Die Gräfin

NACHRUF Zum Tod der "Zeit"-Herausgeberin Marion Dönhoff

Wer barfuß gehen will, muss in der Kindheit warme Füße gehabt haben, heißt eine Redensart. Marion Gräfin Dönhoff war ein Sinnbild solch robuster Füße. Ihre Vita klingt wie ein Roman von der adeligen Gutsherrin, die zur liberalen Demokratin wird. 1909 in Ostpreußen auf Schloss Friedrichstein geboren, übernahm sie nach dem Studium der Volkswirtschaft und mehreren Auslandsreisen 1938 die Verwaltung des Familienbesitzes. Sie beteiligte sich am Widerstand gegen Hitler in der Gruppe des 20. Juli. Vor dem Einmarsch der sowjetischen Besatzungstruppen floh Marion Dönhoff - zu Pferd - nach Westdeutschland. Bald darauf trat sie in die Redaktion der Hamburger Zeit ein, wurde Chefredakteurin und später Herausgeberin. 55 Jahre lang war ihr Name mit dem der Zeit verbunden.
Die Flucht aus ihrer Heimat hat sie genötigt, über die Grenzen ihrer Herkunft und ihres Standes hinauszuwachsen. Innerlich aber muss Marion Dönhoff ihr Gut mit sich getragen haben, woher sonst hätte sie den politischen Einfluss, den journalistischen Mut und die persönliche Integrität nehmen sollen, sich in der BRD früh zu Positionen zu bekennen, die lange Minderheitenpositionen blieben. Als eine der führenden Journalistinnen unterstützte sie die Entspannungspolitik Willy Brandts und gab auch symbolisch ihre ostpreußischen Güter auf mit dem Satz die größte Liebe sei die Liebe, ohne zu besitzen. Nicht jeder kann sich leisten, so wenig anfällig für Neid zu sein. Nach dem Fall der Mauer war Dönhoff sofort auch eine, die den auftrumpfenden Kapitalismus-Hymnikern in die Suppe spuckte.
Und dann war sie - natürlich, selbstverständlich - auch eine Frau. Frühe Fotos zeigen sie mit Schlips zu Pferd, auf den Schultern zweier Brüder stehend, im flotten Porsche oder als einzige Frau im Abitur-Jahrgang. Die Gräfin Dönhoff gehörte zu der Generation, in der es wirklich noch etwas hermachte, sich als Frau so ablichten zu lassen, und sie gehörte - natürlich - auch zu dem Schlag von Frau, die solche Posen für geschlechtslos selbstverständlich halten. Alice Schwarzer jedenfalls hat sich in ihrer Biografie über die Zeit-Herausgeberin die Zähne ausgebissen. Doch nehmen wir die preußisch sachliche Gräfin ruhig beim Wort. Es gehe nicht, war eines ihrer Prinzipien, um die Person, es gehe um die Sache. In diesem Sinne war es gut, dass die Zeit so lange eine prominente HerausgeberIN hatte.
Man soll in Nachrufen nichts Schlechtes schreiben, aber mit ihren Artikeln in den achtziger und neunziger Jahren hat Marion Dönhoff uns oft ungeduldig gemacht. Sie, die große moralische Instanz, wusste meist, wo es lang geht, aber sie antwortete nicht immer auf die Probleme, die wir hatten. Die Welt ist eben anders geworden und modische Neoliberalismen nur zu kritisieren reicht nicht, wenn sie uns schon wie Gift im Blut und im Gehirn sitzen. Dass sie, die große alte Dame des Journalismus, old fashioned war, auf ihre Weise, liegt in der Natur der Sache. Vielleicht aber lag manches auch am Gutshof. Ihr Blick aufs Wesentliche hatte große Vorzüge. Für manche Perspektiven aber hatte sie zu warme Füße.

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