Die Gewinner des 11. September stehen fest

Nord-Süd Ulrich Cremer, Initiator der "GRÜNEN-Anti-Kriegs-Initiative", über den Afghanistan-Krieg als Katalysator einer Militärallianz des Nordens gegen den Süden

FREITAG: Inwieweit hat für Sie der Krieg in Afghanistan paradigmatische Züge, die künftig für ähnliche Szenarien von Bedeutung sein könnten?

ULRICH CREMER: Ein roter Faden ergibt sich für mich aus der Zurückdrängung der UNO und weiteren Aushöhlung des Völkerrechts. Hier wirkt der Terrorismus wiederum als Katalysator. Um es klar zu sagen: Für den Afghanistan-Krieg gibt es entgegen gängiger Behauptungen kein UN-Mandat. Am 12. September hatte der Sicherheitsrat die Staaten aufgefordert, die Täter zu verfolgen und auszuliefern - und zugleich das Recht auf Selbstverteidigung anerkannt. Dieses gilt jedoch laut UN-Charta nur so lange, bis, wie es heißt, "der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat." Wäre der Sicherheitsrat also untätig geblieben, läge die Selbstverteidigung in der Hand des angegriffenen Staates, also der USA; doch hat der Sicherheitsrat schon am 26. September einen ausführlichen Beschluss gefasst und darin die entsprechenden Maßnahmen aufgelistet. Von der Ermächtigung zu Militärschlagen steht da allerdings nichts.

Die NATO war im zurückliegenden Jahr mit diversen Widrigkeiten konfrontiert, die sich nun offenbar "in einer völlig neuen Situation" auffangen lassen. Teilen Sie diesen Eindruck?

Tatsächlich wurden 2001 zunächst die Wehretats in Europa nur marginal erhöht. Sie sanken teilweise sogar. Zuvor waren die Einsätze im Kosovo und in Bosnien nicht wirklich erfolgreich. In der Öffentlichkeit wurde die Vertreibung der Serben aus dem Kosovo kritisiert, gleiches galt für die unterlassene Entwaffnung der UCK. Immer wieder flammten außerdem Debatten über Sinn und Rechtmäßigkeit des NATO-Krieges gegen Jugoslawien auf - ich erinnere nur an den sogenannten Hufeisenplan oder die Uran-Munition. Insofern war es höchste Zeit, der Allianz einen neuen, imagebildenden Auftrag zu verschaffen. So kam es zum Mazedonien-Einsatz, um der NATO eine öffentlich positiv wahrnehmbare Ausweitung ihres Einsatzspektrums zu verschaffen.

... weil nun die NATO auch für Friedensbewahrung zuständig war.
So ist es, der Aufmacher der diesjährigen Sommer-Ausgabe des NATO-Briefs lautete entsprechend: "Die Friedenserhaltung als Aufgabe". Aber eine wirkliche Zäsur brachten erst die Terroranschläge in den USA. Damit war das Ende der Bescheidenheit eingeläutet. Nun fließt das Geld.

Zeichnen sich davon ausgehend neue Entwicklungslinien im Militärbündnis ab?
Zunächst einmal wird die Vormachtstellung der USA wieder überall anerkannt. Außerdem gewinnt die Kooperation zwischen NATO und Russland erkennbar an Kontur. Bosnien, Kosovo oder die Bildung des NATO-Russland-Rates waren da eher Vorgeplänkel. Doch mit dem radikal-militanten Islam haben Russland und die USA seit Jahren einen gemeinsamen Feind. Angesichts der Taleban-Verstrickung in Tschetschenien brachte die Moskauer Regierung schon vor anderthalb Jahren die Option ins Gespräch, Basen in Afghanistan präventiv zu bombardieren. Genau das hatten die USA 1998 ja bereits vorgemacht, als sie Lager von Bin Laden nach den Terroranschlägen auf zwei US-Botschaften in Afrika zerstörten. Anfang August 2001 hielt Bushs Sicherheitsberaterin Rice eine NATO-Mitgliedschaft Russlands nicht für ausgeschlossen - Kanzler Schröder fand den Vorschlag sogleich hochinteressant.
Bereits 1997 gab es bei Clinton analoge Äußerungen, die auf ein positives Echo aus Moskau stießen. Vor diesem Hintergrund dürfte sich eine militärische Allianz des Nordens unter Einschluss Russlands gegen den Süden formieren. Afghanistan war und ist in dieser Hinsicht ein wichtiger Meilenstein.

Was heißt das für die Bundeswehr?
Die wird bei immer mehr Kriegen und Konflikten in der Welt mitmischen - die gerade stattfindende Debatte um ein robustes UN-Mandat für Afghanistan zeigt es deutlich. Die Bundeswehr ist ein Gewinner des 11.September. Sie erhält mehr und gewinnt weiter an Akzeptanz. Man wird nicht immer, aber immer öfter auf das Militär als außenpolitisches Instrument zurückgreifen.

Warum sind gerade SPD und Grüne die Träger derartiger Entwicklungen?
Bei allem Verdruss darüber, das eine rot-grüne Regierung Deutschland auf den Kriegspfad führt, dürfen wir nicht übersehen, dass dieser Kurs in der politischen Elite eine überwältigende Mehrheit findet. Für die Außenpolitik macht es daher nach dem Tabubruch des Kosovo-Krieges 1999 in der Tat keinen Unterschied, welche Koalition aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen regiert.

Sie sind gerade von einem längeren USA-Aufenthalt zurück gekehrt. Werden dort andere Debatten geführt als in Europa?
Für die Amerikaner ist der Mythos vom unverwundbaren Homeland zerbrochen, die Menschen sind verunsichert. Da hat der Krieg in Afghanistan eine wichtige innenpolitische Komponente. Die Bush-Administration weist nach, dass sie etwas tut, und viele Gore-Wähler sammeln sich prompt hinter dieser republikanischen Regierung. Eine große Stunde der Teilzeitpazifisten, die ihrer Überzeugung nur in Friedenszeiten nachgehen. Die Friedensbewegung hat es schwerer als in Deutschland. Sie wird als Fünfte Kolonne bin Ladens diffamiert, das habe ich in Deutschland so noch nicht wahrgenommen.

Das Gespräch führte Thomas Klein.

Ulrich Cremer ist Mitherausgeber des Buches Die Bundeswehr in der neuen Weltordnung.

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