Freizeit Es gibt viele gute Gründe, Einkaufszentren, diese überhitzten Konsumtempel, so gut wie nur möglich zu meiden. Unsere Autoren erzählen, warum sie trotzdem gerne hingehen
Viele sagen, sie hassen Einkaufszentren. Aber wer sich darauf einlässt, für den kann der Besuch auch ein guter Zeitvertreib sein. Dafür muss man gar nichts kaufen. Man ist unter Leuten, kann sie beobachten, mit Glück sogar den Lieblingsschriftsteller treffen. Oder bei Ikea die Tochter erziehen. Vier Beispiele
Die Seele der Leute
Das Einkaufszentrum wird nie langweilig. Ich setze mich im Alexa am Alexanderplatz mit einem Becher Kaffee in den Eingangsbereich und betrachte die Besuchermasse, die durch die Türen hinein- und herauswabert. Ich suche nach Beschreibungen, die meinen Studienobjekten literarisch gerecht würden, und bilde mir ein, einen Blick in ihre Seele werfen zu können. Wer ist mit wem unterwegs, in welcher Beziehung stehen die Einkäufer zu i
Einkäufer zu ihren Begleitern und was tragen sie da eigentlich nach Hause?Schnäppchen-Hamsterkäufe in den berstenden Plastiktüten aus dem Elektromarkt oder ein winziges, luxuriös laminiertes Papiertütchen einer Edelmarke, das mehr dem Zur-Schau-Stellen dient – das Erworbene hätte auch in der Manteltasche Platz gefunden. Ich sehe junge Eltern mit krakeelendem Nachwuchs und verliebte Pärchen beim Windowshopping. In einer Ecke lungern bekiffte Teenager, für sie ist die Mall nach amerikanischem Vorbild das Zentrum für ihre jugendlichen Dramen.Die angereisten Einkäufer aus der brandenburgischen Provinz haben sich schick gemacht für den Hauptstadt-Ausflug und kehren zum krönenden Abschluss beim All-you-can-eat-Chinesen ein. Falls sich das gemein anhört, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich liebe diese Menschen, die sich ihrerseits auch oft genug fragen: Wer ist diese komische junge Frau, die da murmelnd auf der Bank sitzt und mich so anglotzt? Sophia HoffmannBin ich einsam?Nach anstrengenden Bürotagen erhole ich mich im Einkaufszentrum. Es ist hell und warm und bis neun Uhr geöffnet. Die Läden interessieren mich weniger. Ich möchte unter Menschen sein.Am liebsten sitze ich mit einem Kaffee auf der Bank gegenüber der Rolltreppe und beobachte die Leute. Eines Tages entdeckte mich Hannes, der Mann meiner Freundin Katharina. „Kaufst du HIER ein?“ Er verzog angewidert das Gesicht. „Nie! Ich habe mich gerade verlaufen!“, stammelte ich schnell und vergaß zu fragen, was er hier eigentlich machte. Er schleppte eine volle Fahrradtasche. An der anderen Hand hielt er seinen kleinen Sohn.Ich dachte daran, wie mir Katharina im Sommer vom Campingurlaub mit den zwei Kindern erzählt hatte und fragte mich plötzlich, ob ich einsam war. Ich saß am Abend mit einem Pappbecher Kaffee vor der Rolltreppe in einem Einkaufszentrum. Auf einmal wirkte das Licht künstlich, der Ort banal und hässlich. Ich schämte mich ein bisschen.Eines Tages blickte ich gerade von dem antiquarischen Büchertisch im Untergeschoss des Einkaufszentrums auf, als der Schriftsteller K. auf der anderen Seite des Tisches schon fast vorbeigelaufen war. Er ist mir sympathisch, seit ich ihn mal interviewt habe. Er hatte mich nicht bemerkt. Und falls er mich doch gesehen hatte – immerhin lesend. Zum Glück wusste er nicht, dass ich fast jeden Tag hier bin.Eine Woche später fuhr K. einige Stufen vor mir die Rolltreppe hinauf ins Obergeschoss. Ich traute mich nicht, ihn anzusprechen, obwohl auch er nach dem Gesetz des Zufalls ziemlich oft hier sein musste, es also keinen Grund gab, sich voreinander zu schämen.Seit ich weiß, dass ich K. hier treffen könnte, genieße ich meine Feierabende im Einkaufszentrum noch mehr. Ich befinde mich schließlich in guter Gesellschaft. Auf der Bank vor der Rolltreppe, halb bedeckt von fleischigen Zimmerpflanzen, warte ich darauf, K. wiederzusehen. Ich habe mir vorgenommen, mein Versteck zu verlassen und ihn anzusprechen, wenn er das nächste Mal kommt. Aber er war schon lange nicht mehr hier. Kathrin SchraderPippi statt PrinzessinJa, ja, ich weiß: Einkaufszentren sind böse. Diese Konsumtempel, die Kinder und Erwachsene zu Opfern ihrer Gelüste machen! Den Geschmack verderben! Bedürfnisse uniformieren! Besonders schlimm soll Ikea sein, weil der wachsende Erfolg des schwedischen Möbelmarkts die Inneneinrichtung deutscher Haushalte vereinheitlicht. Ein gefundenes Fressen für Kulturpessimisten – das jedoch ebenso billig zu haben ist wie ein Hotdog hinter der Ikea-Kasse.Ich finde ja, dass es den deutschen Wohnzimmern mit ihren Eichen-Schrankwänden gutgetan hat, dass dort skandinavisches Design eingezogen ist. Ich bin Ikea aber nicht deshalb dankbar. Der Grund liegt darin, dass Ikea inzwischen nicht nur Bällebäder zur Kinderbetreuung anbietet, sondern auch Fernseher. Genauer: Fernseher mit Pippi-Langstrumpf-Folgen.Dazu muss man wissen, dass sich in meinem Haushalt kürzlich ein Klassiker abspielte: Die drei Jahre alte Tochter verkündete, sie wolle zum Fasching als Prinzessin gehen. Nach außen hin blieb ich cool, als sei es nur irgendein Satz. Je mehr Eltern darüber reden, desto eher verfestigen sich ja solche Wünsche. Innerlich aber leuchteten alle Gender-Warnlampen auf: „Achtung, bitte sofort Rollenbilder überprüfen“. Ich atmete langsam aus und war auf alles gefasst. Es war dann aber unproblematischer als gedacht. Um ehrlich zu sein: Ich musste gar nichts tun, um sie aus ihren rosaroten Träumen zu holen. Das tat Ikea für mich. Es ergab sich an einem verregneten Samstag. Wir wollten einen Bilderrahmen kaufen. Sie wollte ins Kinderland.Als ich sie wieder abholen wollte, saß sie mit geöffnetem Mund auf den Treppen des „Kinderkinos“ und schien gefesselt von dem, was sie da sah. Aber als sie mich sah, stürmte sie heran und sagte: „Die Pippi kann ein weißes Pferd hochheben.“ Willst du vielleicht als Pippi zum Fasching gehen? „Jaaaaa!“. Ich atmete aus. Dann gingen wir einen Hotdog essen. Steffen KraftSog des HaptischenEs war verführerisch, eine Regenjacke im Laden zu probieren und sie noch in der Garderobe online zu bestellen. Ich hatte dazu einen Kommentar geschrieben, den mir die Freitag-Community dann anschließend ziemlich übel nahm. Es sei im ethischen und ökologischen Sinne unkorrekt, auf solche Internet-Plattformen zu gehen und so eine Armada unterbezahlter Kuriere in Gang zu setzen. Nur – was sollte ich in tristen Malls? Da waren genug andere Leute unterwegs. Aber dieser Winter ist kalt.Darauf war ich nicht vorbereitet. Ich brauchte also eine Winterjacke, die ihren Namen verdient. Glücklicherweise ist im Moment Schlussverkauf. Esprit, Vero Moda, Mango. 30 bis 70 Prozent Rabatt. Auch im „Sale“ möchte man Preise vergleichen. Weil man die Klamotten nach dem Kauf nicht mehr umtauschen kann, sollte man sie vorher anprobieren. Vor Ort.So trieb ich durch ein großes Einkaufszentrum und plauderte mit Verkäuferinnen. Es war ein erhabenes Gefühl, als eine zu mir meinte: „Die Jacke sieht cool aus an Ihnen.“ Ich fand das auch. Allein für diese Wertung hatte sich der Trip gelohnt, in die Hölle, wie viele meinen. Warum ist es in Shopping-Malls nur dann eigentlich immer so voll? Stundenlang kann man sich an- und ausziehen und dabei Pläne schmieden: Yoga, Pilates, wenigstens Joggen.Die Läden liegen so dicht beieinander, man möchte keinen auslassen. Es ist wie ein Sog, das Haptische. Man schweift ab vom Ziel, probiert Unterhemden oder Haarspangen, nimmt ein Fünfer-Pack Socken mit. Selbst wenn man die perfekte Jacke nach einigen Stunden immer noch nicht gefunden hat, verlässt man das Zentrum mit dem beruhigenden Gefühl: Ich habe alles gesehen.Am nächsten Tag sagten die Kollegen: „Was, du suchst Schutz gegen die sibirische Kälte? Schau doch mal auf xxx.de.“ Ein Klick, und ich verliebte mich in meine Jacke. Sie hatte im Netz auf mich gewartet. Jetzt muss ich nur noch den Laden finden, in dem ich sie anfassen kann. Vom Netz ins Geschäft. Ich hab’s kapiert. Maxi Leinkauf
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