Die Hüter des Zauns

FLUGHAFEN FRANKFURT Ihre Front ist breiter als vor zwanzig Jahren - Sie protestieren auch gegen Pläne, über die Startbahn West wieder Gras wachsen zu lassen

Es ist fast wie in alten Zeiten. Transparente, Sprechchöre, simulierter Fluglärm aus Lautsprechern, jede Menge Polizei und Ausweiskontrollen an den Eingängen der Rhein-Main-Halle in Wiesbaden. Auf der einen Seite die bunte Schar der Ausbaugegner, auf der anderen smarte Vertreter von Lufthansa, Flughafen Frankfurt AG (FAG) und Landesregierung - die Rollen beim dreitägigen Hearing zum Ausbau des Frankfurter Flughafens in der vergangenen Woche waren fest verteilt. Den Applaus aus den Reihen der Gegner für ihren Sprecher Martin Kessel verstand ein sichtlich nervöser Veranstaltungsleiter - Landtagspräsident Klaus-Peter Möller (CDU) - als "Kriegserklärung".

Was die Gemüter im Rhein-Main-Gebiet erregt, ist ein Bauvorhaben, dessen Vorläufer vor 20 Jahren zu schweren Auseinandersetzungen geführt hat - die Startbahn West, einstmals Symbol für den Massenprotest gegen kapitalistische Großprojekte. Wo einst ein Hüttendorf stand und in einer Wald-Universität Vorlesungen abgehalten wurden, setzen heute Jumbos mit ohrenbetäubendem Lärm zur Landung an.

Nach Fertigstellung verkündete der damalige Ministerpräsident Holger Börner 1984, mit dem Bau der Startbahn West sei die Wachstumsgrenze für den Flughafen markiert worden. Kapazitätserweiterungen könnten künftig allenfalls "innerhalb des Zaunes" stattfinden. Mehr sei Bürgern und Gemeinden nicht zuzumuten. Dieses Versprechen hielt knapp 15 Jahre. Inzwischen ärgert sich Lufthansa-Chef Jürgen Meyer lauthals über die teuren Warteschleifen, zu denen seine Flieger über dem Rhein-Main-Gebiet gezwungen werden. Die hessische SPD plädiert schon länger für einen Ausbau über den Zaun hinaus.

Das Schreckgespenst, das der neue Widerstand in der Region bei Politikern, wie besagtem Landtagspräsidenten, heraufbeschwört, hat indes wenig Anknüpfungspunkte. Fragen wie Lärmschutz und Landschaftsverbrauch und nicht die grundsätzliche Kritik an einem industriellen Großprojekt beschäftigen die Gemeinden und Bürgerinitiativen, die sich über alle Parteigrenzen hinweg zusammengeschlossen haben, um den Anwohnern auf juristischem Wege und mit einer 15 Millionen Mark dicken Kriegskasse eine geruhsame Nacht zu verschaffen. Dass die Protestfront vielzähliger und breiter ist als noch zu Beginn des Ungehorsams gegen die Startbahn West, ließ BI-Sprecher Kessel schon von einer "neuen Qualität des Widerstandes" sprechen.

Den Vertretern von Lufthansa und FAG fällt es inzwischen leichter, mit den Muskeln zu spielen - Symbol Startbahn West hin oder her. Anfangs versuchten sie noch, in einem Umweltbericht akribisch nachzuweisen, dass die Lärmbelastung pro Flugbewegung erheblich nachgelassen haben. Und der Tat ist der inzwischen häufig eingesetzte Airbus A 320 erheblich leiser als etwa die alte Boing B 727-200 - die Wachstumsraten fressen dies jedoch gleich wieder auf. Allein von 1997 bis 1998 stieg die Zahl der Flugbewegungen um mehr als 7 Prozent.

Die Wirtschaftsvertreter scheinen inzwischen eigene Lehren aus Zeiten der Startbahn West gezogen zu haben. Damals spielte die Polizei die Protestbewegung mit Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Verhören aus. Die politischen Strukturen zerfielen, der interne Streit über Widerstandsformen brachte die Aktionen am Frankfurter Flughafen zum Erliegen.

Für Spaltungsversuche wählen sie heute aber feinere Klingen. Den in jahrelanger mühseliger Arbeit im so genannten Mediationsverfahren ausgehandelten Kompromiss - Ausbau mit umfangreichen flankierenden Lärmschutzmaßnahmen und einem Nachtflugverbot - stellten die Lufthansa-Manager schon im Vorfeld der Landtagsanhörung wieder in Frage. Ein völliges Nachtflugverbot zwischen 23 und 5 Uhr sei für die FAG nicht akzeptabel, sagten sie, und ließen damit die Mediatoren, die ohnehin schon dem Verdacht ausgesetzt waren, an einer reinen Alibiveranstaltung teilzunehmen, im Regen stehen.

Die Schlichtung hatte noch zu Amtszeiten Ex-Ministerpräsident Hans Eichel als vorgeblich "ergebnisoffenes Informations- und Beratungsverfahren" angeregt, um die Konfliktbeteiligten - Flughafenbetreiber, Landesregierung, Umweltschützer, Anwohner - schon frühzeitig einzubinden. "Und damit die Basis gelegt, nur noch über das ›Wie‹ des Flughafenausbau zu streiten", wie sich Steffi Barisch von der Umweltschutzorganisation Robin Wood erinnert. Mediator Kurt Oeser, Startbahngegner der ersten Stunde, wehrt sich vehement gegen das Verwässern des Verhandlungsergebnisses seitens der FAG - "Wenn, dann nur als Ganzes, dazu stehe ich". BI-Sprecher Martin Kessel spricht unterdessen jedoch schon von einer "gescheiterten und manipulierten Mediation". - Auch, weil nach den Gesprächen schon wieder mehrere Planungsvarianten in die Diskussion gebracht worden sind, die die Gemeinden unterschiedlich belasten und neue Keile in die Protestfront treiben.

Unter den vier Entwürfen, die derzeit noch in der Debatte sind, bevorzugen die Flughafenbetreiber neuerdings offenbar eher die südlichen. Kommt es zum Ausbau als doppelte Südbahn - dem sogenannten Atlanta-Modell -, würde ein besonderer Treppenwitz der Geschichte anstehen: Dann würde die Startbahn West wieder aufgeforstet werden.

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