nicht unterwerfen. Beide Frauen wären klug und gebildet gewesen und hätten sich für Gerechtigkeit eingesetzt, berichtet die Schulleiterin. "Wir wollen die Frauen über den wahren Inhalt des Korans aufklären, und darin steht geschrieben, dass sich sowohl Frauen als auch Männer bilden sollen." In traditionellen Familien werde das oft vergessen.
Während sich die Frauen im Bildungszentrum die richtigen Verhaltensweisen einer guten Muslima aneignen, sind die Aktivistinnen der "Organisation zur Unterstützung des Widerstandes" mit einer eher traditionellen Aufgabe betraut: sie sitzen in einer Nähstube an ratternden Maschinen und schneidern Kleider und Kissen für die nächste Verlosungsaktion. Aus dem Kassettenrecorder klingen Hisbollah-Lieder im Marschrhythmus. Die wurden eigens zum vermeintlichen Sieg über die israelischen Soldaten komponiert. Auf die Frage, was denn nun die wichtigste Aufgabe der Frauen sei, antwortet Rada: "Die Mütter müssen ihre Söhne darauf vorbereiten, Rebellen zu sein." Im Klartext heißt das: Die Mütter sollen ihre Söhne zu Soldaten gegen den israelischen Besatzer erziehen.
Selbst Napoleon sagte schon: hinter jedem starken Mann steht eine starke Frau", philosophiert Imm Mohammad. In ihren zittrigen Händen hält sie ein zusammengefaltetes Papiertaschentuch. Es ist heiß draußen, und mit dem Taschentuch wischt sie sich übers Gesicht. Imm Mohamad ist 52 Jahre alt, wirkt aber älter und zerbrechlich. Sie macht nicht gerade den Eindruck, als habe sie ihre Söhne zu Soldaten erzogen. Im Gegenteil: Die beiden Sprösslinge hätten die Aktivitäten bei der Hisbollah jahrelang vor ihr geheim gehalten. Lediglich eine gute Schulbildung wollte sie den Kindern mitgeben und eine gewisse Moral und Ethik, die eben im Einklang mit dem Islam steht. Das rote Plüschwohnzimmer schmücken Plastikblumen und Fotos ihrer fünf Söhne und drei Töchter, es gibt auch kleinere Bilder, darunter Chomeini und der Hisbollah-Führer Nasrallah. Ein gemaltes Portrait zeigt ihren Sohn Yussef, "mein Lieblingssohn", gesteht sie. Imm Mohamad nennt ihn "Märtyrer Yussef". Er starb mit 20 Jahren als Hisbollah-Kämpfer, genau wie ihr Ältester. Sie ist unkompliziert und offen, verfällt nicht gleich in die offizielle Hisbollah-Rhetorik, obwohl sie natürlich von der schiitischen Organisation überzeugt ist, ebenso davon, dass ihre Söhne das Richtige getan haben. Als die Israelis dann aus dem Südlibanon abzogen, hat sie gefeiert: "Das Blut meiner Söhne war also nicht umsonst. Wir sind ein würdiges Volk und haben unsere Freiheit wieder." Selbstverständlich trauert sie um ihre Söhne, besonders um ihren Liebling Yussef. Aber der Glaube habe ihr über die Trauer hinweg geholfen. "Märtyrer sind die Prinzen des Paradieses", das weiß sie aus den Reden Chomeinis. Aber wenn sie den Israelis gegenüber treten könnte, die ihre Söhne erschossen haben, sie würde ihnen die Augen auskratzen. Denn ihre Kinder seien ein Teil von ihr. Verzeihen kann sie nicht. Von der Hisbollah wird sie seit dem Tod ihrer Kinder materiell unterstützt, bekommt ein Monatsgehalt und kann sich kostenlos im Krankenhaus behandeln lassen. Auch psychologisch wird sie betreut. Schließlich gibt es Hunderte von Familien, die "Märtyrersöhne" haben. Gemeinsames Leid sei leichter zu ertragen.
Auf der Modemeile "Verdun" pulsiert das Leben. Die westlichen Girlies und die islamischen Mädchen sind zufrieden mit ihrem modischen Schnäppchenkauf. Aus dem Mango-Laden kommt eine junge Schiitin in schwarzem Umhang, stolz hält sie eine bunte Tasche mit dem Zeichen "MNG" in der Hand und schlendert in Richtung Auto, in dem ihr Vater wartet, vielleicht um sie nach erfolgreichem Einkaufsbummel zur nächsten Frauenparty zu bringen.
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