Nachdem das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBF) Mitte März die reformierte Fassung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) vorgelegt hatte, entzündete sich die Kritik vor allem an der Schlechterstellung der Postdoktoranden. Deren Höchstbefristungsgrenze für eine Anstellung an der Universität wurde von sechs auf drei Jahre halbiert, obwohl eine Habilitation in der Regel arbeits- und zeitaufwendiger ist als eine Dissertation.
Bereits die Tatsache, dass Habilitanden im Hochschulverwaltungsdeutsch seit längerem „Postdoktoranden“ heißen, deutete indessen an, dass sie seither nicht als prospektive Professoren, sondern ebenfalls als Doktoranden klassifiziert werden, als solche nämlich, die die Disserta
e Dissertation hinter sich haben, über sie aber nicht hinaus sind. Die Habilitation ist dieser Logik zufolge eine Post-Dissertation, die von Promovierten nachgereicht werden kann, wenn sie ein paar Jahre länger an der Universität bleiben wollen. Im Grunde ist diese Regelung realistisch, denn Habilitierte können schon lange nur noch in Ausnahmefällen Professuren oder eine der raren sonstigen entfristeten Stellen in Forschung und Lehre erhalten.Damit verweist die Schlechterstellung der Postdoktoranden auf den noch schlechteren Status einer Gruppe, über die im Gegensatz zu den Postdocs kaum gesprochen wird: die Privatdozenten. Deren Dilemma bringt der Titel zum Ausdruck, den ihnen die Universität verliehen hat. Als Dozenten gehören sie zum Personalbestand der Hochschulen; als Privatleute stehen sie zu ihnen in keinem Anstellungsverhältnis. Als Privatiers müssen sie sich um ihren Lebensunterhalt selbst kümmern; als Dozenten haben sie der Hochschule gegenüber fortbestehende Pflichten.Aufwandsentschädigung für die LehreVerankert ist dieser Doppelstatus durch ein Spezifikum des deutschen Hochschulwesens: die sogenannte Titellehre. Wer das Verfahren der Habilitation abgeschlossen hat, erwirbt den Titel des Privatdozenten (PD) und damit die Möglichkeit, sich auf Professuren an einer Hochschule zu bewerben. Zum Erwerb der Lehrbefähigung (venia legendi) bedarf es in geisteswissenschaftlichen und historischen Fächern überdies oft eines zusätzlichen Verwaltungsakts, weil diese nur auf Antrag der zuständigen Fakultät verliehen werden kann. Habilitation und venia legendi begründen beide jedoch kein Dienstverhältnis, und Habilitierten, die nach Erwerb ihrer Qualifikation nicht der Titellehre nachkommen, wird die Lehrbefähigung und die Befugnis entzogen, den Titel des PD zu führen.Titellehre wird in Deutschland die Verpflichtung jedes Habilitierten genannt, pro Semester eine bestimmte Anzahl von Wochenstunden zu unterrichten. Das Bundesverwaltungsgericht hat 1994 entschieden, dass Universitäten Privatdozenten nicht mehr als eine Wochenstunde Lehrverpflichtung pro Semester abverlangen dürfen. Bis heute hält sich daran fast keine Universität; abgesehen vom Saarland, gelten in allen Bundesländern zwei Semesterwochenstunden Lehre als Minimum für den Titelerhalt.Ebenfalls festgelegt wurde, dass Privatdozenten die Verpflichtung zur Titellehre durch eine andere Tätigkeit im Rahmen ihrer Fakultät als durch die unentgeltliche Lehre ersetzen können, etwa durch Vertretung von Professuren oder Arbeit in Drittmittelprojekten. Vielfach kommen Privatdozenten der Titellehre in Form von Lehraufträgen nach, für die sie eine Aufwandsentschädigung erhalten, die zur Deckung des Lebensunterhalts aber nicht ausreicht. Über die Wiedereinführung des Hörergeldes, das Privatdozenten in der Bundesrepublik bis 1970 entsprechend der Anzahl ihrer Studenten erhielten, ist nie mehr nachgedacht worden. Sein Vorteil war, dass es einen Qualitätsvergleich zwischen Privatdozenten und Professoren ermöglichte und erstere wenigstens symbolisch für ihre Tätigkeit entschädigte.Der Hauptberuf von Privatdozenten liegt außerhalb der HochschuleDas Desinteresse, das der Arbeitssituation von Privatdozenten entgegengebracht wird, hat mit dem Nimbus zu tun, den sie vom Stand des Privatgelehrten geerbt haben, obwohl sie nur in Ausnahmefällen Privatgelehrte sind. Privatgelehrter ist eine Standesbezeichnung, Privatdozent ein hochschuladministrativer Titel. Privatgelehrte können wissenschaftliche Ausnahmetalente sein, die wegen ihrer Lebenssituation bei ihrer Arbeit nicht dieselben forschungspolitischen Rücksichten nehmen müssen wie Hochschulangestellte; sie können aber auch sich selbst überschätzende Obskurantisten sein, die ihre wissenschaftlich ungedeckten Fantasien für einen Ausweis von Originalität und Nonkonformismus halten.Privatgelehrte müssen anders als Privatdozenten über keine akademische Ausbildung verfügen; mit ausreichend Vermögen und freier Zeit können sie auch als Dilettanten ihren Studien nachgehen. Privatdozenten dagegen sind darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt durch einen Hauptberuf außerhalb der Hochschule – als Lehrer, Verlagslektor, Übersetzer – zu bestreiten. Das sichert ihnen zwar wie Privatgelehrten Distanz zum Universitätsbetrieb, den sie überdies durch Tätigkeit als Prüfer, Betreuer, Gutachter und Kommissionsmitglieder in ihrem Sinne beeinflussen können. Andererseits verfügen sie durch ihre Arbeitssituation selten über die Zeit, solchen Einfluss auch wirklich geltend zu machen. Wohl deshalb rankt sich um den Privatdozenten nach wie vor keine kulturelle Mythologie wie um den Privatgelehrten, der die bürgerliche Epoche hindurch populäres Objekt von Idealisierung wie von Spott gewesen ist.Ein dritter und seltener Fall sind solche Privatdozenten, die sich ökonomisch unabhängig von der Titellehre machen und dadurch in den Status des Privatgelehrten hinüberwechseln konnten. Sie können manchmal tatsächlich Werke zustande bringen, die innerhalb des akademischen Betriebs nicht hätten entstehen können. Voraussetzung ihrer produktiven Exterritorialität ist allerdings neben ökonomischer Absicherung auch eine fortbestehende Bindung an die Institution der Hochschule, der sie sich noch in ihrer Distanz und manchmal auch in ihrer offenen Verachtung verpflichtet fühlen.„Privat“ steht für eine höhere Form von ArbeitslosigkeitBürgerliches Urbild dieses Typus war Arthur Schopenhauer, der den Hauptteil seiner Nicht-Karriere als Junggeselle und Privatgelehrter in Frankfurt am Main zubrachte und die tiefe Negativität seines Hauptwerks „Die Welt als Wille und Vorstellung“ seiner eingefleischten und erfahrungsgesättigten Abneigung gegen Hochschule und Hochschullehrer verdankte. Auch im späteren 20. Jahrhundert fand Schopenhauer seltene Nachfolger. Der 1924 geborene Horkheimer- und Adorno-Schüler Karl Heinz Haag war Privatdozent und außerplanmäßiger Professor an der Frankfurter Goethe-Universität, bis er sich 1971 auf eigenen Wunsch ins Privatleben zurückzog; erst danach schrieb er seine bedeutendsten Werke, „Der Fortschritt in der Philosophie“ (1983) und „Metaphysik als Forderung rationaler Weltauffassung“ (2005). Der jüngst verstorbene Historiker Wolfgang Schivelbusch hatte nie einen akademischen Posten inne und finanzierte seine Bücher mit Stipendien und privater Förderung. Trotzdem war er gern gesehener Gast an Hochschulen und Sonderforschungsbereichen, deren Routine immer wieder des abweichenden Denk- und Sprachstils versierter Privatiers bedarf, um sich am Leben zu erhalten.Den meisten Privatdozenten im gegenwärtigen Hochschulbetrieb bleibt eine solche Doppelrolle als freie Forscher und Autor einerseits und bunter Vogel im akademischen Alltag andererseits jedoch verwehrt. Im Normalfall bezeichnet das „Privat“ im Titel des Privatdozenten einfach nur eine höhere Form von Arbeitslosigkeit, und nur die Wenigsten, die diesen Titel führen, verfügen über die Möglichkeit, den Widerspruch zwischen Privatiers- und Gelehrtendasein produktiv zu machen. Solange sich die Habilitierten diese Misere nicht bewusst machen und sich weiterhin einen ideellen Rang zuschreiben, durch den sie sich über die universitären Angestellten erhoben wähnen, wird sich daran auch nichts Wesentliches ändern.