Die Kraft des Apfelbrands

Bosnien Die Bergleute von Banovići legen sich gerade mit der Föderationsregierung an
Ausgabe 49/2019
Eine Kohlemine und mehrere Schlackenhalden nahe des bosnischen Dorfes Dubrave
Eine Kohlemine und mehrere Schlackenhalden nahe des bosnischen Dorfes Dubrave

Foto: AFP/Getty Images

Neulich frühstückte ich mit bosnischen Kohlekumpeln. Ich versuchte auf diese Weise, das bosnische Machtvakuum auszuleuchten – 14 Monate waren der Gesamtstaat und der bosniakisch-kroatische Teilstaat „Föderation“ ohne Regierung, erst jetzt ändert sich das. Noch verworrener sieht es an einem Schlüsselort der bosnischen Energieversorgung aus: Das Bergwerk im netten Städtchen Banovići gehört zu 70 Prozent der Föderationsregierung, während die seinerzeit an die Arbeiter ausgegebenen Anteile offenbar von Mirsad Kukić kontrolliert werden. Kukić war bisher der starke Mann von Banovići und im Kanton Tuzla. Dort gibt es aber seit Kurzem eine Regierung, die einige von Kukićs Leuten aus der Bergwerksleitung schmiss und das eigensinnige Bergwerk in den föderationseigenen Energieversorger „Elektroprivreda“ eingliedern will. Mirsad Kukić sucht die Kantonsregierung seither zu stürzen.

Man roch in Banovići die verfeuerte Kohle, und eine Frau mit Schubkarre holte sich bei der Kohlenwäsche Hauskohle, doch dank des Bergbaus ist in den Sportwetten-Shisha-Bars mit ihren 50-Cent-Macchiatos meist was los, nur Unterkunft gibt es keine. Das einzige Hotel liegt zehn Kilometer bergaufwärts und gehört dem Bergwerk. Das Zlača ist eine Selbstverwaltungs-Sozialismus-Oase. Teppich, Geländer und Kommoden im Treppenhaus scheinen eine Maßarbeit zu sein, und die an die Wand geschraubten Lederlehnen der Clubbestuhlung im Kaminzimmer geben ein wahres Chorgestühl ab – nur dass selbstverwaltete Bergarbeiter die Chorherren waren. Wenn man im Speisesaal der einzige Gast ist und nach der Speisekarte fragt, nickt der Kellner unbestimmt, zieht sich zur Kontemplation dieser Arbeitslast zurück und kommt später wieder.

Am Morgen um sieben, zum Schichtwechsel, ging ich vor das Tor des Bergwerks. Die Kumpel, die in jener Nacht 400 bis 500 Tonnen Kohle aus 300 Meter Tiefe gefördert hatten, standen vor dem Tante-Emma-Laden beisammen. Man stelle sie sich als richtige Kerle vor. „In der Grube ist nichts gefährlich“, sagten sie, anders als im offenen Tagebau oberhalb der Stadt, „als LKW-Fahrer ziehst du dort 150 Tonnen; wenn du auf dem buckligen Gelände umkippst, ist es aus.“ Der Erste an der Bohrmaschine verdient 600 Euro, das gilt in Bosnien als guter Lohn. „Was ist mit nachhaltiger Energie“, fragte ich sie, „warum macht Bosnien immer noch Strom aus Kohle?“ Einer antwortete: „Wind und Sonne haben wir nicht, nur Kohle.“

Lebenserwartung: 55

Zum Frühstück erquicken sich einige mit duftendem hausgebrannten Slibowitz, lobten aber mehr die Bekömmlichkeit ihres Apfelbrands. Als Ausschank diente der Eisendeckel einer Mülltonne. Der Müllwagen kam, auf ihm aufgedruckt das Foto einer von Kindern gehaltenen Weltkugel, dazu stand auf Deutsch: „Umweltbildung für alle Altersgruppen“. Der Deckel der Mülltonne war mit einer Eisenkette an den Zaun gekettet, der Müllmann hatte den Schlüssel. Die Kumpels feixten: „Ein Bosnier klaut alles.“

Am Anfang stand ich in einer Menge von 30 bis 40 Bergarbeitern, die nach und nach in ihre Autobusse stiegen. Ich blieb mit den wenigen Autofahrern übrig. Nicht alles war lustig, als Lebenserwartung gaben sie 55 Jahre an. Ein Kumpel trank gegen Staublunge Ziegenmilch, und der Kollege mit den Ziegen zeigte mir ein Attest vom Radiologen: „Meine Wirbelsäule ist hinüber.“ Sie sagten: „Alle hier stottern wir Kredite ab. Der einzige Bergarbeiter, der keinen Kredit hat, ist der vom Denkmal bei der Trauerweide.“

Sie hatten im Mai aus Protest gegen eine Lohnsenkung um 50 Euro gestreikt und daraufhin 70 Euro mehr bekommen, und im Oktober hatten sie einen Warnstreik abgehalten. Über Kukić sagten sie: „90 Prozent unterstützen ihn“, „Er legt sich für uns ins Zeug“, und: „Löhne, Löhne, Löhne!“ Neulich wählte die nur geschäftsführende Föderationsregierung neue Aufsichtsräte, denen aber sogleich der Zutritt zum Bergwerk verwehrt wurde. Langsam geht das Machtvakuum zu Ende. Dann hat wieder jemand die Macht.

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