Neue politische Momente sind im Zusammenhang mit der Verurteilung der irakischen Invasion Kuwaits durch die UNO entstanden. Die UNO-Charta, so UN-Generalsekretär Pérez de Cuéllar, „ist vielleicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte, voll und richtig angewendet worden“.
Der nie dagewesene internationale Konsens hat klar gemacht, dass die Welt nicht länger bereit ist. Piratenakte gegen das Völkerrecht hinzunehmen. Sie hat das gegenüber Saddam Hussein klar gemacht, aber auch gegenüber all jenen, die künftig mit solchen Piratenakten spekulieren. Das sind nun keineswegs nur mittelöstliche Despoten, sondern auch die mächtigen Staaten des Nordens. Und das sind jene Unternehmen, etwa in Deutschland, die durch Waffenlieferungen an Konflikten in der Dritten Welt verdienen. Alle die, auf welche Weise auch immer, an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt sind, werden von der Weltöffentlichkeit geächtet. Die Wirkung solch moralischer Isolierung sollte nicht unterschätzt werden. Allerdings wirkt sie eher als Prävention denn als Mittel in einem akuten Konflikt.
Die Krise am Golf ist aber akut. Was soll geschehen, wenn ein Zyniker der Macht wie Saddam Hussein sich weigert, legitime Forderungen der UNO zu erfüllen? So gefragt liegt die Antwort nahe: Er muss notfalls mit militärischer Gewalt zum Einlenken gezwungen werden, mit militärischer Gewalt, wie sie nach Artikel 42 der UNO-Charta möglich ist. Fragt man allerdings danach, wie die von der UNO geforderten Ziele (Abzug aus Kuwait, Wiedereinsetzung der Regierung, Freilassung und Reisefreiheit für Ausländer) durchsetzbar sind, lautet die Antwort ganz anders. Es ist nämlich höchst unwahrscheinlich. Dass auch nur eine dieser Forderungen mit Waffengewalt erreichbar ist.
Washington setzt auf militärischen Druck und lehnt Verhandlungen ab. Die Neue Zürcher Zeitung gab unlängst zu bedenken: „Nur bedingungslose Kapitulation ermöglicht die Lösung eines Konflikts ohne Verhandlungen.“ Die bedingungslose Kapitulation Saddam Husseins aber wird es nicht geben. und sie ist unter den gegebenen Umständen nicht einmal wünschenswert. Eine Politik, die auf militärischen Druck reduziert ist, kann zu drei Ergebnissen führen: zur Auslöschung Saddam Husseins durch einen „surgical strike“einen punktgenauen Raketenangriff zur irakischen Niederlage nach einem längeren Krieg oder zur Kapitulation ohne Krieg aufgrund des militärischen Drucks.
Die beiden kriegerischen Möglichkeiten, höchstwahrscheinlich auch die Kapitulation ohne einen Schuss, würde auf nicht absehbare Zeit die Anwesenheit amerikanischer Truppen im Irak und anderen Ländern der Region erforderlich machen. Selbst bei der unwahrscheinlichen Annahme, dass es nicht zu einem Guerillakrieg käme, wäre das nicht finanzierbar. Schon jetzt kostet die Anwesenheit der 210000 US-Soldaten in der Region täglich 46 Millionen Dollar. Die Lage ist absurd: Eine Lösung ist nur mit und nicht gegen Saddam Hussein möglich.
Die amerikanischen Regierung betont, sie zöge eine friedliche Regelung vor, und es gab und gibt wohl auch diplomatische Kontakte abseits der offiziellen Polit-Bühne. Gleichwohl hat die Administration mehrfach diplomatische Versuche abgebremst, zuletzt Mitte Oktober als Saudi-Arabien die verhärteten Fronten zu lockern suchte. Verteidigungsminister Prinz Sultan, ein Bruder König Fahds, hatte Kuwait angeregt, dem Irak gegenüber territoriale Zugeständnisse zu machen. Er sehe „keinen Schaden darin, wenn ein arabisches Land einer arabischen Schwester Land, eine Anlage oder eine Position auf See“ überlasse, hatte er erklärt, kurz danach aber dementiert. König Fahd allerdings machte einen neuen Anlauf. Er forderte Saddam Hussein auf, seine „groben Fehler“ zu korrigieren und mahnte gleichzeitig: „Wenn ein Unrecht begangen wurde, sollten wir nicht versuchen, es durch etwas anderes Unrecht wieder gutzumachen.“
Präsident George Bush reagierte aufgebracht: „Es geht um Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es kann keinen - wie auch immer gearteten - Kompromiss mit dieser Art von Aggression geben.“ Bush stand keineswegs unter Zugzwang, sich den öfentlichen diplomatischen Versuchen anzuschließen. Dass er sie torpediert hat, dokumentiert politische Verhaltensmuster, die im Kalten Krieg eingeübt wurden. Die amerikanischen Regierung definiert die politischen Ziele für andere und nicht im Konsens mit ihnen, etwa in der UNO. James Baket lehnte es dann auch konsequenterweise vor dem außenpolitischen Ausschuss des Senats ab, ein militärisches Eingreifen von einem Beschluss des UNO-Sicherheitsrates abhängig zu machen. Bei der Debatte um die UNO-Resolution 665 war hingegen unwidersprochen der Eindruck aufgekommen, dass es den UNO-Mitgliedern nicht nur darum ging, einen weltweiten Konsens herzustellen, sondern auch darum, gemeinsam zu handeln. Die finanzielle Unterstützung für den Einsatz amerikanischer Truppen und für die von der Krise besonders betroffenen Staaten Jordanien, Ägypten und Türkei etwa durch Deutschland und Japan kann doch wohl nur dazu gedacht sein, die Einhaltung des Embargos gegen Irak zu sichern und nicht als Blanko-Unterstützung einer Politik, die von der Administration beschlossen wird und über die die Verbündeten bestenfalls unterrichtet werden.
Die von den Saudis angedeuteten territorialen Zugeständnisse, die Saddam Hussein einen Gesichtsverlust ersparen würden, sind keineswegs ein unmögliches Opfer. Nach dem Ende der türkischen Herrschaft 1918 hat Irak die Souveränität Kuwaits zunächst nicht anerkannt. 1963 schloss Hassan al-Bakr einen Vertrag über die Unabhängigkeit Kuwaits. der von seinem Nachfolger Saddam Hussein aber nicht als rechtsverbindlich bestätigt wurde. Im Frühjahr 1990 bot Kuwaits Herrscher Jabr al-Ahmad es-Sabah den Irakern die Inseln Bubiyan und Warbah in unbefristeter Pacht an und verlangte im Gegenzug die Anerkennung des 1963er Vertrags. Der Irak lehnte ab. Nun hat eine administrative Aufteilung des annektierten Scheich-rums begonnen, die eben die beiden Inseln und einen schmalen Streifen an der kuwaitischen Nordgrenze abtrennt. Der „bedingungslose Abzug“ des Irak, an die Bedingung geknüpft, dass die im Frühiahr abgebrochenen Verhandlungen wieder aufgenommen werden, könnte eine Formel sein, den Konflikt beizulegen. Der für seine private Hilfs-Mission für die Geiseln kritisierte frühere britische Premierminister Edward Heath erinnerte Ende Oktober daran. dass die UNO nicht nur den Abzug des Irak aus Kuwait fordert, sondern auch anschließende Verhandlungen zwischen beiden Ländern über ihre bestehenden Probleme.
So nötig ein aktuelles Krisenmanagement zur Verhinderung eines Krieges auch ist, muss die Zeit danach sofort genutzt werden, ein Sicherheitssystem für die Region zu entwerfen und Verhandlungen darüber zu beginnen.
Nach dem Ende des Kalten Krieges darf kein Kondominium über die rohstoffreichen Länder der Dritten Welt errichtet werden. Im Gegenteil muss aktiv ein ökonomischer Ausgleich gesucht werden. Ein Ausgleich ist aber auch innerhalb der arabischen Staaten nötig. Um das auch politisch abzusichern, muss eine Demokratisierung stattfinden.
Ein solcher Prozess würde künftig jenen Stimmungen den Boden entziehen, die, gewachsen auf Ausbeutung und Entrechtung, in der arabischen Region immer wieder Despoten an die Macht spülen, die als anti-moderne Fundamentalisten oder sozial verbrämte Populisten nur dort Hoffnungsträger sein können, wo keine Hoffnung ist. Diese Zukunft für den Mittleren Osten ist aber nur möglich, wenn aktuell der Imperativ der Kriegsvermeidung durchgesetzt wird.
Dieser Text erschien am 9. November 1990 in der ersten Ausgabe des Freitag
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