Die Lebenden und die Toten

Saddams Söhne Wogegen das Gute auf Dauer nicht gefeit ist

An einem Betonmast - aufgezogen und gehalten durch ein Stahlseil, die Arme verrenkt, der Kopf schief und blutüberströmt - so hing in den letzten Septembertagen des Jahres 1996 Mohammed Nadjibullah, der letzte afghanische Präsident aus der Zeit der Demokratischen Volkspartei und sowjetischen Militärpräsenz, mitten in Kabul. Ihm zur Seite hing sein Bruder Shahpur, einst Minister des Landes für öffentliche Ordnung. Als Eroberer Afghanistans hatten die Taleban dem Volk von Kabul nicht vorenthalten wollen, welche Trophäen des Sieges zur Verfügung standen und wie man sich ihrer versichert hatte. Die westliche Welt, die zivilisierte, nahm es erschrocken und mannhaft mit einer Mischung aus wollüstigem Schaudern und voyeuristischer Lust, wie ihr das schon zu Weihnachten 1989 mit den Leichen der Ceausescus widerfahren war, die - erschossen im Schnee liegend - eine rumänische Revolution zu bezeugen hatten.

Man wusste allenthalben, dass derartige Bräuche seit Jahrhunderten gepflegt wurden und dem Guten oft nützlich waren, die Größe eines Triumphs über das Böse auszukosten. Auch waren die Taleban seinerzeit nicht als Reiter der Apokalypse oder Ausgeburt des Bösen nach Kabul marschiert, sondern als "Freiheitskämpfer gegen die Ungläubigen und Kommunisten". Vom pakistanischen Geheimdienst mit dem Ziel fanatisiert, in Afghanistan den islamischen Gottesstaat zu errichten. Präsident Reagan hatte sie Helden genannt, die "das moralische Äquivalent der Gründerväter Amerikas" seien.

Als die Helden nach dem 11. September 2001 zu Monstern wurden, durften sie dieses "Äquivalent" bleiben, nun allerdings in der Gestalt des Bösen schlechthin, des terroristischen Mobs, der - obwohl öffentlich verfemt - auf neue Gunstbeweise hoffen konnte und nicht enttäuscht wurde. Die Amerikaner bombardierten Afghanistan, um die besten Köpfe der Taleban nicht zu treffen. Ihr Führer Mullah Omar und vor allem Osama bin Laden blieben verschont, damit der Große Satan aus berufenem Munde auch weiterhin der Große Satan genannt werden konnte. Das Gute baute auf die Verlässlichkeit des Bösen und sollte seinerseits nicht enttäuscht werden. Immerhin hieß die amerikanische Anti-Terror-Kampagne Enduring Freedom und zielte auf die Freiheit einer ganzen Epoche. Das Imperium brauchte seinen Mob daher nicht vorrangig, um ihn zu töten, sondern um einen Todfeind von epochaler Statur vorweisen zu können - und das jederzeit.

Ist dieses Prinzip nun bedroht durch den Tod von Udai und Kusai? Und überhaupt, wird das Gute dem Bösen in einer wahlverwandtschaftlichen Nähe zum Verwechseln ähnlich? Trophäen hier, Trophäen dort.

Aber sind Udai und Kusai wirklich so tot wie Nadjibullah und Shahpur? Die Inszenierung ihres Todes ist zu perfekt, als dass sie darauf verzichten wollte, als Inszenierung erkennbar zu sein. Die Vereinigten Staaten treiben der so genannten westlichen Zivilisation das Beharren auf Humanität aus, damit sie endlich lernt, sich aufs Überleben in wilden Zeiten einzurichten. Nicht zuletzt deshalb sind die Fotos der entstellten Gesichter des Udai und des Kusai veröffentlicht worden. Kein Blatt von Welt druckte die Totenköpfe des Monats nicht. Man konnte beim Betrachten von Menschenwürde reden oder sich gespannt fragen: Wovon haben wir eigentlich mehr? Wenn Udai und Kusai tot sind und im Eisschrank liegen oder wenn sie leben und eisgekühlten Whisky trinken?

Und kann die Frage nicht morgen schon beantwortet sein und sich alles wenden? Wer mag ausschließen, dass einer der vielen Doppelgänger Saddams oder gar Saddam persönlich ein Einsehen hat und die Söhne wieder auftauchen lässt? Möglicherweise als Udai und Kusai oder als Doppelgänger von Udai und Kusai, von denen man nicht mit letzter Sicherheit weiß, ob sie nicht doch Udai und Kusai sind. Dagegen ist das Gute auf Dauer nicht gefeit. Und darum geht es. (siehe auch Beitrag Medientagebuch in dieser Ausgabe)

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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