Die Lust am Untergang

Belgien Ganz Europa richtet die Blicke auf das Brüsseler EU-Parlament. In Belgien jedoch stehen am Sonntag die Regionalwahlen und damit die Einheit des Landes im Vordergrund

Die Regionen – das niederländischsprachige Flandern im Norden, die frankophone Wallonie im Süden und dazwischen das zweisprachige Gebiet um Brüssel – sind die Rettung Belgiens, sagen die einen. Denn die weitreichenden Befugnisse der drei Parlamente halten den politischen Betrieb am Laufen, auch wenn die föderale Regierung seit zwei Jahren quasi handlungsunfähig ist. Anderen gelten die Regionen als Untergang des Landes. Schließlich fordern sämtliche flämischen Parteien, dass deren Kompetenzen unablässig wachsen. Die frankophonen lehnen das mehr oder weniger deutlich ab, fürchten sie doch, dadurch werde der belgische Staat weiter ausgehöhlt.

Was kann der in der Arbeitsmarkt-, Fiskal- und Gesundheitspolitik überhaupt noch bewirken? Gemäß der in Flandern verbeiteten Parole "was wir selbst tun, tun wir besser" strebt man im Norden die alleinige Zuständigkeit der Regionen an. Doch die frankophonen Parteien weigerten sich nach den nationalen Wahlen vom Sommer 2007 zunächst ein halbes Jahr lang, darüber zu verhandeln. Die flämische Seite drohte daraufhin mit einer Blockade der Subventionen, von denen die strukturschwache Wallonie mit ihrer hohen Arbeitslosigkeit abhängig ist. Erst eine Übergangsregierung, geleitet durch den ehemaligen Premier Guy Verhofstadt, half der heutigen Koalition in den Sattel.

Heikle Fragen aussitzen

Doch das Problem ist seither nur gestundet. Christdemokraten und Liberale aus beiden Landesteilen, ergänzt durch den frankophonen Parti Socialiste, stellen zwar auf dem Papier eine Mehrheit, sind in zentralen Fragen aber so zerstritten, dass heikle Fragen in der Regel ausgesessen werden. Die umstrittene Staatsreform zum Beispiel hat man in Arbeitsgruppen ausgelagert, um wenigstens eine „Regierung laufender Sachen“ zu ermöglichen. Die Regionen kommen in dieser Konstellation als gar nicht so heimlicher Machtfaktor ins Spiel. Bereits seit einem Jahr nämlich fungiert das Datum 7. Juni 2009 in der politischen Kontroverse als Druckmittel. Vor diesem Tag, hieß es wieder und wieder, werde man bestimmte heikle Themen nicht mehr anpacken, mussten die Partei doch befürchten, der Wähler werde sie bestrafen, sollte der Verdacht entstehen, man sei zu Konzessionen bereit. Schließlich ist in Belgien auch der föderale Urnengang auf Bundesebene nicht mehr als die Summe drei regionaler Voten, seit sich die Parteien mit den siebziger Jahren in jeweils einen frankophonen und einen flämischen Teil spalteten.

Zumal in Flandern hat sich quer durch das politische Spektrum ein teils aggressiver Chauvinismus breit gemacht. Just die Forderung nach mehr flämischer Selbstbestimmung brachte den dortigen Christdemokraten vor zwei Jahren einen klaren Wahlsieg. Dass sie derzeit in Umfragen Stimmen verlieren, dürfte fehlenden Wahlversprechen geschuldet sein. Von ihren Einbußen dürfte die Neu-Flämische Allianz (N-VA) profitieren, die offen für die Unabhängigkeit Flanderns eintritt. Gebremst scheint vorläufig der Aufstieg des rechtsextremen Vlaams Belang, der zahlreiche Wähler an die bürgerlich- rechte Liste Dedecker (LDD) verlieren dürfte.

Sozialisten im Abwind

In der Wallonie sieht das Parteienspektrum traditionell ganz anders aus. Der Parti Socialiste droht hier das Ende ihrer jahrzehntelangen Vormachtstellung. Der Kinderpornoverdacht gegen ein Gemeinderatsmitglied der Stadt Bergen sowie der Rücktritt eines wallonischen Ministers nach einem Korruptionsfall haben ihre Position weiter geschwächt. Davon profitiert der liberale Mouvement Réformateur (MR), der einer Staatsreform weniger ablehnend gegenüber steht, als das für den PS und seinen Koalitionspartner Centre Démocrate Humaniste (CDH) der Fall ist. Besondere Bedeutung erhält das Wahlergebnis zudem dadurch, dass die Regionalregierungen womöglich eine aktive Rolle bei dem Versuch spielen sollen, im schwelenden Streit der Sprachgruppen doch noch einen Kompromiss zu finden. Auf wallonischer Seite würde sich dennoch jede Koalition schwer tun mit Verhandlungen, an denen bekennende Sezessionisten beteiligt sind.

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