Die Gentrys kamen in Scharen

Berliner Abende Neulich im Bötzowviertel. Als die Vorreiter der Gentrifizierung mit ihren teuren Kinderwagen und SUVs den Prenzlauer Berg kolonialisierten
Ausgabe 45/2015

Als es die Berliner Abende im Freitag noch gab, habe ich einige meiner Kolumnen über das Bötzowviertel in Prenzlauer Berg geschrieben. Es war die Zeit, als die gut ausgebildeten späten Eltern mit ihren Babystimmen, den SUVs und teuren Kinderwagen die Hoheit über die Straße übernahmen und anfingen, in dem Viertel ihre Ordnung durchzusetzen. Eine ihrer Moden war, mit dem Geld ihrer Eltern die Wohnungen aufzukaufen. Während die Männer nach öffentlich gut dokumentierten zwei Monaten Elternzeit wieder an ihren aushäusigen Arbeitsplatz zurückkehrten, blieben die Frauen zu Hause, um Kolonialistinnenliteratur zu schreiben.

Es war alles nicht besonders aufregend, es war Vorstadt ohne Jägerzaun mit gelegentlichem Durch-die-Tapetentür-Stechen ohne Blut. Da meine Wohnung schön war, gab es keinen Grund umzuziehen. Ich dachte, solange meine betagten Nachbarinnen und der stille Mann aus dem Betreuten Wohnen nebenan noch hier waren, hätte ich keine Veranlassung, den Platz zu räumen.

Dann wurde das Kapital kühn.Es begann mit einem Anruf der Deutschen Bank, dass die von mir gemieteten Räume neu vermessen werden müssten, wegen der veränderten Kreditlinie. Kreditlinie?, fragte ich. Auf dem Grundbuchamt erfuhr ich, dass meine Wohnung, in der ich seit 15 Jahren wohnte, seit zwölf Jahren eine Eigentumswohnung war. Bald darauf rief ein Makler bei mir an, dass er von den Eigentümern beauftragt sei, die Wohnung zu verkaufen. Für mich werde sich dadurch rein gar nichts ändern, nur müsse ich nach Paragraf soundso den potenziellen Käufern meinen Wohnraum zur Besichtigung öffnen.

Sie kamen in Scharen, die Gentrys. Einige verteilten schon laut ihre Möbel in meinen Zimmern. Der Makler sagte, es sei schwer, bei dem Preis einen Kapitalanleger zu finden. Dann zauberte er noch die Kitschfotografin und den Immobilienheini aus dem Hut. Die hätten schon eine Wohnung und lebten im Ausland. Kein Dreivierteljahr später war ich Wohnung nebst Arbeitsplatz los. Die Begründung des Paars, sie hätten das dringende Bedürfnis, eine Familie zu gründen, und das ginge nur in meiner Wohnung, zählte vor Gericht mehr als mein dringendes Bedürfnis, an meinem Wohn- und Arbeitsplatz nicht von den Reproduktionsfantasien fremder Leute behelligt zu werden, die mich von der Arbeit abhielten. In der Woche meines Auszugs bekam meine 90-jährige Nachbarin die Kündigung für ihre Wohnung, in der sie seit 45 Jahren lebte. Gäbe es diese Kolumne noch, würde ich über angenehmere Gegenden schreiben.

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Die Berliner Abende gab es im Freitag von November 1990 bis Februar 2009

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