Die Intentionen sind los

Bühne Was passiert, wenn PeterLicht die Krise in Klang verwandelt?

Was wir sagen, was wir tun, was wir denken – alles durchläuft den großen hermeneutischen Fleischwolf, der die immer neue Krisenwurst produziert. Sie ist der Fetisch, an dem sich das politische und gesellschaftliche Leben ausrichtet – und PeterLicht, der spätkapitalistische Popmelancholiker, singt ihr in seiner musikalischen Aktion Das Sausen der Welt ein Lied.

Der Kölner Musiker mit starkem Hang zum Theater weiß natürlich, dass die Krise alles andere als ein Zufall, sondern eher selbst ein Produkt ist: „Sie wurde zugeschnitten/nach alter Väter Sitte/auf ein Bedürfnis/damit wir sie kaufen“. Wenn Andreas Grötzinger einen Dialog zwischen Krisenverkäufern und Krisenkäufern rezitiert, macht er seinen Körper zum Marktplatz der Verkaufsverhandlungen. Während eine Trommel einen monotonen Rhythmus vorgibt, durchlaufen die Anpreisungen, die Warnungen, das empörte „Ohje, Ohje“ wie Wellen Rumpf und Glieder.

Ordnung im Chaos

PeterLichts Das Sausen der Welt ist alles andere als ein konziser Text zum aktuellen Wirtschaftskrisenszenario. Da reihen sich Nonsens-Dialoge („Tässchen Espresso? Aäääh Tässchen Espresso? Aähm, ich…“) an Analysen oder Traumfragmente zu einem assoziativen Konvolut. Die wilde Kombinatorik wirkt allerdings beiläufiger und zufälliger, als sie ist.

PeterLicht nähert sich der Krise unter wahrnehmungsästhetischen Kategorien. Ironisch-altmeisterlich steht am Anfang ein Ave Maria: „Gegrüßet das Sausen der Welt/Gegrüßet die Geräusche“. Maik Solbach gibt am Mikro den Hohepriester der Beschwörung, sieben weitere Schauspieler und ein vierköpfiger Chor unterstützen ihn murmelnd. Irgendwo zwischen musikalischen Kosmogonien und Joachim-Ernst Behrendt, dem deutschen Jazzpionier, wird alles Klang, von den Sprachen der Läuse über das Summen der Gedanken, den Tinnitus der Hoffnung bis zum, man ahnt es, „König allen Klangs“: „Gegrüßet, Du Klang der Krise!“ Dem durchdringenden Tönen, das den Körper bis in seine letzten Fasern erfasst, entspricht die Farbentsättigung der visuellen Wahrnehmung: Ruth Marie Krögers bewegendes Traumgespinst erzählt von einer ins Grau rutschenden Welt, die die Betrachterin nicht mehr zu erfassen in der Lage ist: „Und konnte nur noch nennen ein paar hingeworfene Zeichen“.

Das Regieduo Alexandra Dederichs und S. E. Struck, die unter dem Label „See!“ firmieren, machen gar nicht erst den Versuch, die Texte einer Deutung zu unterziehen. Sie arrangieren die Darsteller und Chorsänger auf der mit einem silbernen Vorhang ausgehängten Spielfläche (Bühne: Gerburg Stoffel) in der Expo XXI, dem Ausweichquartier des Kölner Schauspiels. Die Schauspieler ballen sich am Mikro, werfen sich zu Boden, kreuzen hektisch die Bühne, während das Trio Ben Lauber, Christoph Hamann und Nils Tegen an Klavier, Geige, Schlagzeug und Keyboards einen Klangteppich darunter ausbreitet.

Kompositorisch bleibt der Abend hinter seinem eigenen Anspruch zurück – die flachen Akkordballungen, die sparsamen melodischen Fragmente dienen eher der Textuntermalung, als dass sie musikalische Eigenständigkeit behaupteten. Dennoch denkt man an John Cage: Es liegt eine merkwürdige Intentionslosigkeit über dem Abend. Kein Aufschrei, keine wasserdichte Analyse, sondern sensorische Krisenwahrnehmung, die von schleichendem Zerfall berichtet. Und die sich festsetzt – weit über das Ende hinaus.

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