Die Kürscher

Mein Sohn, drei Jahre alt, fragte: "Kennst du eigentlich Kürscher?" Ich antwortete, er meine wohl Kirschen. Mein Sohn, der selten herauslacht, lachte ...

Mein Sohn, drei Jahre alt, fragte: "Kennst du eigentlich Kürscher?" Ich antwortete, er meine wohl Kirschen. Mein Sohn, der selten herauslacht, lachte heraus und sagte auf seinem Rücksitzthron: "Kirschen kann man essen, Kürscher nicht."

Ich begann zu überlegen. Es war dichter Verkehr. Draußen wurde es dunkel und von hinten kam es: "Kürscher arbeiten in der Fabrik. In der neuen. Die alte ist gefährlich, das Fass stinkt. Die Kürscher sind stark."

"Erklär mir noch mal genau", sagte ich am Steuer, "was die Kürscher machen."

"Arbeiten in der Fabrik."

"Was arbeiten sie da?"

"Sie schauen."

Zwei Tage später, während unserer Runde mit Hund um die Beiersdorf-Fabrik, blieb er vor dem eingezäunten Laborgebäude stehen, zeigte zu einem Fenster hinüber und sagte es laut: "Da arbeiten die Kürscher!"

Eine Laborantin stand am Fenster und blätterte in Ordnern. Dicht neben ihr ein Mikroskop, in das sie hineinsah ... hineinschaute.

Irgendwann kam ich darauf, dass mein Sohn mit "Kürscher" Forscher meinte. Da wusste er schon gar nicht mehr, dass er je ein solches Wort geprägt hatte. Im Alter zwischen drei und fünf vergisst man wohl besonders schnell. Was gibt es nicht alles zum ersten Mal zu durchschauen.

Ich aber konnte die Kürscher, irgendwie, nicht vergessen. Kleines gemeinsames Alltagsmärchen vom skeptischen Verhältnis zur Welt, in der wir zwei leben. Vielleicht der Grund, weshalb ich wieder an die Kürscher dachte, als mein Sohn mich fragte: "Was ist eigentlich, wenn Flugzeuge in die Mundsburg reindonnern?" Ich sah zu den Drillingstürmen des Mundsburg-Centers hinauf. Kein Problem, sich den silbernen Jet vorzustellen, der wie ein Fanal des Absurden im dreißigsten Stock des Gebäudes einschlägt - darin verschwindet, so dass es für einen Moment scheint, man habe sich versehen.

"Wird nicht passieren", sagte ich abgebrüht.

"Wieso nicht?"

Ich hätte antworten können: Weil Hölderlin geschrieben hat, dass der offne Tag den Menschen hell mit Bildern ist. Hätte damit allerdings wenig ausgerichtet: Wer ist Hölderlin? Und der offne Tag? Helle Bilder? Fernsehen!

Besser ich versuchte es mit Dragonball und Digimon, diesen Hunderten von Hosentaschen-Monstern und Hosentaschencomputer-Monstern, die die Kleinen allesamt auswendig kennen - Greymon, Angemon, Kabuterimon. Vielleicht also: Hölderlinmon verwandelt sich zu Höllen-Linderermon. Langsamhand schreibt Trostvision! Quatsch, noch war, was den Trost anging, nicht Poesie gefragt, sondern ich, Papi, oder, wie er sagt: Pappe.

"Ich kann dir nicht sagen, wieso das hier nicht passiert. Aber ich bin mir sicher, dass du keine Angst zu haben brauchst."

"Habe ich nicht." Er habe es cool gefunden, wie es aussah. Wie die Flugzeuge in die Türme reingeflogen sind, ein paar Wochen nach seinem Geburtstag, und wie "im Fern", im Fernsehen der Turm zusammenkrachte.

"Es sah cool aus, war aber nicht cool", sagte mein Sohn, sechs Jahre alt. "Es war traurig."

"Traurig, dass du es überhaupt gesehen hast." Das fand er auch. Und dann musste ich ihm noch einmal von meinen Schiffsbausätzen erzählen, die ich früher mit Silvesterböllern in die Luft gesprengt hatte: die "Bismarck", die "Tirpitz" und ... wie hießen diese beiden britischen Monsterkreuzer, denen man, um sie früher in die Schlacht zu schicken, ein Stummelheck verpasste?

"Kaufst du mir ein Schiff?"

Ich hielt den Wagen an. Wir gingen in den Spielwarenladen in der Mundsburg und erstanden einen Raumgleiter. Danach essen. Mutig setzte er in der Pizzeria die Darth-Vader-Maske auf. Das gute Böse. Das böse Gute.

"Kinderpizza?"

Sein dunkles Hauchen: "Okay!"

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