Die großen Unterschiede

Im Kino In "Schattenväter" von Doris Metz treten die Söhne von Willy Brandt und Günter Guillaume vor die Kamera und erzählen

Erst in der letzten Szene lässt die Regisseurin die beiden Söhne, um die es hier geht, zusammenkommen: Pierre Boom und Matthias Brandt. Es ist eine stumme Szene, am Rheinufer laufen sie gemächlich aufeinander zu und stellen sich dann übers Wasser schauend mit dem Rücken zur Kamera auf. Das schöne Bild zeigt den Gestaltungswillen der Regisseurin, aber nicht, ob die beiden sich tatsächlich etwas zu sagen haben. Zwar hat der Vater des einen den "Sturz" des anderen verursacht. Das aber, und das beweist der Film mit überraschender Klarheit, schafft noch lange keine Gemeinsamkeit zwischen ihnen. Weshalb dieses letzte Bild in seiner Gestelltheit eher unangenehm berührt.

Tatsächlich könnten die Leben, die der Zuschauer im Laufe dieses Films erzählt bekommt, kaum unterschiedlicher sein. Matthias Brandt läuft durch die ehemalige Kanzlervilla und erzählt von seinem Vater. Er tut das mit gleich bleibend spöttischen Unterton, der ungewollt wirkt, und unterhalb des Humors die tiefsitzende Kränkung eines verlassenen Kindes verrät, das von seinem prominenten Vater kaum beachtet wurde. Pierre Boom dagegen spricht gar nicht viel über seinen Vater, sondern erzählt von seinem eigenen Leben, das von den Taten des Vaters - mehr als von dessen Persönlichkeit - so wesentlich beeinflusst wurde, dass der Ausdruck "überschattet" einer Untertreibung gleichkommt. Nicht nur sein Thema, auch sein Tonfall ist ein ganz anderer als Brandts: Boom redet sich ganz offensichtlich etwas von der Seele. Er nutzt den Film, um vor sich und der Welt Zeugnis abzulegen, dass er "darüber" reden kann, dass er überlebt hat. Beide Geschichten sind ungeheuer spannend, reißen mit, regen zum Nachdenken an. Nur warum sie zusammen in einen Film gehören sollen, leuchtet im Verlauf der Dokumentation immer weniger ein.

Doch obwohl das Konzept nicht aufgeht, ist es ein spannender Film. Matthias Brandt könnte aus dem, was er hier zum Besten gibt, ein Kabarettprogramm bestreiten: Wenn er von den "Wangentätschlern" spricht, die die Kanzlervilla besuchten, oder davon, wie sein Vater einmal mit ihm spielen wollte, und er, das Kind, sich besondere Mühe gab, damit der Erwachsene ja etwas davon hatte - dann bleibt einem das Lachen in der Tat im Halse stecken. Rührenderweise bricht er eine späte Lanze für Herbert Wehner und eine der köstlichsten Geschichten im Film ist die von der Radtour, die Brandt zusammen mit Wehner zwecks Versöhnung unternehmen sollte. Geplant wurde das Ganze von "Parteigenossen", und die beschlossen auch, dass der Kleine zur Auflockerung der Atmosphäre mit sollte. "Ich wusste, dass mein Vater nicht Fahrrad fahren konnte", berichtet Matthias Brandt mit trockener Stimme, und tatsächlich fliegt der Kanzler noch vorm Haus vom Rad. Wie gerne lacht der Zuschauer heute über Geschichten wie diese. Eine bittere Wendung nehmen diese Anekdoten spätestens in dem Moment, als Brandt in nie nachlassend lustigem Ton erzählt, dass er in den dicken Memoiren seines Vaters an keiner einzigen Stelle vorkommt. Das beunruhigt einen dann doch etwas. Weniger aus dem Grund, dass man sein Willy Brandt-Bild verändern müsste als deswegen, dass man sich Sorgen macht um diesen nicht mehr jungen Mann, der es zum passabel erfolgreichen Fernseh- und Theaterschauspieler gebracht hat.

Wie gesagt, von Pierre Boom erfährt man nichts damit Vergleichbares über Günter Guillaume. Obwohl er die vielleicht interessantere Geschichte zu erzählen hat, ein wahrer Thriller aus dem kalten Krieg, in dem ein nichts ahnender 17-Jähriger aus seinem vertrauten Leben gerissen wird und erfahren muss, dass seine Eltern andere sind, als die sie zu sein vorgaben. Von da an ist jeder private Identitätskonflikt ein Loyalitätskonflikt von historischem Ausmaß. Booms Leben im Zickzack zwischen Ost und West und wieder zurück wäre eigentlich allein schon abendfüllend. Bleibt als Fazit: Den Film, mit seiner unseligen Parallelisierung zweier nicht vergleichbarer Leben, kann man schnell vergessen; die beiden Figuren und was sie erzählen dagegen bleiben noch lange im Gedächtnis.


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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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