Die lange Rechtskurve

CDU und Vertriebene Die Kritik an der Kanzlerin zeigt Wirkung. Beim Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen demonstriert Merkel ihre Nähe zur konservativen Basis

Das leise Gegrummel der Menschenmenge will einfach nicht zur Kulisse passen, die sich der Bund der Vertriebenen (BdV) für seinen jährlichen Jahresempfang ausgesucht hat. Denn der Prinzessinnensaal im Opernpalais mit seinen Kronleuchtern, schweren Teppichen und kunstvollen Wandverziehrungen verlangt eigentlich schon rein optisch nach Harmonie. Trotzdem: Die über die letzten Wochen angesammelte Unzufriedenheit des BdV ist den Teilnehmern anzumerken.

Viele waren enttäuscht, als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) der BdV-Präsidentin Erika Steinbach die offene Unterstützung verweigerte. Steinbach wollte für den BdV einen Sitz im Rat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“, die ein „sichtbares Zeichen“ gegen die Vertreibung in Berlin errichten will.

Doch schnell regte sich Widerstand gegen die Personalie. Aus Polen kam scharfe Kritik an Steinbach, die noch in den Neunzigern im Bundestag gegen die Oder-Neiße-Grenze stimmte. Und auch die SPD kündigte an, der BdV-Präsidentin im Bundeskabinett die nötige Zustimmung zu verweigern. Bald sprang der konservative Flügel der Unionsparteien Steinbach bei – doch von der CDU-Vorsitzenden Merkel bekam sie keine Unterstützung. Steinbach gab schließlich ihren Verzicht bekannt, doch in der Union rumorte es weiter. Der rechte Flügel sah das konservative Profil der Partei in Gefahr – und damit ein akzeptables Abschneiden bei der Bundestagswahl im September.

Wohl deshalb umgarnt Merkel den BdV jetzt auch besonders – und schmiert ihm bei seinem Jahresempfang jede Menge Honig um den Bart: „In einer Zeit, in der die Bundesrepublik Deutschland 60 Jahre alt wird, könnten wirklich alle es einmal lassen, Abwehrmechanismen zu kultivieren, wenn es um das Thema Vertreibung geht. Unrecht muss als Unrecht benannt werden“, ruft sie in den Prinzessinnensaal hinein – und erntet kräftigen Applaus. Sie lobt die Leistungen der Vertriebenen in den Anfangsjahren der Bundesrepublik, sie lobt die Gedenkstiftung – und sie lobt Erika Steinbach. Leider sei es allerdings „nicht möglich“ gewesen, Steinbach in den Sitzungsrat zu berufen. Merkel begründet dies mit den „Umständen“ – und meint damit die SPD.


Viel Lob, kaum Tadel

So schlägt die Kanzlerin in die gleiche Kerbe wie Erika Steinbach in ihrer Rede zuvor. „Der Stuhl bleibt ausschließlich deshalb vorläufig frei, weil die SPD klipp und klar erklärt hat, dass sie den BdV-Vorschlag im Kabinett nicht akzeptieren wird“, ruft die Vertriebenenpräsidenten ihren Anhängern zu – und entlastet damit die Kanzlerin. Außerdem behalte sich das BdV vor „jederzeit eine Widerbenennung für den jetzt freien Stuhl vorzunehmen“. Will heißen: Wenn die SPD im Herbst nicht mehr mit am Kabinettstisch sitzen sollte, wird Steinbach es noch einmal versuchen.

Kritik an Merkel verkneift sich die CDU-Politikerin Steinbach. Sie lobt die Kanzlerin vielmehr überdeutlich: „Die deutsche Bundeskanzlerin steht an unserer Seite“, sagt sie nachdrücklich und erntet den gewünschten Applaus. Nur eine kleine Spitze kann sich die BdV-Präsidentin nicht verkneifen: Leider sei vielen Menschen die Solidarität der Kanzlerin mit den Vertriebenen nicht bekannt, streut Steinbach ein. Im Klartext: Merkel soll auch in der Öffentlichkeit deutlich werden.

Das wird die Kanzlerin auch in ihrer Rede – doch nicht nur dort. Schon in dem am Montag vorgestellten Europawahlprogramm der CDU findet sich ein explizites Friedensangebot an den BdV: „Die deutschen Heimatvertriebenen (...) haben eine wichtige Brückenfunktion bei der Zusammenarbeit mit Deutschlands östlichen Nachbarstaaten“, heißt es in Kapitel 5. Und etwas weiter unten: „Das Recht auf Heimat gilt.“

Das zeigt: Die Kritik der letzten Wochen auf die eigentlich moderat konservative Merkel hat gewirkt. Die CDU setzt zu einer leichten Rechtskurve an – und der konservative Teil der Basis dankt es ihr. Als Merkel ihre Rede beendet hat, ist das Gegrummel im Opernpalais verschwunden. Die Harmonie scheint vorerst zurückgekehrt zu sein in den Prinzessinnensaal.

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