Das TV-Studio ähnelt in der Totale einer modernen Fußballarena. Die erste Kameraeinstellung zeigt vier Personen in einer mächtigen, sie umfangenden Kulisse. Die Szene verspricht Kampf mit offenem Visier und leidenschaftliche Debatten auf politischer Bühne. Und sie dementiert dies zugleich mit leeren Rängen, in denen kein Publikum tobt.
Das sitzt - wenn es am späten Sonntagabend noch Politiker sehen will - vor dem heimischen Fernseher und kann sich auch Im Kreuzfeuer bei RTL davon überzeugen, wie sehr Gestus und Rede ihrer Parlamentarier längst alles Lebendige ausgehaucht haben. So irreal und realitätsfern wie die Bühne ist auch der Auftritt der Polit-Stars.
Die Kamera fährt an einen Glastisch heran. Links sitzen die Moderatoren Sandra
Moderatoren Sandra Maischberger und Peter Kloeppel, rechts die beiden jeweiligen politischen Kontrahenten. Am Sonntag hieß das Duell Angela Merkel gegen Wolfgang Clement, beim Auftakt eine Woche zuvor Claudia Roth versus Guido Westerwelle. Weitere Polit-Stars sollen bis zur Bundestagswahl am 22. September Im Kreuzfeuer kritischer Fragen Farbe bekennen. Mit Maischberger und Kloeppel hat der Sender zwei hochkarätige Journalisten aufgeboten, um den Politikern mehr zu entlocken als die üblichen Floskeln im luftleeren Ungefähren. Nachrichtenmann Kloeppel erinnerte die Gäste mit seinen wenigen Fragen ganz staatstragend daran, dass sie den Wählern Rechenschaft über die Qualität ihres Handels schulden. Ins Kreuzfeuer nahm er die Politiker damit nicht. Diese Aufgabe musste Maischberger bisher ganz allein schultern - und sie scheiterte daran. Doch ihre Provokationen und ihr Nachhaken lassen einen in erhellenden Momenten die ganze Absurdität politischer Rhetorik wahrnehmen. So bei Angela Merkel, die nicht auf den Punkt bringen konnte, wie die CDU eine Senkung der Abgabenlast um bis zu acht Prozent finanzieren will. Maischberger hakte nach, bestand auf konkreten Zahlen, gab sich nicht mit nebulösen Verweisen etwa auf ein anziehendes Wirtschaftswachstum zufrieden. Zudem legte sie eine Umfrage vor, wonach nur zwölf Prozent der Befragten der Union ihre Wahlversprechen glauben. Die CDU-Chefin suchte händeringend nach einem Notanker. Und siehe da, wenn nichts mehr hilft, gibt es doch immer noch Gerhard Schröder. Der SPD-Kanzler habe mit seinen uneingelösten Versprechen zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit bei den Bürgern verbrannte Erde hinterlassen. Merkel ist die Meisterin des Ungefähren und Unentschiedenen, der gepflegten Ausrede. Das zeigt sich schon an ihrer Kleidung, die oberhalb und unterhalb des Tisches von der Kamera in Szene gesetzt wurde. Zum hellen, unauffälligen Blazer trug sie einen noch geschlitzten schwarzen Minirock, dessen Wagnis jedoch nur bis zu braven, flachen Halbschuhen gleicher Farbe reichte. Ein bisschen mutig sein, aber ja nicht zu viel. Sich um keinen Preis auf inhaltliche Konzepte festlegen, aber trotzdem auf Gegensätzen zur Regierung beharren. Sie will debattieren, aber Widersacher Clement müsse doch bitteschön bei der Wahrheit bleiben. Dass Merkel in dieser ihrer Rolle keine Chance hatte, gegen Edmund Stoiber das Rennen bei der Kanzlerkandidatur zu machen, zeigte sich am Sonntag erneut. NRW-Ministerpräsident Clement, in vielem ein sozialdemokratisches alter ego des Bayern, bestimmte das Rededuell, gab dabei den Macher ohne Selbstzweifel im tadellos sitzenden blauen, dezenten Anzug mit Schlips. Wie er Zahlen abspulte, eigene Erfolge verkaufte, sogar ein paar Versäumnisse eingestand und scharfzüngig den Gegner attackierte, wirkte er unangreifbar. Seinen Gesichtszügen hat er die immergleiche professionelle Maske antrainiert. Kritische Fragen prallen an diesem Panzer ab. Substanzielleres als Merkel hatte Clement auch nicht zu verbreiten, doch seine Antworten werden getragen von einer Aura des Korrekten, Unzweifelhaften. Clement erscheint als der unbestechliche Buchhalter, der nur sagt, was er auch belegen kann. Diesem Politiker-Typus hatte Merkel mit ihrer unbestimmt versöhnenden Art wenig entgegenzusetzen. Sie blieb immer in der Defensive, blies nie zur Attacke. Doch auch Maischberger und Kloeppel machten es Clement leicht. Keine Fragen zur Babcock-Pleite und zur Rolle der Westdeutschen Landesbank nicht nur in diesem Fall. Kein Nachhaken bei Clements Bilanz von vier Jahren Rot-Grün. Das war eine Woche zuvor bei Westerwelle noch anders, endete jedoch mit dem gleichen Resultat. Maischberger attackierte den FDP-Chef, wo sie konnte, und der goutierte das süffisant, ohne sich provozieren zu lassen. Politiker vom Typ Clement oder Westerwelle spulen die Endlosschleife ihrer wenig realitätshaltigen Rhetorik rein mechanisch ab. Egal wie die Frage lautet, es kann an jeder beliebigen Stelle neu angesetzt werden. Diesen Punkt völliger Kontrolle über die eigene Mimik, Gestik und Sprache wird Claudia Roth niemals erreichen, obwohl sie hart daran arbeitet. Mit Kostüm und hochhackigen Pumps wirkte sie wie angekommen im Establishment, allein die orangerote Farbe signalisierte noch einen Rest von Kampfeslust. Roth möchte seriös wirken und fällt doch immer wieder aus dieser Rolle. Westerwelles Neoliberalismus bringt sie in Rage, ebenso Fragen zur Flugaffäre. Sie hätten sich als Grüne nie als die besseren Menschen aufgeführt, schleuderte Roth ihre Antwort den Moderatoren zurück. Die Grünen-Chefin zeigte sich dünnhäutig, die basisdemokratische Herkunft ihrer Partei hat sie noch nicht reibungsfrei in Regierungshandeln überführen können. Wenn noch Leidenschaft aufblitzte Im Kreuzfeuer, dann auf Roths Gesicht. Dort zogen sich um die Augen Gewitterwolken zusammen, Empörung hat bei der Grünen-Chefin noch einen markanten Ausdruck. Sie allein bot für Momente mehr als eine blutleere und erstarrte Rede mit verschlossenem Visier.