Im Juni aufzubrechen, bevor die Sonne aufgeht, bedeutet wenig zu schlafen. Ruhig ist es in den halb verlassenen Dörfern um den Tagebau Garzweiler, in denen noch bis vor kurzem penibel gepflegte Gärten mit der vollen Kraft des Frühlings zuwuchern und verwildern. Pferdekoppeln, alte Häuser und noch ältere Bäume liegen in der Dunkelheit. Nichts wirkt, als würde es darauf warten, in den nächsten Jahren zerstört und vom Tagebau einverleibt zu werden. Niemand scheint in der Lage zu sein, sich wirklich vorstellen zu können, dass diese friedliche Landschaft vom Tagebau verschluckt und ausgelöscht wird. So wie niemand in der Lage zu sein scheint, wirklich zu verstehen, was es bedeutet, wenn die Kohle, die die Bagger unter den Dörfern aus dem Boden reißen, verbrannt wird. Und alle die anderen fossilen Brennstoffe weiter verbrannt werden und unsere Erde sich um 3, 4 oder 5 Grad erhitzt.
Unsere Sachen sind fertig gepackt, Wasserflaschen, etwas zu essen, Kopftaschenlampen, ein riesiges Stoffbanner, auf dem in großen Lettern „In was für einer Welt wollen wir leben?“ steht.
Und während wir von Covid-19 in die nächste Rezession schlittern, während Menschen, die schon vor der Pandemie hart schuften mussten, ihre Jobs und damit ihre Lebensgrundlage verlieren, während die „Solidarität“ der Bundesregierung weiter an den Mauern der Festung Europa halt macht und Rassismus wie Gewalt durch Polizisten offenbar werden, kommt mir immer wieder diese Frage in den Kopf: In was für einer Welt wollen wir leben?
Auf Kosten der anderer?
Wollen wir für den Preis unserer Umwelt Wirtschaftswachstum befeuern, das uns selbst in immer schneller werdende Selbstverwertung zwingt? Wollen wir auf Kosten anderer leben? Menschen an unseren Grenzen sterben lassen? Wollen wir eine Gesellschaft, in der wir wissen, dass andere auch gute Gründe haben, auf unsere Kosten zu leben?
Oder ist es nicht längst Zeit, dass wir ein Gesellschaftssystem überwinden, das nicht nur unsere Erde bis zum Kollaps zerstört, sondern uns auch eine Entfremdung und Vereinzelung aufzwingt, mit der zu leben bedeutet, getrennt von dem zu sein, was uns wichtig ist?
Keine dieser Fragen lässt sich allein beantworten, denn es geht nicht darum, den Lebensstil oder die Einstellung zu den Dingen zu verändern, sondern darum, die Bedingungen unseres Handelns zu verändern. Und das können wir nur gemeinsam.
Die Zeit, in der wir auf die Regierung gewartet haben, in der wir sie aufgefordert haben, endlich das zu tun, was nötig ist, ist vorbei. Unsere Aktion richtet sich nicht an sie, sondern an all jene, deren Antwort auf die Frage, in welcher Welt wir leben wollen ist: in einer solchen nicht. Und diese Menschen sind mehr als man sehen kann, unendlich viel mehr, als auf den Baggern oder auf der Straße.
Wir wissen, was wir gewinnen können
Wir blockieren diese Bagger nicht nur, weil wir wissen, dass wir eine Welt ohne Dörfer fressende, Zukunft verheizende Kohlebagger brauchen, sondern auch weil wir wissen, dass eine solche Welt möglich ist.
Aus jeder Aktion die versucht die Zerstörung aufzuhalten, spricht nicht nur, dass wir uns gegen Braunkohle und fossilen Kapitalismus wehren, sondern auch, dass wir Hoffnung haben. Dass wir weder bereit sind, diesen wunderschönen Planeten aufzugeben, noch der Erzählung glauben, die behauptet, es gäbe keine Alternativen. Weil wir wissen, dass diese andere Welt, in der die Beziehungen aus Solidarität und nicht aus Konkurrenz und Ausschluss gestrickt sind, schon in dieser Welt schlummert. Und so machen wir nicht nur weiter, weil wir so viel verlieren werden, wenn wir nicht handeln. Sondern auch, weil wir wissen, was wir alles gewinnen können, wenn wir handeln.
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