Die Großbaustelle

Deutsche Bahn Selbst Verkehrsminister Scheuer hat verstanden: Die Mehrwertsteuer auf Bahntickets muss runter. Das wäre ein erster Schritt zur Rettung des Zugverkehrs
Ausgabe 17/2019

Endlich mal ein sinnvoller Vorschlag von Verkehrsminister Andreas Scheuer, der bisher eher durch seine enge Beziehung zur Autoindustrie aufgefallen ist anstatt durch progressive Verkehrspolitik: Die Mehrwertsteuer auf Bahn-Fernverkehrstickets soll sinken – eine langjährige Forderung von Linken und Grünen. Damit könnte Bahnfahren deutlich günstiger werden. Unsere westeuropäischen Nachbarländer sind übrigens schon weiter: Sie erheben allenfalls den verminderten Mehrwertsteuersatz auf Bahntickets; in Dänemark, Irland und Großbritannien ist gar keine Mehrwertsteuer fällig.

Doch das kann nur der Anfang sein: denn unser Steuersystem fördert bislang konsequent den klimaschädlichsten Verkehr, etwa den mehrwertsteuerbefreiten grenzüberschreitenden Flugverkehr. Und dass die Bahn trotz ihres vergleichsweise sauberen Strommixes Energiesteuern und EEG-Umlage zahlen muss, während Kerosin steuerbefreit ist, der Luftverkehr seine CO₂-Zertifikate überwiegend geschenkt bekommt und der Straßenverkehr durch das Dieselsteuerprivileg und eine Befreiung vom Emissionshandel begünstigt wird, ist ebenso wenig nachvollziehbar.

Doch die Bahn benötigt auch dringend Investitionen. In den letzten Jahrzehnten sind zwar einige neue Hochgeschwindigkeitsstrecken entstanden, doch gleichzeitig wurde die Bahn in der Fläche beständig abgebaut. Nebenstrecken wurden stillgelegt und die noch vorhandenen Bahnhöfe auf dem Land meist sträflich vernachlässigt. Eine Bahn für alle Menschen im Land, die mehr Autoverkehr ersetzt, muss wieder eine Flächenbahn sein und auch kleine Orte komfortabel anbinden – auch für den Güterverkehr, der ebenso dringend auf die Schiene verlagert werden muss.

Hochgeschwindigkeitsstrecken sind zwar für die Konkurrenz zum Flugverkehr wichtig, aber sie lösen die Probleme der Bahn alleine nicht. Immer noch höhere Geschwindigkeiten machen in Deutschland mit seiner flächigen Siedlungsstruktur ohnehin kaum Sinn. Auch der Ausbau der Flächenbahn kostet zwar Geld, dieses kann aber umverteilt werden, weil der anhaltende Ausbau des Autobahnnetzes in Zeiten der Klimakrise unsinnig ist. Als Sofortmaßnahme muss die DB „Stuttgart 21“ beenden, wo sie viele Milliarden für eine gigantische Verschlechterung verpulvert.

Die größte Baustelle ist jedoch die Struktur der Deutschen Bahn AG: Aus der ehemaligen Bundes- und Reichsbahn ist seit der Bahnreform von 1994 ein Moloch aus Hunderten Subunternehmen geworden, der sich mit Zukäufen massiv verschuldet hat und inzwischen fast die Hälfte seiner Umsätze mit bahnfremden Aktivitäten im Ausland macht. Gleichzeitig wird das Schienennetz vernachlässigt, in dessen Instandhaltung zwar jedes Jahr rund vier Milliarden Euro an Bundesmitteln fließen, aus dem die DB AG aber gleichzeitig ihre größten Gewinne zieht. Die Struktur einer gewinnorientierten Aktiengesellschaft ist offensichtlich ungeeignet dafür, eine kundenorientierte und zuverlässige Bahn zu schaffen. Stattdessen muss der Bund der DB verkehrspolitische Ziele vorgeben – etwa die Erreichbarkeit von Städten, Marktanteile oder die Qualität. Die Schweizer haben mit einem solchen Modell – plus auskömmlicher Finanzierung – eine der besten Bahnen der Welt geschaffen.

Seid wie die Schweizer

Nicht zuletzt muss auch das DB-Management seinen Teil zu einer besseren Bahn beitragen: Der Mehrwertsteuervorteil darf nicht durch Preiserhöhungen wieder zunichtegemacht werden. Stattdessen sollte die DB die Gelegenheit zu einer Reform des gesamten Tarifsystems nutzen. Das heutige System eines immer unübersichtlicheren Wusts aus Sparpreisen und Sonderaktionen im Gegensatz zu einem immer teureren „Flexpreis“ muss wieder durch einen bezahlbaren Normalpreis ersetzt werden. Denn mit dem Zwang zur langfristigen Festlegung auf einen Zug macht sich die Bahn den Vorteil ihrer Flexibilität kaputt und überlässt damit große Marktanteile dem Auto. Außerdem muss sie die Instandhaltung endlich wieder in den Griff bekommen und die Verspätungen reduzieren.

Eine bezahlbare, zuverlässige, flächendeckende Bahn wäre für alle Menschen von Vorteil. Und gut fürs Klima obendrein.

Bernhard Knierim engagiert sich bei Bahn für Alle und im europäischen Netzwerk Back on Track, das sich für mehr EU-Bahnverkehr als Alternative zum Fliegen einsetzt

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Geschrieben von

Bernhard Knierim

Biophysiker und Politikwissenschaftler, aktiv für eine Mobilitätswende: weniger Verkehr insgesamt, mehr Fahrrad, Fußverkehr und öffentlicher Verkehr.

Bernhard Knierim

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