Die fetten Jahre nach der Vereinigung haben die Verlagshäuser unbeweglich und bequem gemacht. Statt auf guten Journalismus zu setzen, werden planlos Kündigungen verschickt
In den fünfziger Jahren war es schärfste Systemkritik, wenn der liberale Journalist Paul Sethe meinte, Pressefreiheit sei die Freiheit von 200 reichen Leuten. Mit einer Null weniger wäre das heute immer noch viel zu hoch geschätzt. Aktuell erleiden das die Beschäftigten des Berliner Verlages (Berliner Zeitung, Berliner Kurier), der von Gruner+Jahr (Bertelsmann) zu Holtzbrinck (Tagesspiegel, Die Zeit, Handelsblatt) verschoben wurde.
Auch wenn der Vorgang nur ein Symptom für eine neue umfassende Konzentrationswelle im Verlagswesen ist, verdient insbesondere die Geschichte der Berliner
hte der Berliner Zeitung unter publizistischen Gesichtspunkten größere Beachtung. Als nach der Eingemeindung der neuen Bundesländer die westdeutschen Großverlage daran gingen, das Imperium der alten SED-Bezirkszeitungen unter sich aufzuteilen, griff die Hamburger Bertelsmann-Tochter Gruner+Jahr nach dem Berliner Happen. Nach dem Hauptstadtbeschluss des Bundestages 1992 zugunsten Berlins wurde das allgemein für das beste Stück gehalten. Schnell war der Anspruch von der Berliner Zeitung als der "deutschen Washington Post" großspurig verkündet. Mit dem ehemaligen Spiegel-Chefredakteur Erich Böhme an der Spitze sollte publizistisch "nicht gekleckert, sondern geklotzt" werden. Gruner+Jahr verfügte zumindest über die nötige Kapitaldecke, um diesen Ehrgeiz über eine längere Strecke durchhalten zu können, auch wenn es dem Verlag an Erfahrungen mit Tageszeitungen mangelte.Während der Berliner Zeitungskrieg tobte, träumten Anfang 1997 zwei ehrgeizige Journalisten in Köln, der viertgrößten Stadt der Republik, davon, das dortige Monopolblatt Kölner-Stadt-Anzeiger zum "bundesweiten Blatt des Westens" zu machen. Es waren der Chefredakteur Martin E. Süskind (ehemals Süddeutsche Zeitung) und sein Stellvertreter Klaus Schrotthofer (ehemals Focus). Sie konnten darauf vertrauen, dass die satten WAZ-Verleger im Ruhrgebiet nicht nachziehen würden. Die sind über Jahrzehnte mit publizistisch schwachbrüstigen Titeln reich geworden und dachten nicht im Traum an einen Strategiewechsel. Dass sie mit ihren Käseblättern als Bremse des regionalen Strukturwandels wirken, ist ihnen ganz "betriebswirtschaftlich" wurscht.Süskind und Schrotthofer hatten die Rechnung jedoch ohne ihren Verlagsboss Neven DuMont gemacht. Auch der wollte lieber mit schlechten Zeitungen reich bleiben, als mit einer guten etwas weniger reich werden. So wechselten sie 1999, parallel zum Umzug von Parlament und Regierung, mit dem gleichen Ehrgeiz zur Berliner Zeitung. Das Ergebnis war jedoch das gleiche. Die Zeitung war nicht schlecht, die Auflage sank dennoch. Die Deindustrialisierung der Stadt kann durch die intellektuell und ökonomisch träge Masse der Regierungsbürokratie nebst zugehöriger Lobbyisten nicht ausgeglichen werden. Die chronische Nachfrageschwäche beim Leser- wie beim Anzeigenmarkt scheint unheilbar.Bis hierhin scheint es sich um eine Berliner Geschichte zu handeln. Tatsächlich hat das aktuelle Konjunkturtal, das in der Medien- und Werbebranche überproportional wirkt, fast alle Zeitungen auf dem falschen Fuß erwischt. Die guten Jahre seit der deutschen Vereinigung haben die Verlage saturiert und bequem gemacht. Jetzt, wo es auf neue Ideen, Kreativität und Qualität ankäme, sind sie unbeweglich.Den Löwenanteil des Anzeigenmarkts und also der Verlagseinnahmen bilden Stellen- und Immobilienanzeigen. Arbeits- und Immobilienmarkt sind beide bekanntermaßen in komplizierten Situationen. Hinzu kommt, dass auf beiden Märkten andere Vertriebswege (von "Vitamin B" bis zum Internet) zu Lasten der Zeitungen an Bedeutung gewinnen. Das war eine voraussehbare Entwicklung, mit der sich die Verlagsgeschäftsführer auch in den neunziger Jahren schon hätten auseinandersetzen können. Es spricht nichts dafür, das nun ihre Belegschaften ausbaden zu lassen.Die verkauften Auflagen der Zeitungen sinken ebenfalls. Betroffen sind alle, Boulevardzeitungen, regionale und bundesweite Blätter. Im ersten Quartal 2002 gab es zwei Ausnahmen: die Süddeutsche Zeitung und die Financial Times. Die Süddeutsche expandierte zu Jahresanfang mit einem neuen Regionalteil in Richtung Nordrhein-Westfalen. Sie gewann knapp 5.000 verkaufte Exemplare hinzu, ein bescheidener Erfolg, dessen Glanz erst im Vergleich zur Konkurrenz (FAZ, FR und Welt mit fünfstelligen Verlusten) erkennbar wird. Die Financial Times gräbt derzeit mit scharfem Recherchejournalismus dem Handelsblatt auf einem engen Markt das Wasser ab.Über Ereignisse in der nahen und fernen Umgebung kann sich der Leser heute ungleich effektiver im Internet informieren, wenn er die kürzesten Wege kennt, zu diesen Informationen zu kommen. Wachsende Medienkompetenz ist also eine Gefahr für jede schlechte Zeitung.Die besondere Qualität einer Zeitung kann darin liegen, die Ereignisse so zu analysieren und zu deuten, darüber einen Diskurs zu entfalten und Kontroversen zu organisieren, wie es der Leser allein mit dem Internet nicht schafft. Das verlangt von den Verlagen, mehr denn je gutes journalistisches und intellektuelles Personal anzuwerben, oder noch besser: auszubilden! Das kostet den Verleger Geld und es garantiert keinen Gewinn. Es ist aber der einzige Weg, eine Zeitung in der Konkurrenz überleben zu lassen.Die Strategie von WAZ (Einstellungsstop), Neven DuMont (kölscher Provinzialismus), FAZ (dreistellige Zahl von Kündigungen) und den meisten anderen kann dagegen mittelfristig zu ihrer Selbstabschaffung führen. Zwar müssten wir aus publizistischen und politischen Gründen über das Verschwinden so manchen Blattes keine Träne vergießen. So manches Vakuum könnte sich als Fenster der Gelegenheit für alternative neue Ideen entpuppen. Doch wenn ein Z