Die Kunsthalle ist tot. Es lebe die Kunst!

Temporär Das Berliner Parlament hat die kulturellen Blütenträume von Klaus Wowereit empfindlich gestutzt. Großer Schaden entsteht dadurch nicht

"Ich habe mich der Kunst immer so wie der Liebe hingegeben. Ich habe beides als das Gleiche angesehen. Es geht um Ausschließlichkeit. In der Liebe wie der Kunst weiß ich, was ich nicht will“. Ein bisschen hört sich Cornelia Schleime wie Ingeborg Bachmann an, wenn die Berliner Malerin ihre Arbeit erklärt.

In der Temporären Kunsthalle auf dem Berliner Schlossplatz hat ihre Kollegin Karin Sander lauter Namen Berliner Künstler auf eine weiße Wand geschrieben. Wer den 599 Stimmen und ihren lyrischen Selbstexplikationen via Kopfhörer folgt, wähnt sich plötzlich in einem Kosmos der Wünsche, Projekte und Methoden. Und hält den Satz von Berlin als der „Kunsthauptstadt der Welt“ gar nicht mehr für einen der großspurigen Sprüche, mit denen Berlin seit jeher gern seine Minderwertigkeitskomplexe kompensiert.

Verständlich also die Idee, diese neue ästhetische Vielfalt seit dem Mauerfall in Berlin schneller ans Licht einer neugierigen (Welt-)Öffentlichkeit zu holen. Noch heute schwärmen die Kunstfreaks von der im Dezember 2005 aus dem Boden gestampften Ausstellung „36x27x10“. Mit einem temporären White Cube wollten sie gegen den Abriss des inzwischen geschleiften Palastes der Republik protestieren. Eine Schau ohne Thema, aber erfrischend neu. Viele fragten: Könnte man das nicht regelmäßig machen?

Längst geht es bei dem damals entbrannten Streit um eine Kunsthalle für Berlin um mehr als den Wunsch, den 6.000 Künstlern aus aller Welt, die inzwischen in der Umbruchmetropole leben und arbeiten, ein exklusives Podium zu zimmern. Der unendliche Diskurs ist ein Indiz für die Heilserwartungen an die Bildende Kunst heute generell. Ihr wird zugetraut, was der Politik nicht mehr gelingt: ein urbanes Lebensgefühl zu begründen, wahlweise die Kreativwirtschaft oder den Dialog der Kulturen zu beflügeln, Deutschland fit für den globalen Wettbewerb zu machen aber auch neue Utopien für eine andere Gesellschaft aus dem Zylinder zu zaubern.

Prestigeobjekt am falschen Ort

Warum es dazu einer neuen Halle bedarf, ist in dem Streit nie recht klar geworden. Schließlich wimmelt Berlin nur so von Museen, Galerien und Kunsthallen. Dass der Hamburger Bahnhof, angeblich ein „Museum der Gegenwart“, diese Aufgabe nicht wirklich ausfüllt, hat mit seiner Rolle als Bewahranstalt der Sammlungen Marx, Flick und Marzona zu tun. Aber auch damit, dass er, wie die meisten anderen Häuser, seit Jahren keinen nennenswerten Ausstellungsetat mehr hat, geschweige denn Mittel, um die aktuelle Kunstproduktion aufzugreifen.

Die 30 Millionen, die Berlins nicht so wahnsinnig kunstsinniger Regierender Wowereit plötzlich für eine neue Halle locker machen wollte, wären in diesen Häusern immer besser aufgehoben gewesen als in einem Prestigeobjekt am falschen Standort – dem Berliner Humboldt-Hafen. Und eine neue Kunsthalle hätte der Senat schneller und ohne größere Kosten aus der Taufe heben können, wenn er den Streit um die Besetzung des Künstlerhauses Bethanien am Kreuzberger Mariannenplatz mit dessen Umwidmung beendet oder sich für die Blumengroßmarkthalle gegenüber dem Jüdischen Museum entschieden hätte, die eine bunte Koalition von Künstlern, Galeristen und sonstigen kulturellen Entrepreneurs vorgeschlagen hatte. Insofern ist es nun wirklich kein großer Schaden, dass das Parlament der Hauptstadt diese Mittel angesichts knapper Kassen erst einmal auf Eis gelegt hat.

Wowis Kunsthalle mag nun vorerst „tot“ sein, wie die Grünen jammern. Die Kunst selbst wird nach dem temporären Aus für ein Haus, von dem man nie recht wusste, was es sollte, aber keineswegs sterben. Es ist ja gerade das Kennzeichen der Kunststadt Berlin, dass sich hier immer wieder neu Orte öffnen, an denen keiner Kunst erwartet. Der HBC-Club im ehemaligen Haus Ungarn in Berlin-Mitte oder das verflossene Forgotten-Bar-Project, dass im vergangenen Sommer nicht nur die Kreuzköllner Szene begeisterte, sind nur zwei Beispiele für diese ungewöhnlichen Locations mit ungewöhnlichen Präsentationsformen und einem nachgerade irrwitzigen Publikumszuspruch.

Diese Orte aufzuspüren, notfalls auch mit einer „mobilen Kunsthalle“ zu vernetzen, ist tausendmal spannender, als Touristen eine langweilige Box auf dem Silbertablett zu servieren. Instrumentalisieren lässt sich die Kunst nämlich genauso wenig wie in einen Käfig sperren. Noch einmal Cornelia Schleime: „Ich lass mich nicht spinnen, ich lass mich nicht flechten, nicht ziehen zur Linken, zur Rechten. Ich bring‘ Euch durch kein Parcours.“

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