Die Kinder von Medea und Magda

Ein Thriller, der besser nie gedreht worden wäre In Polen stößt "Der Untergang" auf vehemente Ablehnung

Vor dem Warschauer Atlantic-Kino steht eine Gruppe von Jugendlichen, die gerade den Film Der Untergang mit Bruno Ganz gesehen haben. Natürlich sind sie beeindruckt. Von den grauenvollen Bildern, von der schockierenden, beklommenen Stimmung im Führerbunker, vom Kindermord, den das Ehepaar Goebbels begeht. Doch alle sind sich einig: Das hier ist ein Thriller, der besser nie gedreht worden wäre. Obwohl bei jungen Polen wohl kein genaueres historisches Wissen über die Hitlerzeit besteht als bei Altersgenossen in Deutschland oder Österreich, reagieren sie anders. In Polen käme ein 18-Jähriger, für den Hitler eine historisch ferne Gestalt ist, nicht auf die Idee, Mitgefühl mit dem "Führer" oder zumindest mit seiner im Bunker eingeschlossenen Entourage zu empfinden.

Die zur Kernidee des Films gehörende Feststellung, dass auch Hitler ein Mensch war, nennt Tadeusz Sobolewski in der liberalen Gazeta Wyborcza "hundertprozentig banal". Wenn der Film einen vereinsamten Hitler im Bunker zeige, spreche er Emotionen an, rufe Sentimentalitäten hervor und wirke wie eine Art Therapie, die das unfassbare Grauen jener Zeit erträglich machen wolle, letztlich aber dazu führe, ihre Singularität zu relativieren. "Der Dämon wird verscheucht", schreibt Sobolewski.

Unzulässige Emotionalisierung! Das ist ein immer wieder erhobener Vorwurf. Auch die angesehene katholische Wochenzeitung Tygodnik Powszechny ist dieser Auffassung. Natürlich, schreibt das Blatt, habe es andere Filme über die Nazizeit gegeben, die sehr stark an die Emotionen des Zusehers appelliert hätten, es mache aber einen Unterschied, ob damit Mitleid für die Opfer oder für die Täter erreicht werden solle. Eine seltsame "germanische Staffel" sieht der Tygodnik auch in der Premierenfolge des Films: zuerst München, "die Stadt der nationalsozialistischen Bewegung", dann Österreich, "die Heimat des Führers" und schließlich Berlin, der "Ort des Untergangs".

Wenig anfangen kann Polens Filmkritik auch mit dem "Blick des besorgten Psychotherapeuten", der in Hitler einen Mann sieht, den "bloß die Umstände auf den falschen Weg gebracht haben", wie das rechte Magazin Wprost schreibt. Hitler und seine Gefolgschaft dürften nicht anders gesehen werden als ein Symbol für das absolute Böse, findet die Gazeta Wyborcza, ansonsten würde aus Magda Goebbels am Ende noch eine griechische Heldin. "Hat sie im Film nicht die Tragik der Medea, wenn sie ihre Kinder aus Treue zu einer Idee tötet, die verloren hat?", fragt Tadeusz Sobolewski.

Verständnis zeigt nur Adam Krzeminski in der linksliberalen Polityka: "Es zeigt sich, was der amerikanische Dichter C. K. Williams prophezeit hat: Nach Hitler ist der Deutsche dazu verdammt, als der Ewige Nazi durch die Erinnerung der Völker zu wandern. Ich glaube, um ihn von diesem Stigma etwas zu befreien, haben die Deutschen diesen Film gedreht." Anders als die Mehrheit der Kritiker kann Krzeminski die Gefahr nicht sehen, dass die Zuschauer Mitleid mit Hitler empfinden: "Hitler bleibt im Film Hitler, ein Monstrum". Dass der Publizist der Polityka eine für die polnischen Verhältnisse eher tolerante Haltung dem Film gegenüber einnimmt, dürfte allerdings auch daran liegen, dass er mit der deutschen Sichtweise vertraut ist. Als Kommentator für deutsch-polnische Beziehungen schreibt Krzeminski regelmäßig für die Hamburger Zeit.

Doch kommt auch er nicht umhin, festzustellen, dass der Film die Opfer des Nationalsozialismus so gut wie vollständig ausblendet. Ein Punkt, der in fast allen polnischen Kommentaren für Empörung sorgt, ist der Abspann: ein eingeblendeter Text, der über die während der Nazizeit Ermordeten und Gefallenen informiert. Die meisten polnischen Kritiker können sich des Eindrucks nicht erwehren, hier würde bloß der political correctness wegen gehandelt, in Wirklichkeiten hätten die Filmemacher diesen Epilog gern eliminiert. Kein Wunder daher, dass die Rzeczpospolita am Tag der polnischen Premiere zu einem vernichtenden Urteil kam: "Der Untergang ist ein besonders unverschämter Versuch, die deutsche Nation von der Verantwortung für die Verbrechen Hitlers freizusprechen." Nach einer Umfrage kommt die linksgerichtete Trybuna zu dem Fazit: Für die Mehrheit der Polen ist dieser Film Geschichtsfälschung. Daran ändert auch nichts, dass die angekündigten Protestaktionen gegen den Streifen bisher ausblieben.


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