Knapp ein halbes Jahr dauert der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, und die De-facto-Konfliktparteien aus dem Westen sind bemüht, die grassierende Kriegslogik argumentativ zu stützen. Statt mögliche Alternativen zu einer militärischen Lösung aufzuzeigen, trommeln sie öffentlich für ein „Weiter-so!“. Die dabei angeführten Argumente sind schlecht und werden auch durch ständige Wiederholung nicht besser. Man kann sie in vier Cluster einteilen: Überhöhung, Wille zur Konfrontation, Diskreditierung und Illusion.
Überhöhte Rahmensetzungen sollen die Bedeutung des Konflikts hervorheben und militärische Maßnahmen legitimieren. Dazu gehört die Aussage, der Ukraine-Krieg sei kein Regionalkonflikt, sonde
28;rische Maßnahmen legitimieren. Dazu gehört die Aussage, der Ukraine-Krieg sei kein Regionalkonflikt, sondern Teil einer globalen Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Autoritarismus. Die Ukraine kämpfe auch für unsere Freiheit und Werte. Nach drei Jahrzehnten gescheiterter Versuche des militärisch grundierten Exports von Demokratie soll es nun um deren Verteidigung gehen. Zur Not bis zum letzten Ukrainer? Wenn westliche Demokratien gefährdet sind, dann eher von innen, wie etwa das Abdriften des NATO-Mitgliedsstaates Türkei in den Autoritarismus belegt.Eine eher abstrakte Überhöhung ist die Behauptung, am Ausgang des Ukraine-Kriegs entscheide sich das Schicksal Europas. Der Konflikt mit Russland dauere wahrscheinlich lange, und die USA würden sich eher früher als später auf ihren Hauptrivalen China konzentrieren. Darum müsse die EU zu einem militärisch handlungsfähigen geopolitischen Akteur werden, der Russland in Schach halte. Das Argument ist eine Variation früherer Gründe für eine Militärmacht Europa, die auf Autonomie von den USA oder auf einen Großmachtstatus der EU zielen. Der Krieg in der Ukraine führt zwar zu einer immensen Aufrüstung des Westens, nicht zuletzt Deutschlands. Ob das jedoch zu einem militärischen Integrationsschub der EU führt, ist angesichts divergierender Interessen ebenso zweifelhaft wie die behauptete Schicksalhaftigkeit für Europa.Weiterhin wird argumentiert, der Westen müsse es der Ukraine durch militärischen Beistand ermöglichen, den Krieg zu gewinnen. Damit wird ein Kriegsziel benannt, dessen Präzisierung die Rückgewinnung aller besetzten Gebiete vorsieht, inklusive der Krim. Dass dies ohne direkte Beteiligung der NATO machbar ist, glauben nur militärisch Unbedarfte und ideologisch Verblendete. Noch gefährlicher ist die Aussage, der Westen dürfe sich nicht von der Drohung eines Atomwaffeneinsatzes bluffen lassen, sondern müsse die Ukraine mit allen Mitteln unterstützen. Diese Haltung missachtet die Gefahr einer nuklearen Eskalation und öffnet die Schleusen für einen totalen Krieg. Vor diesem Hintergrund ist es äußerst pikant zu behaupten, es sei die moralische Pflicht Deutschlands, die Ukraine mit der Lieferung schwerer Waffen zu unterstützen, ohne zugleich die damit verbundenen Gefahren und Grenzen aufzuzeigen.Personalisierung statt AnalyseDas dritte Cluster umfasst Argumente, um politische Gegner zu diskreditieren. Vor allem geht es gegen die Befürworter eines Verhandlungsfriedens. Diese werden als naive Idealisten oder „Unterwerfungspazifisten“ verunglimpft. Eine eindimensionale und moralisierende Polemik soll jeden Versuch blockieren, die Logik des Krieges zu durchbrechen. Nach außen gerichtet ist die Diskreditierung Russlands und seines Präsidenten en vogue. Mit Putin könne der Westen keinen Frieden schließen, heißt es, weil er ein Diktator, Schlächter und Lügner sei. Personalisierung und Diffamierung ersetzen eine nüchterne, realpolitische Analyse. Wie soll jemals Frieden in der Ukraine einkehren, ohne mit Wladimir Putin zu verhandeln? Antworten darauf werden mit dem Argument übergangen, Russland wolle gar keinen Verhandlungsfrieden, solange es seine Kriegsziele nicht erreicht habe. Selbst eine Waffenruhe sei demnach zwecklos, weil Moskau sie nur als Pause betrachte, um seine Kräfte zu regenerieren und bald erneut zuzuschlagen. Hat Russland die Ukraine einmal unterworfen, so die der Domino-Theorie aus dem Kalten Krieg entlehnte Behauptung, richte es seine Aggression gegen das Baltikum. Bleibt also nur die „alternativlose“ Schlussfolgerung, bis zum Endsieg zu kämpfen? Dann hätte die Politik wohl endgültig abgedankt.Schließlich schüren manche der kriegsbefürwortenden Argumente auch Illusionen. Dazu gehört die Behauptung, die westlichen Sanktionen würden Russland dazu bringen, den Krieg zu beenden. Der Westen müsse nur langen Atem beweisen und sie gegebenenfalls immer wieder verschärfen. Manchen dämmert es angesichts der Energiekrise und ihrer sozialen Folgen bereits, dass es sich um eine fatale Fehleinschätzung handelt. Sie ignoriert zudem Erkenntnisse der Sanktionsforschung, wonach derartige Maßnahmen nur unter günstigen Bedingungen verhaltensändernd wirken, die aber auf Russland und seine Handlungsoptionen in einer multipolaren Welt nicht zutreffen. Zu erwartende Bumerang-Effekte dürften auch durch „Blut-Schweiß-und-Tränen“-Appelle der Bellizisten ihre gesellschaftliche Wirkung nicht verfehlen.Absolut irreführend ist zu guter Letzt die Behauptung, es liege bei der Ukraine zu entscheiden, wann der Krieg beendet wird. Dies unterstellt eine politische Autonomie, die nicht existiert. Schon vor dem Krieg hing das Land am westlichen Finanztropf, momentan wäre es ohne die massive Hilfe des Westens wehrlos, der demzufolge – allen voran die USA – eine gewichtige Stimme hat. Folglich könnte er die Logik des Krieges durchbrechen, um mit der Ukraine und Russland den Weg zu einem Verhandlungsfrieden zu finden.Placeholder authorbio-1