Die große Erschöpfung

Schadensbilanz Nach der Reform der Rechtschreibreform

Am Ende des orthografischen Bürgerkriegs, der ein Jahrzehnt lang so viele Protestenergien wie kaum ein anderes gesellschaftliches Thema mobilisiert hat, gibt es nur einen Sieger: die Erschöpfung. Die Kultusminister sind den Empfehlungen des "Rats für deutsche Rechtschreibung" gefolgt - und haben damit beträchtliche Teile ihres einst mit großem Getöse angekündigten Reformwerks still entsorgt. Was ursprünglich als "minimalinvasiver" Eingriff in die alte Rechtschreibung geplant war, geriet seit Oktober 1996 zum hysterischen linguistischen Kulturkampf zwischen Rechtschreibkommission und Reformverweigerern. Nun hat der Rechtschreibrat in der relativ kurzen Zeit von 14 Monaten einen durchaus alltagstauglichen Kompromiss zur Beseitigung der quälenden Wirrnisse um Zusammen- und Getrenntschreibung und Kommasetzung gefunden. Und es gibt erste Signale von Zustimmungsbereitschaft auch seitens beinharter Reformgegner.

Obwohl die FAZ als Zentralorgan der "bewährten Rechtschreibung" erwartungsgemäß beleidigt die "dürre Weisheit" des "Reformtorsos" monierte, stellte sie immerhin die "Prüfung" der Regeln in Aussicht. Zwar wird es die Gemüter kaum beruhigen, dass man eine Reform nun wieder "schlechtmachen" darf und nicht mehr in Getrenntschreibung "schlecht machen". Dennoch: Die Chancen für den leisen Triumph einer pragmatischen Vernunft sind erheblich gestiegen.

Aber wem wurde mit dem jetzigen Beschluss eigentlich die "Rote Karte" gezeigt, die einige Jahre lang nur noch die "rote Karte" sein durfte? Zweifellos den Kultusbürokraten, von deren groß angekündigtem Reformwerk nur ein kümmerlicher Rest übrig geblieben ist. Aber auch den Berufsrechtschreibern, die zehn lange Jahre in rigidem Sprachpurismus zu jedem Detail der Reform den grammatischen Nahkampf erprobten. Am Wahn der orthografischen Überregulierung, in den sich Anhänger der Reform ebenso verbissen wie die Propheten der "bewährten Rechtschreibung", konnte man wahrlich "irrewerden" (aber fortan nicht mehr "irre werden"). Am meisten gelitten haben wohl Schüler und Lehrer, die durch zahlreiche Reformen und Gegenreformen harte orthografische Wechselbäder durchlaufen mussten. Auch die Nerven der Schul- und Wörterbuch-Verlage, die lange vergeblich um orthografische Planungssicherheit und grammatische Letztgültigkeit bettelten, wurden arg strapaziert.

Am wenigsten Not leiden mussten dagegen die Schriftsteller, die entgegen ihrer starken Empörungsbereitschaft gegen das Reformwerk nie von einer staatlichen Intervention in ihre Schreibweisen bedroht waren. Sie dürfen weiterhin die radikalen Gesetzesbrecher der grammatischen Konventionen sein und sich wie einst Arno Schmidt in "fonetischer schreibunk" üben - sofern sie es nur wollen.

Als einzige wirklich beunruhigt über die Kompromisslösung sind nur die verbliebenen Rechtschreib-Partisanen, denen nach Beendigung der orthografischen Kampfhandlungen der mediale Aufmerksamkeitsentzug droht. In einem letzten Aufbäumen verkündete der Sprachwissenschaftler Theodor Ickler mit dem üblichen Aplomp seinen Austritt aus dem Rechtschreibrat. In dem neuesten Einträgen in sein "Rechtschreibtagebuch" gibt er zu verstehen, dass er "recht haben" und eben nicht nur "Recht haben" will. Nicht nur in diesem Fall sind orthografische Zerreißproben völlig überflüssig - nützlicher ist allemal eine Toleranz, die mehr Varianten erlaubt. "Schreibe, wie du sprichst!", hieß einst die Devise Konrad Dudens. Das war allzu leichtgläubig. Nach dem Abflauen des orthografischen Kulturkriegs müssen wir uns eher an eine Erkenntnis von Günter Eich halten: "Die Welt ist ein Druckfehler."


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