Die Implosion des "real existierenden Sozialismus" in Europa machte erst die sozialistische Linke der alten Bundesrepublik im Wortsinn kleinlaut; die vom damaligen Außenminister Kinkel nachbetriebene "Delegitimierungs"-Kampagne der untergegangenen DDR schien dann auch noch der demokratischen Linken der vereinten Bundesrepublik für ein gutes Dutzend Jahre richtiggehend die Sprache zu verschlagen. Erst jetzt, im Jahre 2005, fand sich in der Hochschule für Politik und Wirtschaft in Hamburg auf Betreiben von Eckhart Spoo ein von der Bürgerinitiative für Sozialismus (gegründet 1989 vor der Wende), der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hamburg, der Geschichtswerkstatt St. Georg und dem AstA der Universität Hamburg getragener Kongress zusammen, der sich mi
mit den Tabus der bundesdeutschen Geschichte auseinander setzte."Uralt"-Kritiker der "verschwiegenen Geschichte" der Bundesrepublik wie der als Verteidiger von Kommunisten und Linksdemokraten bekannt gewordene Anwalt Heinrich Hannover; der gegen die Verleugnung und Verdrängung der Nürnberger Prozesse anredende Völkerrechtlicher Norman Paech; der Erforscher des "Feindbildes Osten" Wolfgang Wippermann; Publizisten wie Otto Köhler; von der politischen Justiz der alten BRD verfolgte und verurteilte Linke wie Hans Canjé fanden in Hamburg in "abgewickelten" Historikern der DDR wie Kurt Pätzold und Ludwig Elm erfahrungs- und kenntnisreiche Miterheller der dunklen Ecken bundsrepublikanischer Geschichte.Eckart Spoo erinnerte daran, dass alle Gruppen, die Widerstand gegen das Naziregime geleistet hatten, ein sozialistisches Deutschland wollten, eine Erwartung, die ihren Niederschlag in einigen Länderverfassungen und sogar noch bedingt im Grundgesetz der BRD fand. Die Entwertung, ja völlige Verkehrung erfolgte dann durch die Wiederherstellung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse unter dem Druck der dominanten westlichen Besatzungsmacht, nämlich der USA. Bedauerlicherweise aber wurde auf dem Kongress einem historischen Punkt nicht die fundamentale Beachtung geschenkt, die er verdiente: die grundsätzliche Abkehr von der global angelegten Anti-Hitlerkoalition durch die Verkündung der "Truman-Doktrin" im März 1947 und der daraus abgeleiteten Besatzungspolitik in Deutschland, nämlich die Schaffung eines westdeutschen Separatstaates mit dem Ziel seiner politischen, wirtschaftlichen und militärischen Einbindung in ein westliches Bündnissystem. Ähnliches gilt auch für die Erörterung der sogenannten "Stalin-Note" vom März 1952, die die Wiedervereinigung Deutschlands auf der Basis eines Friedensvertrages von der Bedingung abhängig machte, dass Deutschland sich keinem Militärbündnis anschlösse, das gegen einen der früheren Bündnispartner gerichtet war.In vielfältiger Hinsicht, gleichsam als "geballte Kongressladung", wurden dagegen die Folgen erörtert: Die Revitalisierung des "Feindbildes Osten" einschließlich der nahtlosen Übernahme der Naziplakate gegen den gottlosen Bolschewismus durch die CDU und ihre Koalitionäre (Wippermann); die Selbstentnazifizierung der deutschen Eliten (durch Otto Köhler am Beispiel des Bundesverfassungsgerichts erörtert); Weißwaschung der deutschen Wissenschaftselite, nachgewiesen am Beispiel der Kaiser-Wilhelm-, nachmalig Max-Plack-Gesellschaft (Rüdiger Hachtmann); die personellen und operativen Kontinuitäten der deutschen Geheimdienste, von denen die Organisation Gehlen nur die bekannteste (Erich Schmidt-Eenboom), die Erhebung des Antikommunismus zur Staatsdoktrin, die schon 1951 für Kommunisten und Mitglieder der sogenannten "Tarnorganisationen" zum Ausschluss aus dem öffentlichen Dienst, nachgefolgt durch die sogenannte "Reverspolitik" auch aus Funktionen im DGB führte; das Verbot der Volkskongress- und Volksbefragungsbewegung gegen die Remilitarisierung und für Friedensvertrag; die Verfolgung aller demokratischen Bewegungen (einschließlich der Friedensbewegung - Friedrich-Martin Balzer) "links von der SPD"; die unzähligen Strafverfahren und Verurteilungen, schließlich 1956 das Verbot der KPD von 1956 durch die brauneingefärbte politische Justiz der Bundesrepublik.Vergleichsweise unterbelichtet blieb in diesem Spektrum die zwiespältige Haltung der SPD. Sie brachte sich mit ihrem undifferenzierten Antikommunismus, der in der Ablehnung jeglicher Beziehung sowohl mit der Sowjetunion als auch der die "Ostzone" repräsentierenden SED gipfelte, in eine "Abhängigkeitsfalle" von Adenauer und seiner Politik, die dieser besonders beim Ringen um die sogenannten "Westverträge" wiederholt zuschnappen ließ. Es sollte erst des Baus der Mauer in Berlin und der Realität des Bestehens zweier ge- und befestigter Weltlager bedürfen, um die SPD zu einer "neuen Ostpolik" gelangen zu lassen.Dass "sozialistische Gruppen im antikommunistischen Treibhaus" wenig Chancen hatten, wurde von dem Politikwissenschaftler Gregor Kritides dargelegt, der eine neue Generation von Wissenschaftlern vertritt, die nicht mehr unmittelbar mit den "Tabus" der alten Bundesrepublik konfrontiert ist. Der gutgemeinte Nachweis, den Peter Scherer als langjähriger Mitarbeiter des DGB unternahm, SPD und DGB seien durchaus nicht, wie unterstellt, "vom Antikapitalismus gesäubert" worden, stieß auf erhebliche Vorbehalte. Übereinstimmung gab es bei allen Kongressteilnehmern, Opfer der politischen Justiz der Bundesrepublik sollten rehabilitiert werden. Die von Hans Canjé erhobene Forderung nach "gleichrangiger Betrachtung der Nachkriegspolitik der BRD und der DDR" wurde wenig Chancen in der neuen "Berliner Republik" gegeben, die sich mit ihrer Wiederbeteiligung an Angriffskriegen weiter denn je von Vorstellungen über eine friedliches Deutschland nach 1945 entfernt hat.Jedenfalls hat die deutsche Linke mit diesem Kongress ihre Sprache wiedergefunden und sollte sich darin in weiteren Kongressen üben. Last not least konnten die jugendlichen Teilnehmer an dem Kongress durch die Begegnung mit den letzten noch lebenden "Zeitzeugen" ihr in der Schule gering entwickeltes Geschichtsbild erweitern.