Die Gunst der Stunde

Klimawandel Warum es ohne einen „Green New Deal“ auch keine Gesellschaft geben kann, die nicht auf unendlichem Wachstum aufbaut
Ausgabe 33/2021
Windpark in der Irischen See
Windpark in der Irischen See

Foto: Paul Ellis/AFP/Getty Images

Angesichts der Krisen der sich globalisierenden Ökonomie muss die Wirtschaft rasch und konsequent transformiert werden. Klimapolitik, wachsende Ungleichheit und ökonomische Instabilität dürfen nicht voneinander isoliert werden. Nur ein Paket von Maßnahmen, das diese Krisen gleichermaßen anpackt, hat eine Chance. Als „Grünes Wachstum“, „Green Economy“ oder „Green New Deal“ segeln dabei sehr verschiedene Konzepte, auch verengte und gefährliche.

Der Green New Deal (GND) der Europäischen Grünen hat drei Säulen: Erstens sieht er massive Investitionen in ökologische Technologien und soziale Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit vor. Das schafft neue Arbeitsplätze, senkt rasch den Naturverbrauch und die CO2-Emissionen und löst die Verwertungskrise nach der Finanzkrise. Zweitens sind die internationalen Finanzmärkte konsequent zu regulieren und zu besteuern. So kann Kapital von der kurzfristigen Spekulation in die langfristigen Zukunftssektoren der Realwirtschaft gelenkt werden. Drittens beinhaltet der GND ein Reihe von Forderungen, um die Schere zwischen Arm und Reich zu mildern. Dazu gehört vor allem die Besteuerung von Kapitaleinkommen, großen Vermögen und des Umweltverbrauchs, auch um die nötigen Investitionen zu finanzieren.

Das Konzept besteht aus einer ganzen Reihe von wirtschafts-, industrie-, steuer-, umwelt- und sozialpolitischen Maßnahmen, die sich zu einem tiefen Umbaukonzept zusammenfügen. Ziel des GND ist es, die materiellen Bedürfnisse aller bei gleichzeitiger Verringerung des Naturverbrauchs zu decken.

Dazu braucht es absolute Grenzen für Treibhausgase, Rohstoffextraktion, Schutzgebiete. Anders als immer wieder behauptet, ist der GND nicht autoritär, sondern ein zutiefst demokratisches Projekt. Kritische KonsumentInnen, sozial-ökologische UnternehmerInnen, GewerkschafterInnen in Zukunftsbranchen, WählerInnen, aktive BürgerInnen in Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, InvestorInnen in Erneuerbare Energien – sie alle können sich am Grünen New Deal beteiligen.

Die Umbaubewegung nimmt Fahrt auf. Erneuerbare Energien, ökologische Landwirtschaft, ethische Geldanlage, Elektromobilität, Wärmedämmung von Gebäuden boomen. Das erzeugt eine Machtbasis für weitere Maßnahmen. Es entsteht im günstigsten Fall eine sich selbst verstärkende Umbaubewegung. Diese ist kein Wohlfühlprogramm für Feinschmecker von Konsenssauce. Das Wachstum der Zukunftssektoren bringt heftige Konflikte beim Ab- und Umbau der schmutzigen Sektoren. Sicher gibt es Andere, die den Begriff GND alleine auf „Ökoinvestitionen“ reduzieren. Das wird den Herausforderungen nicht gerecht. Vor allem kann es keine Lösung der ökologischen Krise geben, die nicht auch sozial ist – national wie international.

Kritische Grundsatzfragen sind berechtigt. Dem Kapitalismus wohnt der Drang zu unendlichem Wachstum inne. Auf einen begrenzten Planeten ist das nicht möglich. Auch die riesigen Investitionen zur schnellen Schrumpfung des Naturverbrauchs werden als Begleiterscheinung zu Wachstum führen. Das ist aber nicht der Zweck des GND. Ob die Wirtschaft wächst oder nicht, ist nicht entscheidend, solange die Tragfähigkeit des Planeten geschützt wird.

Mittelfristig brauchen wir ein ganz anderes System. Falsch ist es aber, die Gunst der Stunde nicht zu nutzen, um das Mögliche und Bekannte durchzusetzen. Der Klimawandel fordert eine schnelle Wende. Sie muss im Rahmen des kapitalistischen Systems erreicht werden. Die VertreterInnen der Post-Wachstumsökonomie, die den GND grundlegend ablehnen, erinnern an RevolutionärInnen, die Reformen bekämpfen – der alte, unproduktive Streit.

Ohne einen GND wird es eine Postwachstumsökonomie niemals geben. Und ohne Kritik an seinen Grenzen können wir weitergehende Fragen nicht beantworten.

Sven Giegold ist Mitglied des Europäischen Parlaments für die Grünen. Zuerst erschien dieser Text im Magazin Südlink von inkota.de

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