Zum Thema Juden in Polen gab es in letzter Zeit zwei Ausstellungen in Berlin: »Im Gedenken an die polnischen Juden«, die das Polnische Kulturinstitut noch bis Ende des Monats im Rahmen weiterer Veranstaltungen zum 56. Jahrestag des Warschauer Ghettoaufstandes am 19. April zeigt. Sie enthält Fotografien und Filme aus dem Archiv des Warschauer Dokumentar- und Spielfilmstudios. Zwei polnische Filme aus der Nachkriegszeit handeln vom Warschauer Gheottoaufstand. Der erste schildert interessanterweise wohl eine der frühesten Gedenkveranstaltungen überhaupt: April 1945 in der Synagoge von Rom, nach dem Sieg bei Monte Cassino, würdigten Soldaten der Armee von General Anders die gefallenen Kämpfer und Kämpferinnen des Aufstandes. Der zweite Film, Requiem dla
em dla 500 tysiecy (Requiem für 500 Tausend) handelt vom Ghettoaufstand selbst. 1963 gedreht, benutzten Jerzy Bossak und Waclaw Kazmierczak einige der Filmdokumente, die den Hauptteil dieser Ausstellung ausmachen, nämlich die Fotos und Filme der deutschen Besatzer Polens, der offiziellen deutschen Fotografen. Etliche Bilder aus diesen Filmen wurden schon damals gezeigt, die übrigen waren als Schulungsmaterial für die SS und die Gestapo gedacht. Einiges, das erstaunlicherweise als zu schockierend eingestuft wurde, wurde heimlich in den Archiven des Dritten Reiches versteckt. Erstaunlich deshalb, weil schon der Idee, die Leiden der Juden zu fotografieren und zu verfilmen, ein beispielloser Zynismus und eine Kälte zugrunde liegen, durch die der Holocaust sich von allen anderen Verbrechen unterscheidet. Das beweisen diese Filmdokumente.In einem der Filme läuft eine Reihe von Kindern die Straße entlang, auf dem Kopf trägt jedes Kind einen Stuhl, sie »ziehen um« auf die andere Seite der Weichsel nach Podgorze, in das von den Deutschen eingerichtete Ghetto von Kraków. Das sind die authentischen Bilder zu Schindlers Liste, die Spielberg nicht brachte. Frauen, vor allem jüngere, in einer Nähfabrik im Ghetto von Dabrowa Górnicza, 1940 bis 1941, schauen unsicher in die Kamera. Ihre Nähmaschinen rattern im Takt; sie legen einen vorbildlichen Fleiß an den Tag - einen deutschen Fleiß - sie nähen um ihr Leben. Im Warschauer Ghetto, im Theater Nowy Azazel, singt Sulamita. »Ostatni dni« - letzte Tage - lautet die Ankündigung auf den Plakaten. Sulamitas letzte Tage, die letzten Tage aller, die auf den Fotos von diesen Filmdokumenten zu sehen sind. Die Deutschen waren auch in ihren Dreharbeiten gründlich. Sie filmten Menschen in ihren letzten Lumpen, nachdem sie ihnen sonst alles abgenommen hatten, außer ihrem Leben. Sie filmten Menschen, die nur noch auf den Knien kriechen konnten, sie filmten sie beim Einsteigen in die Züge, die sie in den Tod fuhren: davor wurden ihnen die allerletzten Münzen aus den Taschen geholt. Ein Wunder, daß sie nicht bis in die Gaskammern hinein fotografiert wurden.Die Wanderausstellung »Juden in Polen. Fremde im eigenen Land?« (noch zu sehen in NRW und Leipzig) setzt den Schwerpunkt auf die Beziehungen zwischen Juden und Polen. Auf 24 Tafeln wird die Geschichte der polnischen Juden von den Anfängen - vor etwa tausend Jahren - bis heute erzählt. Die Ausstellung wurde von polnischen Historikern in Kraków zusammengestellt, Mitarbeiter des Jüdisch-Historischen Instituts Warschau wirkten beratend mit. Das Ergebnis ist fein und ästhetisch ansprechend, zeigt nicht nur die bekannten dunklen Kapitel der Geschichte ehrlich auf, sondern auch lichtere, weniger bekannte, wie zum Beispiel die gu ten Lebensbedingungen und die Autonomie der polnischen Juden bis Ende des 17. Jahrhunderts, auch die Solidarität zwischen Polen und Juden in den polnischen Unabhängigkeitskämpfen. Selbstverständlich bietet das Ganze nur einen Überblick, eine Anregung, sich mit der Geschichte vertieft zu beschäftigen, doch als Wanderausstellung, die schon in Polen erfolgreich gelaufen und besonders für Schulen und Jugendliche gedacht ist, bietet sie ausreichend Informationen, um jenseits von Stereotypen auf beiden Seiten ein differenziertes Bild der Verhältnisse zu vermitteln. Deutsche Besucher, die sich aus unerklärlichen Gründen immer noch berufen fühlen, mit erhobenem Zeigefinger auf die »antisemitischen Polen« zu weisen, mögen überrascht sein. Ich hingegen hätte gern einen Hinweis auf den verheerenden Anteil gesehen, den die deutsche Politik am Vorkriegsantisemitismus in Polen hatte. Auf die heikle Geschichte der Partisanen während des Krieges wird nicht eingegangen, aber all diese Ambivalenzen und Komplexitäten polnisch-jüdischer Beziehungen sind Themen für sich und werden Historiker auf beiden Seiten noch lange beschäftigen. Erfrischende Aufnahmen von heute ergänzen die Ausstellung: Polnische Schülerinnen und Schüler, die an einem Krakower Gymnasium Hebräisch lernen, erhalten Besuch aus Israel und reisen auch dorthin. (Ich kann nur hoffen, daß sie an israelischen Schulen jetzt endlich aufgehört haben, die Polen pauschal als Judenhasser zu beschimpfen und so Kontakte zwischen israelischen und polnischen Jugendlichen auf dem »Marsch der Lebenden« schon von vornherein zu verhindern.)Im Gedenken an den Holocaust bis 25.4.1999 im Polnischen Kulturinstitut Berlin
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