Krisenreporterin: Die harte Droge Wirklichkeit

Journalismus Vierzehn Jahre lang reiste Gabriele Riedle für das Magazin „Geo“ in die Krisengebiete der Welt. Ihr vierter Roman handelt davon
Ausgabe 18/2022
Szene aus dem Krieg in Libyen. Dieses Foto von einem zerbombten Treibstoffdepot stammt aus dem Jahr 2011
Szene aus dem Krieg in Libyen. Dieses Foto von einem zerbombten Treibstoffdepot stammt aus dem Jahr 2011

Foto: Ricardo Garcia Vilanova/AFP/Getty Images

Kurz bevor der britische Fotojournalist und Dokumentarfilmer Tim Hetherington 2011 in Libyen von einer Granate zerfetzt wurde, twitterte er: „In der belagerten libyschen Stadt Misrata. Rücksichtsloses Granatfeuer durch Gaddafis Streitkräfte. Von der NATO nichts zu sehen.“ Man muss nicht viel verändern, um diesen Tweet auf die aktuelle Situation in der Ukraine umzuschreiben. Dort sind bis Anfang April bereits fünf Journalisten getötet worden.

Hetheringtons Tod ging um die Welt und Gabriele Riedles Roman läuft auf diesen Tod zu. Die 1958 in Stuttgart geborene Reporterin ist viele Jahre für das Geo-Magazin durch die Welt gereist, um den Menschen in Deutschland zu erklären, was in Krisengebieten wie Afghanistan, Südafrika, Liberia oder Libyen vor sich geht. Die Erfahrungen, die sie dabei gemacht hat, sind in ihren vierten Roman eingeflossen. Darin erzählt eine namenlose Ich-Erzählerin von ihrem Leben als Krisenreporterin. Von ihrer kleinen Wohnung in Berlin bricht diese Frau immer wieder auf, um das Wehen und Walten des Hegel’schen Weltgeistes in Kabul, Port Moresby, Monrovia oder Tripolis zu beobachten. Mit preisgekrönten Fotografen wie Tim (Hetherington) für eine unbestimmte Zeit zusammengewürfelt, um In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. die Geschichten hinter den Schlagzeilen zu recherchieren.

In Kabul begegnet sie einem ehemaligen afghanischen Königssohn, der selbst fotografiert. Trotz Bilderverbot betreibt er ein Fotostudio, weil auch ein Steinzeit-Regime wie das der Taliban Passbilder für Ausweispapiere brauchte. „Der Sohn des Königs berichtete also, dass die Taliban ihn gezwungen hatten zu tun, was getan werden musste, auch wenn es nicht getan werden durfte, und deshalb eigentlich auch gar nicht geschah.“

Hier klingt der ironische-entlarvende Ton an, mit dem Riedles Erzählerin ihre ungewöhnlichen Eindrücke beschreibt. In der im Nordkaukasus gelegenen autonomen Republik Inguschetien trifft sie auf die temperamentvolle Gattin des Groß-Imams und erfährt, wie der Prediger ins Visier von Wladimir Putin geriet, weil er in seinen Freitagspredigten vom Frieden im Kaukasus träumt. Im liberianischen Dschungel spricht sie mit einem ehemaligen Kindersoldaten, den sie General Nacktarsch nennt. Seinen Namen trägt dieser ehemalige Jünger von Charles Taylor, weil er damit prahlt, stets nackt in den Kampf gezogen zu sein.Inzwischen lässt sich Nacktarsch, der „einst leider, leider die Befehle vom Teufel höchstselbst entgegengenommen hatte“, im Land als geläuterter Hippie und Prediger feiern.

Was der Chefredakteur will

Diese Anekdoten reihen sich zu einer atemlosen „Rhapsodie der von allen möglichen Abfallhaufen zusammengeklaubten Lumpen“, die das stetige Nachdenken der Ich-Erzählerin über den Krisenjournalismus bekleiden. Da sind einerseits die redaktionellen Forderungen nach Unterhaltung. Schließlich bräuchten die Leser:innen „Zuversicht in diesen schwierigen Zeiten“, „helle Bilder statt dunkle und leuchtende Farben selbst aus den finstersten Gebieten“, erinnert „der Chefredakteur“ beständig die Ich-Erzählerin. Derlei Wunschdenken in den Redaktionen wäre am Relotius-Skandal noch aufzuarbeiten und sollte man sich vor Augen halten, wenn man jetzt Reportagen aus der Ukraine liest.

Und andererseits sind da die persönlichen Grenzen der Krisenreporter:innen im Umgang mit dem Erlebten. „Aufgeputscht durch die harte Droge Wirklichkeit, ausgelaugt von Hitze und der Überforderung der Seele und des Verstandes“ irrt Riedles Alter Ego in diesem verspielten und kulturell tiefgreifenden Text durch eine Welt, in der Steinzeit und Moderne, Blut- und Erholungsbad immer nur einen Auftrag voneinander entfernt sind.

Gabriele Riedle ist studierte Literaturwissenschaftlerin und hat lange fürs Feuilleton geschrieben. Bei einer Recherche über Beutekunst lernte sie den russischen Schriftsteller Viktor Jerofejew kennen. Mit ihm schrieb sie 1998 ihren ersten Roman Fluss (Aufbau-Verlag), bevor sie 14 Jahre für Geo durch die Welt reiste.

In ihrem vierten Roman verbindet sie die Kunst der Kulturkritik mit der Kunst der Reportage. Er handelt von Selbstzweifeln und Idealen, von unmenschlichen Eindrücken und menschlichen Verlusten. Er ehrt all jene, die „im Dienste von Abenteuer und Aufklärung“ ihr Leben riskieren.

Info

In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. Gabriele Riedle Die Andere Bibliothek 2022, 264 S., 44 €

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden