Die Kriminalisierung des Modells ecoFavela

Migration Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard. Aber sie anzuklagen kriminalisiert soziales Engagement
Ausgabe 19/2015

Die Flüchtenden auf ihren überfüllten Nussschalen, die das Mittelmeer zu Tausenden verschlingt, weil die EU dafür sorgt, dass sie nur die gefährlichste Route nehmen können: Dieser Tage sind sie Titelthema allerorten. Refugees brauchen nicht die Kunst, damit wir auf sie aufmerksam werden. Es ist genau umgekehrt: Die Kunst braucht die Refugees, um relevant zu sein. Sie auf Theaterbühnen zu holen, ist zu wenig. Um sich über das EU-Grenzregime zu empören, braucht man keine Repräsentationskunst.

Kampnagel – seit den 80ern der wichtigste Spielort für freies Theater in Hamburg – hat mit einem kleinen, via Crowdfunding finanzierten Projekt die Konsequenz daraus gezogen. Anfang Dezember eröffnete das Künstlerkollektiv Baltic Raw auf dem Theatergelände die ecoFavela, eine temporäre Holzunterkunft. Sechs Monate lang haben hier fünf afrikanische Geflüchtete überwintert, die über Lampedusa aus Libyen geflohen waren. Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat nun auf eine Anzeige lokaler AfD-Politiker hin Ermittlungen gegen Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard eingeleitet. „Beihilfe zum Verstoß gegen das Aufenthaltsrecht für Ausländer“ lautet der Verdacht.

Er trifft den Kern der Sache. In der Tat hat die Kampnagel-Intendantin Menschen ohne deutschen Pass dabei geholfen, in Deutschland zu überwintern, obwohl sie dafür keine Aufenthaltserlaubnis haben. Allerdings gibt es nach vielen Jahren, in denen Krankenhäusern oder Kindergärten Strafe drohte, wenn sie „Illegale“ behandelten oder ihre Kinder aufnahmen, inzwischen auf Drängen der Flüchtlingsinitiativen hin eine Rechtsprechung, die sagt: Sofern solche Hilfeleistungen aus humanitären Gründen und „im Rahmen einer wirklichen Notbehebung“ geschehen, sind sie nicht als Beihilfe zum illegalen Aufenthalt zu werten.

Andererseits hat Kampnagel in Hamburg mehr als bloß Humanitäres im Sinn gehabt. Hätte sie bloß Hilfe leisten wollen, hätte sie ihnen „eine Dreizimmerwohnung gemietet“, sagte Amelie Deuflhard in einem Interview. Wohngelegenheiten organisieren, Spenden sammeln, kleine Jobs besorgen: Seit über zwei Jahren unterstützt die linke Szene in Hamburg die Afrikaner der Lampedusa-Gruppe – so wie es Aktivisten in Berlin und anderen deutschen Städten auch tun. Die ecoFavela war der Versuch, diese klandestine Praxis in der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen: Als soziale Skulptur, als „Installation, die klarmacht, wo Defizite liegen“, sagt Deuflhard. Was höflich gesagt ist. Die derzeitige Behördenpraxis – Flüchtlinge in Container oder abgelegene Ex-Kasernen verfrachten, wo sie beschäftigungslos und ohne Außenkontakt vor sich hin vegetieren – ist eine Katastrophe.

Die ecoFavela hat das Gegenmodell ausprobiert: klein, informell, selbstgebaut und angebunden an eine Institution, die Tuchfühlung mit der Gesellschaft ermöglicht. Wer das kriminalisieren will, redet einem Deutschland das Wort, das seine Panik vor einem informelleren, menschlicheren Umgang mit Geflüchteten kultiviert. „Europa und Deutschland müssten bei bedingungslos offenen Grenzen die Existenz informeller Siedlungen in und vor den Städten akzeptieren, wie sie an vielen Orten der Welt verbreitet sind“, hatte Hamburgs Bürgermeister in einer Rede gewarnt. Genau diese Angst vor einem durch Geflüchtete verslumten Deutschland ist der Geist, der aus den Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft spricht. Offensichtlich hat die ecoFavela einen Nerv getroffen.

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