Der scheidende Staatschef hat Pläne. Mahmud Ahmadinedjad will, wenn seine Präsidentschaft demnächst beendet ist, wieder an die Universität zurück. Dahin hatte sich der promovierte Bauingenieur schon einmal zurückgezogen. Das war 1997, nach seiner ersten politischen Karriere als Provinzgouverneur, bevor er 2003 Bürgermeister Teherans und 2005 dann erstmals Präsident wurde. Er wolle weiter politisch aktiv sein, ließ er verlauten, aber in keiner Partei oder sonstigen Gruppierung. Eine erneute Präsidentschaftskandidatur, wie sie sein Vorvorgänger Hashemi Rafsanjani im Vorfeld der Wahl am 14. Juni zum zweiten Mal erfolglos versucht hat, schließt Ahmadinedjad aus. Angesichts der Bilanz seiner Präsidentschaft zeugt das zumindest von
von politischem Realismus. Immerhin hat Ahmadinedjad zwei Amtszeiten durchgestanden. Wenigstens darin gleicht er seinen Vorgängern Rafsanjani und Mohammad Chātami.Ali Chamenei, der religiöse Führer des Landes und einstige Mäzen Ahmadinedjads, stand als Präsident von 1981 bis 1989 ganz im Schatten Ayatollah Chomeinis und hatte zudem einen Premierminister an der Seite, der die eigentlichen Regierungsgeschäfte führte. Erst als dieses Amt abgeschafft wurde, kam mit Hashemi Rafsanjani der erste starke Präsident als Regierungschef ins Amt. Unter seiner Regentschaft (1989–1997) öffnete sich Iran wirtschaftlich und erholte sich langsam von den Folgen des achtjährigen Krieges gegen den Irak. Rafsanjani galt während seiner Amtszeit als starker Mann des Iran. Er vermochte es, rivalisierende Machtzentren auszubalancieren und dabei sogar Chamenei als höchste Instanz des Regimes in den Schatten zu stellen. Er verstand es ebenso, sich und seinen Clan zu bereichern. Sein Machiavellismus ist in Iran bis heute so legendär wie sein Nepotismus.Ins Abseits geratenAuf Rafsanjani folgte Mohammad Chātami (1997–2005), dessen Hang zur Liberalisierung ihm bald den Ruf eines iranischen Gorbatschow einbrachte. Doch wird dieser Führer heute als gescheiterter Reformer erinnert, der vor einem möglichen Systembruch zurückschreckte.So schien Ahmadinedjad 2005 der ideale Kandidat des theologischen Establishments zu sein: ideologisch radikal und konservativ, persönlich bescheiden und den Unterschichten zugewandt, die in den Slums der Metropolen einst das – mittlerweile desillusionierte – Fußvolk der islamischen Revolution bildeten.Sozialpolitisch hat Ahmadinedjad mit seiner auf Öleinnahmen basierenden Umverteilung zugunsten der Entrechteten den Erwartungen noch am ehesten entsprochen. Freilich ging ihm wegen fallender Ölpreise, einer chaotischen Wirtschaftspolitik und der verhängten Sanktionen das Geld aus. Zugleich flossen unter seiner Regentschaft Unsummen in den Aufbau einer veritablen Schattenwirtschaft, die von den paramilitärischen Revolutionsgarden kontrolliert wird. Sie sollten zur Hausmacht des Präsidenten werden. Tatsächlich sind die Pasdaran heute nicht nur militärisch, sondern auch ökonomisch ein Machtfaktor in der Islamischen Republik.Was Ahmadinedjad zugute kam, als vor vier Jahren nach seiner von Manipulationsvorwürfen überschatteten Wiederwahl Unruhen ausbrachen und Zehntausende wochenlang gegen das Regime protestierten. Ali Chamenei schlug sich als Revolutionsführer auf die Seite Ahmadinedjads und verlor den Nimbus einer überparteilichen Instanz. Das war durchaus system- und staatsgefährdend. Danach überreizte Ahmadinedjad sein Blatt und begann damit, die Hand zu beißen, die ihn gefüttert hatte. Er setzte auf die nationalistische Karte und stellte mit Chameneis Autorität unverhohlen das 1979 von Ayatollah Chomeini etablierte System theologischer Herrschaft infrage. An diesem Punkt war Schluss mit lustig. Zwar sah es eine Zeit lang so aus, als käme Chamenei in die Rolle des Zauberlehrlings, der die Geister, die er einst rief, nicht mehr beherrscht. Aber das geistliche Establishment schloss die Reihen und stellte Ahmadinedjad ins Abseits – mit einer gesichtswahrenden Gnadenfrist bis zum Ende seiner Amtszeit. Sein Nachfolger verspricht – nach sorgsamer Vorauswahl aller Kandidaten durch den Wächterrat –, handzahm zu sein. Opposition findet in der Islamischen Republik beim jetzt anstehenden Präsidentenvotum nicht mehr statt. Der Aufruhr hat sich Lethargie und Zynismus ergeben.Faustpfand HisbollahAußenpolitisch hat Ahmadinedjad mit seinen rhetorischen Eskapaden für viel Wirbel gesorgt und dabei einiges an Porzellan zerschlagen, unter anderem mit seinen wiederholten Verbalattacken gegen Israel. Aber im Kern blieb Iran auch unter seiner Ägide durchaus berechenbar. Die Regierung hat sich angesichts des Desasters gescheiterter westlicher Interventionen im Irak und in Afghanistan kooperativer gezeigt, als je zu vermuten stand. Einen „Bonus“ hat es dafür nie gegeben. Im Gegenteil. Das iranische Atomprogramm, wobei unklar ist, ob es nur zivile oder auch militärische Komponenten hat, verstärkt im Westen bislang die Stigmatisierung Irans als „Schurkenstaat“. Ahmadinedjad hat mit seinen umstrittenen Äußerungen viel dafür getan, dass es so kam und blieb. Seine Außenpolitik legte wenig wert auf Vertrauensbildung. Im Ton mag sich unter einem Nachfolger etwas ändern – in der Sache kaum. Das Nuklearprogramm fußt auf einem nationalen Konsens, der bis weit in die Opposition hinein reicht. Die Ambition – Atommacht im Wartestand zu sein – wird Teheran nur für umfassende internationale Sicherheitsgarantien aufgeben. Davon sind alle potenziell zu Beteiligenden meilenweit entfernt.Dies auch, weil in den Jahren von Ahmadinedjads Präsidentschaft die konfessionellen Spannungen in der Region rasant zugenommen haben. Zuletzt hat der Iran – viel mehr als bis dahin üblich – schiitische Gruppierungen im arabischen Raum unterstützt, um dadurch den eigenen Einfluss zu erhöhen – etwa im Irak, in den Golfstaaten, im Libanon und in Syrien. Ahmadinedjad hat die Idee vom Revolutionsexport aus den achtziger Jahren wieder aufgegriffen. Er empfahl sein Land als Schutzmacht islamischer Minderheiten und reagierte auf sunnitische Begehrlichkeiten, wie sie von Saudi-Arabien und Katar ausgehen. Entweder direkt durch staatliche und halbstaatliche Institutionen oder indirekt über Finanzen für militante sunnitische Netzwerke, zu denen Al-Qaida-Filialen zählen. Das Schlachtfeld in dieser durch die Arabellion forcierten Konfrontation um regionale und religiöse Hegemonie ist derzeit Syrien, wo sich sunnitische und schiitische Milizen einen Stellvertreterkrieg liefern.Dass Iran dabei die Hisbollah alimentiert, ist ebenso wenig ein Geheimnis wie das Engagement libanesischer und irakischer Schiiten auf Seiten Bashar al-Assads. An den von Ahmadinedjad intensiv gepflegten Kontakten mit dem alawitischen Regime in Damaskus und mit den libanesischen Schiiten dürfte jeder Nachfolger festhalten, solange es irgend geht. Derartige Allianzen sind Teil der regionalen Sicherheitsstrategie des Iran. Eine starke Hisbollah im Libanon gilt im Iran als wichtiges Abschreckungsmittel, um Israel von einem Angriff auf iranische Atomanlagen abzuhalten.