Authentizität wird überschätzt. Und in kaum einem Genre so sehr wie im sogenannten Biopic, der filmischen Nacherzählung eines meist schon weithin bekannten Lebens. Auf den ersten Blick mag das widersprüchlich erscheinen. Ist nicht der Aspekt des „Wahren“ gerade das, was an der Verfilmung einer Lebensgeschichte den Ausschlag gibt? Womit zuvorderst geworben wird, als könnte allein die Tatsache, dass das Erzählte auf „wahren Ereignissen“ beruht, schon zum Kauf eines Kinotickets überreden? Wenn sich aus Hitchcock etwas lernen lässt, dann: Wie schön es sein kann, wenn einmal nicht das „wahre Gesicht“ einer Person und einer Geschichte gezeigt wird, sondern nur so getan wird als ob. Schließlich ist das die Domäne des Kinos, das So-tun-als-ob.
Hitchcock, der Titel lässt keine Zweifel aufkommen, tut also so, als sei das ein Film über den berühmten Regisseur Alfred Hitchcock. Zu diesem Zweck hat man den ebenfalls berühmten Schauspieler Anthony Hopkins in einen sogenannten Fatsuit, einen Fettanzug, gesteckt, damit ihm wie der Figur ein mächtiger Bauch vorausgeht. In ähnlicher Weise wurde das Gesicht bearbeitet, auf dass es den richtigen Schatten wirft. Das Ergebnis ist in mehr Hinsichten als der bloßen Ähnlichkeit verblüffend.
Erzählt wird in Hitchcock die, sagen wir mal, wahre Geschichte der Entstehung eines seiner berühmtesten Filme, Psycho von 1960 – der mit der Duschszene. Das Grundgerüst des Plots hält sich an die Fakten: Hitchcock, damals Anfang 60, hatte Schwierigkeiten, den Film finanziert zu bekommen, niemand wollte an den Stoff glauben, und außerdem sah er sich mit der Frage konfrontiert, ob nicht die beste Zeit seiner Karriere schon vorbei wäre. Er streckte das Geld für den Film selbst vor, ein Risiko, das in Hitchcock nach alten Erzählregeln damit anschaulich gemacht wird, indem seine Ehefrau vor dem Verlust von Haus und Swimmingpool erzittert.
Spiel mit der Ähnlichkeit
Das Film-im-Film-Setting erzwingt den Auftritt weiterer Doubles berühmter Gestalten, und man fühlt sich herausgefordert, die jeweilige Ähnlichkeit zu kommentieren. Scarlett Johansson als Janet Leigh, Jessica Biel als Vera Miles, James D‘Arcy als Anthony Perkins – sie alle machen ihre Sache gut. Weiter ins Detail zu gehen hieße, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen, denn der Reiz von Hitchcock besteht darin, die „wahre Geschichte“ in eine flotte Komödie umzuwandeln und dabei mit Authentizität so augenzwinkernd zu flirten, als wäre sie ein ahnungsloser Teenager.
Das hat den Vorteil, dass der Film den Zuschauer nicht mit Empörung heischenden Enthüllungen à la „Hitchcock war pervers“ nervt. Stattdessen werden die Vorliebe des Regisseurs für morbide Scherze, seine Blondinenobsession und sein Hang zum Voyeurismus lustvoll und mit leichter Hand als Pointen behandelt, die der eigentlichen Geschichte des Films – einem amüsanten Ehedrama – satirische Spitzen aufsetzt.
Fast wünscht man sich, die Autoren hätten den Film Mrs. Hitchcock genannt. Denn das Gravitationszentrum der Handlung bildet Alma Reville, Koautorin, Produzentin und Mitverschwörerin des Meisters in allen Belangen. Verkörpert von einer wunderbar spröden Helen Mirren, ist es ihre Figur, die dem Film so etwas wie Herz verleiht – interessanterweise durch eine völlig spekulative Flirtgeschichte, die sich wahr anfühlt, gerade weil sie wohl erfunden ist.
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