Was ist nur mit den Künstlerinnen und Künstlern in Deutschland los? Gerhard Richter, womöglich der beste, jedenfalls der teuerste lebende Maler der Welt, ist berüchtigt dafür, dass er sich gar nicht gern zu seinem Werk äußert. Wer je eine Pressekonferenz mit ihm erlebt hat, weiß, wie Richter sich da windet, wie er herumdruckst.
Nun will also auch Rosemarie Trockel nichts sagen? Die Frau, die laut „Kunstkompass“, der Weltrangliste der einflussreichsten lebenden Künstler, nur zwei Plätze hinter Richter auf dem Bronzeplatz rangiert? Das Wirtschaftsmagazin Capital fing 1970 mit diesem Ranking an, seit 2008 veröffentlicht das Manager Magazin alljährlich, welche Künstlerinnen und Künstler mit ihren Werken weltweit a
weltweit am häufigsten ausgestellt werden und wie viele Museen die jeweiligen Arbeiten kaufen. Rosemarie Trockel ist nun im dritten Jahr in Folge unter den Top Five. Gerade hat sie in Zürich die höchst dotierte europäische Auszeichnung für bildende Kunst erhalten, den Roswitha-Haftmann-Preis, 150.000 Schweizer Franken, rund 122.000 Euro, schwer. Aber bei der persönlichen Begegnung wird sie umso stummer, je länger die Unterhaltung dauert.Bloß nicht auffallenNicht, dass sie nicht reden könnte, nein. Sie hält sich selbst einfach für ungeeignet, Gespräche zu führen. Kaum steht unser Interviewtermin, meldet sich die Assistentin und stellt klar, dass das Ergebnis des Treffens keinesfalls in der klassischen Frage-Antwort-Form erscheinen dürfe. Wörtliche Zitate seien ebenfalls unerwünscht. Zu oft sei Frau Trockel schon falsch zitiert worden, und dann werde das wiederholt und wiederholt, bis am Ende etwas ganz anderes daraus geworden sei. Das entwickle dann eine eigene Monumentalität, und Frau Trockel habe sich diesbezüglich einfach schon zu oft und lange geärgert.Monumental. Ja, das Wort passt zu Rosemarie Trockel. Wenn auch nicht in seinem herkömmlichen, schweren Sinn – ein Bronzefürst sitzt hoch zu Bronzeross. Kasimir Malewitschs Schwarzes Quadrat ist bei Trockel – gestrickt. Ein beherzter Zug am Faden würde reichen, um das Markenzeichen des Konstruktivismus zu einem lächerlichen Häufchen Garn aufzudröseln. Eine spöttisch lächelnde Dekonstruktion der hohen Kunst, die auf den ersten Blick so gar nicht zur Frau dahinter passen will. Schwarzer Rollkragenpullover, schwarzer Blazer, schwarze Hose. Bloß nicht auffallen. Das tut ihr Werk schon genug: tote Rehe, mit Playboy-Hasenköpfchen übersäte Wandbilder, ein schwarz lackiertes Keramikbein. Und all das am liebsten mit- und neben- und durcheinander. „Surreale Liaisons, geschaffen von der inszenierungsfreudigen Raumbildnerin“, wie es eine Kritikerin einmal formulierte.Fast schon eine Ikone: Trockels Version von Gustave Courbets Gemälde L’origine du monde (1866), für die sie eine Vogelspinne auf den berühmten Schamhaarbusch montiert hat. Ist das Feminismus? Ja, und zwar humorvoll. Geht es um Unbewusstes? Sicher, aber kontrolliert. Es kommt vor, dass Trockel Tonklumpen so lange auf den Atelierboden schmeißt, bis sie genau die Form angenommen haben, die der Meisterin gefällt. Dann wird das Material gebrannt, blutrot glasiert und an die Wand gehängt, fertig ist das Abstraktum mit der Ausstrahlung einer Marienfigur: eine rohe Madonna sozusagen, zwischen Zartheit und Brutalität, Organischem und Minimalismus. Sehr lustvoll wirkt dieses Werk, lustig auch und haptisch. Pelzig-flauschige Oberflächen wechseln sich mit glattpolierten ab. Man will direkt mit den Fingern drüberstreichen.Ihre jüngste Schau kam 2013 von Madrid über New York und London nach Bonn und trug den Titel Kosmos. Das passt: Vor dem Kunststudium an den Kölner Werkschulen hatte sie Anthropologie, Soziologie, Theologie und Mathematik studiert, auf Lehramt. Den Eltern zuliebe, wiegelt sie ab, aber es stimme schon: Alles, was dem Menschen Formeln liefert fürs Unbegreifbare, was erklärt, wo wir herkommen und hingehen, interessiert sie auch heute, mit 61 Jahren noch.Trockel hat beeindruckend viel erreicht, auch wenn sie immer noch zusammenzuckt, wenn man ihr das sagt. Trotz MoMA-Ausstellung (1988), trotz Documenta (1997), trotz Biennale – 1999 war sie die erste Frau, die den deutschen Pavillon in Venedig bespielte –, trotz Ehrungen und Auktionsrekorden: Die Selbstzweifel sind stark, die Freude über die Begegnung mit dem eigenen Werk hält sich in Grenzen. Wenn möglich, geht sie ihm aus dem Weg. Präsenter sind ihr die Momente, in denen etwas nicht so geglückt ist. Aber das ist es nicht, was sie antreibt weiterzumachen. Sie wüsste sonst schlicht nicht, wie sie leben könnte. Kunst ist etwas Natürliches wie Essen und Trinken – ein Tag ohne? Geht nicht.Im Kino ganz hintenEtliche Statistiken besagen, dass Künstlerinnen noch immer in der Minderzahl sind. Und: billiger. Warum ist das so, Frau Trockel? Sie kennt die Zahlen. Und sieht, dass sich das ändert, langsam, etwa dort, wo sie seit 1998 als Professorin lehrt, an der Kunstakademie in Düsseldorf, wo schon Joseph Beuys, Karl Otto Götz und Bernd Becher unterrichteten und Jörg Immendorff, Gerhard Richter und Andreas Gursky herkommen. Dort bewerben sich mittlerweile weit mehr Frauen als Männer und werden auch aufgenommen. Braucht es überhaupt (noch) eine ausgewiesene Frauenkunst? Vielleicht nicht mehr unbedingt, jedenfalls nicht in diesem Teil der Welt. Aber solange die Thematik den Studentinnen aus China, Japan, der Türkei an die Nieren geht, so lange wird sie auch Rosemarie Trockel am Herzen liegen. Wie damals, in den frühen 80ern in Köln, als sie sich mit Galeristenfreundin Monika Sprüth daran machte, Frauen sichtbar zu machen. Trockel schuf, was Sprüth ausstellte. Dazu lud man Cindy Sherman, Jenny Holzer, Barbara Kruger ein. Alles ganz einfach.Just an dem Tag, an dem wir uns treffen, vermeldet Sotheby’s aus New York einen Trockel-Rekord: Ihr Bild Untitled ging für fast fünf Millionen US-Dollar weg. Absurd sei das, meint die Künstlerin. Sie hält, in Absprache mit immer noch derselben Galeristin, ihre Preise bewusst an der unteren Grenze. Wenn man sich dem Irrsinn des Marktes schon nicht entziehen kann, so kann man wenigstens ein Zeichen setzen. Geld sagt ihr ohnehin nicht viel. Sie lebt wie immer, was wohl so viel heißt wie „ganz normal“, mit ein, zwei Ateliers – ohne die leidige Frage, ob sie es sich leisten kann, diese zu heizen. Und Ehrungen? Sind nur im Hinblick auf die interessant, die sie vor einem bekommen haben. Wenn man sich also eingereiht fühlt mit denen, die man selbst bewundert, wie jetzt, mit dem Roswitha-Haftmann-Preis, bei dem der US-schweizerische Fotograf und Regisseur Robert Frank einen Sonderpreis erhielt, im Schatten von Trockels Auszeichnung.Die 150.000 Franken wird sie wohl in eine Siebdruckanlage investieren. Eine Hommage an Andy Warhol? Ja, den Großen der Pop Art verehrt sie, wie so viele es tun. Auch Marcel Duchamp. Zu denen kehrt sie immer zurück. Und zu den Texten von Marguerite Duras, dieser Königin des Zwischen-den-Zeilen-Sagens. Und zur Musik. Neulich besuchte sie ein Konzert der Düsseldorfer Analog-Techno-Band Kreidler. Und ins Kino geht sie gern, aber nur in die hinterste Reihe, wo man Raum für sich hat, da kommen dann die Gedanken. Und die Kunst der Schweizerin Pipilotti Rist schätze sie, davon seien auch ihre Studentinnen und Studenten begeistert. Und sie meditiert gern, zu Hause, vor Bridget Rileys Op-Art. Aber erst, nachdem die Hunde ausgeführt sind, und sicher nicht im Schneidersitz, sondern bei einem Kaffee.Letzte Frage: Was ist gute Kunst? Ein Lachen, ein kurzes Nachdenken. Und die Antwort: Wenn der Betrachter seine Grenze überschreite. Wenn sich da etwas verschiebe. Vorzugsweise der Horizont.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.