Wenn bei Anne Will die Lautstärke bedrohlich anschwillt und den Stammgästen die Argumente auszugehen drohen, zieht garantiert einer den ultimativen Joker: „Sie wollen hier doch jetzt keine Neiddebatte anzetteln ...?!“ Die Frage ist rein rhetorisch, wird oft unterstrichen mit Augenrollen oder angeekeltem Kräuseln der Mundwinkel, und verfehlt selten ihren Zweck: Politische Diskussionen über Ungleichheit oder Verteilungsgerechtigkeit landen prompt auf dem Niveau einer Schulhof-Pöbelei. Denn das N-Wort sticht immer. Selbst unter den sieben Todsünden ist Neid die mit Abstand unpopulärste. Und anders als Wollust, Faulheit oder Völlerei macht es auch nicht den geringsten Spaß, neidisch zu sein. „Als Neid bezeichnen wir das wütende Gefühl, dass eine andere Person etwas Begehrenswertes besitzt und sich daran erfreut – der neidische Impuls besteht darin, dieses Objekt der Begierde zu rauben oder zu zerstören“, schreibt die Psychoanalytikerin Melanie Klein in Neid und Dankbarkeit.
Es geht dabei nicht bloß um materielle Dinge, sondern auch um soziale Stellung oder bewunderte Fähigkeiten. Nicht Gier, sondern Unglück über das Glück des anderen, treibt den Neider an; sein Ziel ist nicht die Gleichheit des Habens, sondern die Egalität des Nichthabens. In einer Wettbewerbsgesellschaft, in der nicht mehr allein Leistung und Können über Erfolg und Misserfolg entscheiden, sondern ebenso sehr Chuzpe und kulturelles Kapital, gelten Neider als hässliche, uncoole Verlierer-Typen. Auch deshalb taugt Neid perfekt zum politischen Kampfbegriff: Schließlich möchte niemand ein missgünstiger Loser sein.
Huths „hässliche Fratze“
Peter Huth, Chefredakteur der Welt am Sonntag, hämmerte gerade erst in diese Kerbe, mit einem durch und durch hetzerischen Kommentar: „Am 1. Mai zeigt Deutschland Jahr für Jahr eine hässliche Fratze, es ist der Feiertag des Sozialneids.“ Die Wut auf Wohlhabende verbinde die unterschiedlichsten Deutschen, selbst CDUler wollten Managergehälter deckeln, empört sich Huth und behauptet, Umverteilen sei ein deutscher Lieblingssport. Sein Fazit: „In einer Infrastruktur aus Neid entwickelt sich kein Wettbewerb der Besten um den ersten Platz.“
Nun stellt sich natürlich die Frage, ob es für deutsche Arbeitnehmer ein motivierender Ansporn ist, wenn sie in der Zeitung lesen, dass der in den USA per Haftbefehl gesuchte Ex-VW-Chef Martin Winterkorn trotz allem weiterhin eine Rente von 3.100 Euro bezieht – pro Tag. Wohl eher stellt sich das Gefühl von Ungerechtigkeit ein, von Ungleichbehandlung – und eben auch Neid. Doch das Gefühl ist wesentlich komplexer als sein Ruf. Neid kennt viele Abstufungen und Nuancen, er ist ein lebenslanger Begleiter. Schon der Säugling ist neidisch auf die Brust der Mutter und was zwischen Geschwistern mitunter abläuft, berichtet bereits das Alte Testament. Zeit also, einmal gründlich über den Begriff nachzudenken, vor allem über die Frage: Hat Unzufriedenheit mit der Verteilungsordnung zwangsläufig etwas mit Neid zu tun?
Im Psychoanalytischen Salon des Hamburger Thalia Theaters suchten der Soziologe Sighard Neckel und der Psychoanalytiker Eckehard Pioch letzte Woche nach möglichen Antworten auf diese und andere Fragen zum Thema. Das Interesse war enorm. Menschen aller Generationen quetschten sich in das brütend heiße Café unterm Dach. Die meisten wirkten wie protestantisch-liberale Zeit-Leser; kontrovers diskutieren oder gar herumschreien, wie bei Anne Will, wollte keiner von ihnen.
Eckehard Pioch, Mitherausgeber des im letzten Jahr erschienenen Buchs Neid: Zwischen Sehnsucht und Zerstörung, eröffnete den Abend mit einem etwas platten didaktischen Witz. Es ging um kulturelle Unterschiede zwischen Amerikanern und Deutschen, mit denen der Berliner die beiden grundlegenden Varianten von Neid beschreiben wollte: Mal zeige er sich als Sehnsucht und Ansporn; mal als Häme und Destruktivität. Bei den Kämpfern des Islamischen Staats sei beides zu erkennen: Viele von ihnen waren früher nicht sehr gläubig, bewunderten insgeheim den Westen und versuchten dort Fuß zu fassen. Doch das Scheitern dieser Sehnsucht erlebten diese Männer als Kränkung und ungeheure Enttäuschung. Im Kampf gegen das Neid-Objekt leben sie ihren narzisstischen Wunsch nach Omnipotenz aus – als hasserfüllte Loser im Namen Allahs.
Im reichen Deutschland geht der Neid eher von Egoisten aus, die über den angeblichen Egoismus der anderen ausrasten. Ausgerechnet Flüchtlinge, die Hilfe benötigen und außer ein paar Habseligkeiten kaum etwas besitzen, gelten hierzulande als dreiste Eindringlinge, die den Einheimischen die Sozialleistungen wegnehmen. Laut einer Studie, die der Konfliktforscher Andreas Zick von der Universität Bielefeld 2016 durchgeführt hat, empfindet nahezu jeder fünfte Deutsche eine undifferenzierte Wut auf Einwanderer. Dabei sind es offenbar nicht allein finanzielle und materielle Zuwendungen, die den Neid schüren. Oft geht es auch um die Mobilität, Sprachenvielfalt und den Mut der Flüchtlinge, sich an einem anderen Ort ein neues Leben aufzubauen, während die deutsche Man-wird-ja-wohl-noch-mal-sagen-dürfen-Fraktion an ihrem Heimatort festsitzt und von guten alten Zeiten träumt. Pioch stellt deshalb die Frage in den Raum: „Wer bin ich, wenn ich bin, was ich habe und dann alles verliere?“ Im Neid erkennt der Psychoanalytiker die Wahrnehmung eines Mangels, der anerkannt oder bekämpft werden kann.
Sighard Neckel, der an der Universität Hamburg Gesellschaftsanalyse und sozialen Wandel unterrichtet, definiert die zwei Seiten des Neids, anders als sein Vorredner, als Ehrgeiz und Egalität. Ehrgeiz ist eher eine persönliche Angelegenheit, mit oft hässlichen Seiten. Die Egalität dagegen wurde schon im 16. Jahrhundert von dem englischen Philosophen Francis Bacon gepriesen: „Der öffentliche Neid gleicht nämlich jenem wohltätigen Ostrazismus, der große Männer, wann sie zu einer unmäßigen Höhe emporsteigen, in die gebührenden Schranken zurückweist. Daher ist auch er den Mächtigen ein Zaun, um sich nicht allzu sehr zu erheben.“ Ostrazismus, besser bekannt als Scherbengericht, diente im antiken Griechenland dazu, unliebsame oder allzu mächtige Bürger aus dem politischen Leben der Stadt zu verbannen. Ein solches Verfahren, sagt Neckel mit süffisantem Grinsen, hätte uns in jüngster Vergangenheit sicher einigen Ärger erspart. Der Soziologe erkennt deshalb auch keine Neiddebatte, wenn in der Öffentlichkeit über die Begrenzung hoher Einkommen, Leistungsgerechtigkeit und die Notwendigkeit einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte diskutiert wird. Neid sei die Psychologisierung und Personalisierung von Ungleichheit, behauptet Neckel. Versorgungssicherheit, etwa durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen, könnte das Gefühl dämpfen.
Die Affen wissen Bescheid
Doch Neid hin oder her: dass Ungleichheit nur bis zu einem bestimmten Punkt akzeptiert wird, beweist ein Experiment, das der niederländische Zoologe Frans de Waal durchgeführt hat und auf das Sighard Neckel am Ende der Veranstaltung zu sprechen kommt: Zwei Affen werden auf unterschiedliche Weise dafür belohnt, dass sie dem Versuchsleiter einen Stein bringen. Der eine bekommt nur ein Stück Gurke, der andere erhält für die gleiche Leistung eine saftig-süße Banane. Eine eindeutige Ungerechtigkeit. Der Affe sieht das genauso. Das erste Stück Gurke isst er noch, doch schon mit dem zweiten bewirft er empört den Zoologen und schlägt wütend gegen die Wände seines Käfigs. Die viel beschworene Denkfigur des Homo oeconomicus, der, wie uns neoliberale Wirtschaftswissenschaftler gern versichern, stets rational handelt und auf seinen Vorteil achtet, hätte die Ungerechtigkeit akzeptiert und brav nach der Gurke gegriffen. Der Wissenschaftler Frans de Waal dagegen ist überzeugt, dass Affen und Menschen einen tiefen Gerechtigkeitssinn entwickelt haben, weil beide Gesellschaften nur mit kooperativem Verhalten überleben können. Fairness first!
Und was die Neiddebatten in Talkshows und Kommentaren angeht: Da sollte man vielleicht auch mal darüber nachdenken, den ein oder anderen Wortführer zu verdammen, gern auf zehn Jahre, so wie beim antiken Scherbengericht. Nicht aus Neid, sondern um sie in gebührende Schranken zu verweisen.
Kommentare 21
Der Wissenschaftler Frans de Waal hat recht, und das sollte die schräge Debatte über den Neid beenden: Schon die Tiere wie noch mehr die Menschen werden von den biologischen Doppelimpulsen des natürlichen Egoismus und des natürlichen Altruismus gesteuert. Man kann sogar den natürlichen Gleichgewichtspunkt quantitativ bestimmen. Kleinkinder zeigen, daß sie 50% + x / 50% - x teilen, bei größerer Abweichung von diesem Punkt eher ganz auf das Teilen verzichten als einem schäbigen Teilungsverhältnis zuzustimmen. Der kultivierte Sozialneid ist von denen gezüchtet, die maximal die Ressourcen raffen und privatisieren, und dann „Sozialneid“ schreien. Man sollte ihnen wegnehmen, was sie zu viel haben, und prüfen, ob sie dann frei von Sozialneid sind.
Der Grund für den fallenden "Nutzen" des Sozialneid-Arguments ist, dass es die Arroganz des Vorbringers oder der Vorbringerin zeigt. Wie es eleganter geht, zeigt der französische Regierungssprecher Benjamin Grivaux, Sprössling eines wohlhabenden Notars in "Le Parisien":
"Denen, die der Regierung täglich ans soziale Bein gehen und die wollen, dass wir mit einer pavlowschen öffentlichen Ausgabe die Symptome einer tiefen sozialen Krankheit behandeln, möchte ich sagen, dass wir die Ungleichheiten an der Wurzel angreifen, dass wir nicht die nächste Wahl spielen, sondern dass es uns um die nächste Generation geht."
Gerne schickt er per Tweet noch ein Zitat hinterher:
"Konfuzius sagte: "Wenn ein Mann Hunger hat, ist es besser, ihn Fischen zu lehren, als ihm einen Fisch zu geben.""
Der Treppenwitz dieser marktradikalen Kampagne ist, dass die – als Schreckgespenst an die Wand gemalte – Umverteilung noch nicht mal in Ansätzen stattgefunden hat. Nach wie vor findet Umverteilung hauptsächlich in die umgekehrte Richtung statt: durch Lohndumping, noch mehr Flexibilisierung, Freisetzung, Deckelung sozialer Angebote, Gentrifizierung, Wohnraum-Entnutzung, Mondmieten in Ballungsgebieten, Kulturkahlschlag und so weiter.
Ein Treppenwitz zu diesem Treppenwitz ist das seit der Krise 2008 neu entstandene Buch- bzw. Mediengenre »Globalisierungskritik« oder auch »Reichtumskritik«. Nicht, dass der Inhalt dieser Veröffentlichungen nicht soweit zutreffen würde. Die Präsenz des Themas in den Medien mag darüber hinaus auch begrüßenswert sein. Nur sagt die Medienpräsenz ebensowenig zum Stand des Themas aus wie eine Gewerkschaftskundgebung am 1. Mai: Grosso modo ist eher davon auszugehen, dass dass aufgegriffene Thema unter den Nägeln brennt – nicht, dass irgendwelche Schritte zur Abhilfe getätigt wurden.
Anders gesagt: 1000 Bücher zu »Reichtumskritik« machen weder einen Armen satt noch schaffen sie die Miete für selbigen bei. Das Thema ist allein deshalb »en vogue«, weil es dafür einen Markt gibt, also Interessenten. Dass die Lohnschreiber(innen) der Umverteilung (von unten nach oben) mal wieder ihre Federn spitzen, zeigt eher an, dass eine neue Umverteilungsrunde zu ihren Gunsten und denen ihrer Auftraggeber in die Wege geleitet werden soll.
Da hätte ich einen Vorschlag: wer mit dieser "Sozialneid-Keule"(Lüge) daherkommt, sollte freundlich aber bestimmt des "Feldes" verwiesen werden, denn das entspricht einem groben Foul im Fußball.
Ich hab’ zu dem Thema noch einen guten Witz:
A und B treffen sich. Sagt A zu B: »Hallo, du Glücklicher. Hab’ gehört, du bist seit Monatsanfang in Rende.«
Darauf B: »Ja – große Scheiße.» A schaut ihn an und fragt: »Warum?« Woraufhin B antwortet:
»Nunja – in meinem Bescheid steht, dass ich ab nun 356 Euro Rente an die abzuführen habe.«
Ich wage zu bezweifeln, daß Konfuzius diese Empfehlung aussprechen würde, ohne dem Hungrigen eine Angel und reichhaltige öffentliche Fischgründe zur Verfügung zu stellen. Aber wahrscheinlich meint Grivaux ja, daß diese Regierung den zukünftigen Generationen blühende Landschaften hinterläßt. Wie das gehen soll, wenn die Reichen immer reicher werden und die Landschaften in ihren Besitz bringen, das wissen nur die Medizinmänner dieser Gesellschaft.
Was als Sozialneid bezeichnet wird, ist ein ganz natürliches soziales Gerechtigkeitsempfinden – wichtig fürs Überleben (in) einer Gruppe. In kleinen Gruppen lässt sich Respekt und Fairness relativ schnell realisieren. In größeren, wie: Betriebsgemeinschaften, Kommunen ..., Staatsbürger- und Staatengemeinschaften mangelt es dem Einzelnen meist schon an Transparenz und Übersichtlichkeit, um präzise formulieren zu können, was fair wäre – leider aber auch allzu oft das Interesse. Obwohl die meisten Bürger das derzeitige Wirtschafts- und Politiksystem als unfair empfinden … Ein interessantes und ergiebiges Arbeitsfeld für die Linken.
„Was wäre fair?“ Ein allgemeines konstruktives Bürgerbrainstorming dazu, würde wahrscheinlich erstaunliche Ergebnisse zu Tage fördern – die wohl nur mit einem grundlegenden Politik- und Wirtschaftssystemwechsel zu realisieren wären.
>>Dazu müssten z.B. die ModeratorInnen der Talkshows den Mut aufbringen, die Golf- oder Polo-Freunde ihrer Chefs aus der Sendung werfen zu lassen.<<
Oder wir lassen den Schmarrn links liegen und wenden uns Interessanterem zu...
Am Affenbeispiel lässt sich etwas über Lohnarbeit lernen: Wenn der Forscher im afrikanischen Urwald mit der Banane winken würde, dann täte ihn wahrscheinlich kein Affe beachten. Sie können sich ihr Essen selber sammeln, abwechslungsreich, schmackhaft und gesund. Um den Affen dazu zu bringen, dem Oberaffen einen Stein zu holen in der Hoffnung, dass er eine Banane dafür bekommt, muss man nach Europa verfrachten: Dort gehört alles den ausgetickten Oberaffen, und der Normalaffe muss tun was der Oberaffe von ihm verlangt, damit er was zu essen bekommt. Mehr gibt es zur Lohnarbeit eigentlich nicht zu sagen ;-)
oh,je,
ihre wachsende vor-liebe für archaische vergleiche/rück-griffe
mit versimpelungen hat ihren sog(ich weiß davon),
entfernt sich aber von erklärungen komplexer systeme.
tja, den hungrigen das fische-fangen beizubringen,
nachdem der see privatisiert wurde,
hat eine lange tradition in der geschichte der kapital-akkumulation.
s.o.
und der see-besitzer kalkuliert,
zu welchen preisen er fang-lizenzen
zu geben bereit ist...
und obiges verfahren
setzt ein system der privat-eigentums-sicherung voraus,
von dem mancher weise lieber schweigt.
da brauchts mehr als goethe-lektüre:
stephan schulmeister: der weg zur prosperität.
rezensiert in der ZEIT: die wut des ökonomen....
* * * * *
Nicht nur @ denkzone8
Die Wut des Stephan Schulmeister ist nachvollziehbar. Da ich seine Schriften nicht kenne, wäre es interessant zu wissen, ob er zur marxistischen Analyse und den intuitiven Überzeugungen hier im linken Lager Neues, Erhellendes beizutragen hat, denn es muß um mehr gehen als ablehnende Wut. Es wäre schön, wenn das jemand zusammenfassen könnte.
betr. wwalkie: "Konfuzius sagte: "Wenn ein Mann Hunger hat, ist es besser, ihn Fischen zu lehren, als ihm einen Fisch zu geben."
Oh weh mir unwürdiges Mensch, der ich es wage, den großen Konfuzius zu kritisieren.
Die oben genannte Aussage zielt im Grunde darauf ab, dass man mit Qualifikation alle ökonomischen Probleme der real existierenden kapitalistischen Marktwirtschaft lösen könnte.
Zweifelsohne sind Aus-, Fort- und Weiterbildung in modernen kapitalistischen Gesellschaften und vor allem in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland eine wichtige Voraussetzung, um mit seiner Arbeitskraft am Markt überhaupt ein Einkommen erzielen zu können. Die Arbeitslosenquote von Hochschulabsolventen ist nachweislich geringer als die Arbeitslosenquote von Personen ohne abgeschlossene Schul- bzw. Berufsausbildung. Das heißt aber nicht, dass es in Deutschland keine arbeitslosen Akademiker gibt, die von Hartz IV leben müssen oder alle Akademiker eine Million Euro im Jahr verdienen.
Und was wäre, wenn alle Bürger in Deutschland tatsächlich eine abgeschlossene Hochschulausbildung hätten? Wer wischt dann für ein paar Euro in der Stunde jeden Tag den Kranken im Krankenhaus und den Alten im Altenheim den Hintern ab? Der "christliche" Herr Dr. Markus Söder, unsere neoliberal-konservative Bundeskanzlerin alias „Mutti“ Merkel, der „Wirtschaftsexperte“ Herr Prof. Dr. Sinn oder Herr Spahn, der amtierende Bundesgesundheitsminister von der CDU? Da habe ich allerdings meine berechtigten Zweifel, dass sich die feinen Herrschaften für ein paar lausige Euro pro Stunde die eigenen Finger dreckig machen.
Wenn es vor allem in den Großstädten und Ballungsgebieten nicht genügend Krankenschwestern und -pfleger gibt, weil vom Einkommen nach Abzug der Miete für die 1-Zimmer-Komfort-Wohnung fast nichts mehr übrig bleibt, dann löst man dieses Problem nicht dadurch, dass man den Krankenschwestern und Krankenpflegern beibringt, wie man noch größere und/oder noch mehr Fische fängt, mit anderen Worten im Sinne der neoliberal-konservativen Doktrin: noch länger bzw. noch effizienter arbeitet.
Dieses Problem löst man nur dadurch, dass unsere Gesellschaft bezahlbaren Wohnraum schafft und/oder die betreffenden Beschäftigten so bezahlt werden, dass das Einkommen für mehr reicht als für die Miete.
Der vielgepriesene „Markt“ wird jedenfalls keine bezahlbaren Wohnungen für alle Bürger dieses Landes schaffen, denn dem Markt geht es am fetten Arsch vorbei, ob sich die einen eine Ferienvilla am Starnberger See für 10 Millionen Euro kaufen und die anderen kein Dach über dem Kopf haben. Wer in diesem Zusammenhang behauptet, Deutschland gehe es „gut“, ist nichts anderes ein ignorantes und dekadentes nationalistisches Lügenmaul.
Das gilt natürlich auch für alle anderen Bürger, die nicht nur aus Spaß arbeiten, weil sie z. B. ein paar Milliarden geerbt haben und von ihrem Vermögen bzw. Gewinneinkünften/Dividendenausschüttungen besser leben können als jede sogenannte „Fachkraft“ in diesem angeblich christlichen Land von ihrem Arbeitseinkommen.
2017 betrug das private Geldvermögen der Deutschen sagenhafte 6,1 Billionen Euro, das sind 6.100.000.000.000 Euro. 50 Milliarden Euro mehr oder weniger spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle und Aktien bzw. andere Unternehmensbeteiligungen, Immobilien, Waldgrundstücke, PKW, Hausrat, Gold, Schmuck, Edelsteine, Briefmarkensammlungen, Kunstgegenstände usw. sind da selbstverständlich noch nicht mitgerechnet.
Allein das Geldvermögen würde inzwischen ausreichen, um in Deutschland 24,4 Millionen Wohnungen für 250.000 Euro oder 12,2 Millionen EFH/DHH für eine halbe Million bauen zu können. Bleibt die Frage, worauf wartet das viele Geld noch und warum liegt das viele Geld seit vielen Jahren auf der faulen Haut, wenn es doch nicht erst seit gestern an der Nachfrage nach Wohnraum mangelt.
Oder liegt es vielmehr daran, dass dieses Geldvermögen und nicht nur das Geldvermögen, auch das Sachvermögen wie am Ende des bekannten Monopoly-Spiels inzwischen höchst einseitig verteilt ist und die Oligarchen und Superreichen in der Schloßallee keine Wohnungen bauen wollen, sondern lieber für 450.312.500 Dollar (umgerechnet rund 382 Millionen Euro) ein Gemälde von Leonardo da Vinci kaufen?
Zitat:" Der Wissenschaftler Frans de Waal dagegen ist überzeugt, dass Affen und Menschen einen tiefen Gerechtigkeitssinn entwickelt haben, weil beide Gesellschaften nur mit kooperativem Verhalten überleben können. Fairness first!"
Selbstredend haben Menschen einen Sinn für Gerechtigkeit, vor allem einen Sinn für Ungerechtigkeit. Das Strafrecht und die Justiz, die Steuerarten und Höhe der Steuern, Steuerfreibeträge, Höhe und Bezugsdauer von Sozialleistungen und Subventionen und letztlich unsere gesamte Demokratie beruhen darauf. Es sei denn, man tut so, als ob alle Gesetze, Verordnungen usw. irgendwie und irgendwann vom Himmel gefallen wären und nicht von Menschen für Menschen geschaffen wurden.
Was das "kooperative Verhalten" angeht, gibt es allerdings Einschränkungen, weil das kooperative Verhalten tendenziell auf die eigene Gruppe, den eigenen Clan bzw. den nationalen Affen begrenzt ist. Warum sonst führen Menschen z. B. immer noch Kriege zwischen den Nationen, bei denen es in der Regel zwar auch ein paar Profiteure gibt, aber für die breite Masse aller Beteiligten nichts Positives dabei herauskommt? "Fairness" schaut jedenfalls anders aus.
Richtig ist natürlich die These, dass ökonomische und soziale Unterschiede ein Ansporn für "Leistung" sein können und sind. Individuelle Unterschiede beim Einkommen und Vermögen werden solange hingenommen, solange am Ende der Nahrungskette für alle Bürger tatsächlich etwas herausspringt.
Wer bitte hat denn bei Lichte betrachtet auch etwas dagegen, dass ein erfolgreicher Unternehmer mehr verdient als der Arzt im Krankenhaus und dieser mehr als die Krankenschwester und die Krankenschwester mehr als die Putzfrau?
Zum Problem für die Demokratie werden Millionengehälter und Milliardenvermögen dann, wenn die real existierende Marktwirtschaft dazu führt, dass am Ende nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich nichts bei den Malochern, den "kleinen" Leuten und den Normalverdiener ankommt, obwohl unsere neoliberal-konservative Regierung ständig verkündet, dass es Deutschland gut gehen würde.
Es gehören eben nicht alle Deutschen zu Deutschland. Wenn bei den Arbeitslosen gespart wird, die Reallöhne vieler Arbeitnehmer über Jahre sinken, die Mieten explodieren und die Superreichen in Deutschland immer reicher werden, ist das jetzt "Sozialneid" oder eine Tatsache?
Wer wie Peter Huth von der WamS in moralischer Hinsicht von "Sozialneid" redet, muss deshalb in moralischer Hinsicht auch über die Gier derjenigen sprechen, die inzwischen tatsächlich in den Milliarden schwimmen, aber den Hals nicht vollkriegen. Sonst muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, ein opportunistischer Speichellecker deutscher Oligarchen und Steigbügelhalter der rechten AfD zu sein.
Guter Beitrag!
Genau hier, bei trivialer Psychologie liegt jener Hund begraben, welcher mit etwa 80 Jahren Verspätung endlich Teil gesellschaftlichen Diskurses werden muß und nebenher die Psychose der meisten Superreichen und deren Waltens herausstellt.
-In aller Bescheidenheit darf meine Wenigkeit dabei vielleicht zu weiterem, noch Rudimentärerem zum diesem psychologischem Thema im Forum hinweisen. Ein Aufsatz auf den mich ein Blick des Herrn Ziemer besonders freuen würde.
|| Es sei denn, man tut so, als ob alle Gesetze, Verordnungen usw. irgendwie und irgendwann vom Himmel gefallen wären und nicht von Menschen für Menschen geschaffen wurden.||
Als ausgesuchte Personen zum Aufsetzen des Grundgesetzes versammelt wurden, produzierten diese innerhalb von 3 Wochen eine Telephonrechnung von über 30 000 DM (und das bei seinerzeitiger Kaufkraft / Gebühren!), während sie laufend Rücksprache mit ihren industriellen Auftraggebern hielten.
Es wurde von der Oberschicht schreiben gelassen.
Und sehr viel später nach und nach vorgenommene Nachbesserungen an gröberen Schnitzern, wie etwa des Vorrangs von Eigentum vor körperlicher Unversehrtheit, haben lange noch nicht humanistischen Gemeinplatz wie die Unveräußerlichkeit am Mehrwert aus Arbeit realisiert, was schließlich ohne authentisch demokratische Verfasser auch zu keiner Zeit vorgesehen ist.
- Und womit Deutschland natürlich nicht allein dasteht.
Selbst staatliche Gebilde, die sich "sozialistisch" oder "kommunistisch" nennen haben diesbezüglich einen blinden Fleck und behalten sich damit Ausbeutung ihrer Bürger vor.
Ich weiß nicht, ob Marx selbst ahnte, daß dieser sozioökonomische Aspekt als Motor des Kastenwesens und Mutter allen Übels allseits wie die Beulenpest gemieden bleiben und unter den Teppich gekehrt werden würde. Sonst hätte er diesem diabolischen Pferdefuß vielleicht einen eigenen Band gewidmet.
|| Warum sonst führen Menschen z. B. immer noch Kriege zwischen den Nationen, bei denen es in der Regel zwar auch ein paar Profiteure gibt, aber für die breite Masse aller Beteiligten nichts Positives dabei herauskommt?||
Wohl die wenigsten Kriege werden unter mehrheitlicher Zustimmung von Völkern angezettelt. Und ohne propagandistische / demagogische Kampagnen wohl kaum ein einziger.
Die Doktrin von auf Gruppenzugehörigkeit beschränkter Solidarität und grundsätzlicher Feindseligkeit gegen andere Volksgruppen und Nationen gehört zur entstellten Anthropologie.
In gemeiner Praxis indessen, hätte der Mensch ohne Kooperation und Austausch zwischen Stämmen und Volksgruppen seinen gehabten Fortschritt nicht machen können.
Meinersich wünschte, Psychologie und Verhaltenswissenschaft als ökonomischer Hintergrund erführen im Forum und bald auch in der Gesellschaft erhöhte Aufmerksamkeit.
Denn enthaltene dysfunktionale und höchst triviale Mechanismen daraus, begründen Vieles der vergangenen 5000 Jahre bis zum Status quo; wenngleich auf diametral entgegengesetzte Weise, als Klerus, Feudale und von ihnen getrimmte Akademien es dem Volksmund und uns weisgemacht haben.
Nu´ kommenSe doch mal in die gute Stube, Herr Ziemer.
https://www.freitag.de/autoren/knossos/evolutionaere-und-kognitive-erdung