Die M-Frage

PONYFRANSEN Angela Merkel inszeniert eine Weiblichkeit von ambivalenter Qualität

Es war ein Moment, der einen beim Zuschauen sonderbar unzeitgemäß berührte. Jutta Speidel, die in der MDR-Talkshow River Boat eigentlich nur ihre neue Vorabendserie vorstellen sollte, musste unbedingt noch etwas anderes loswerden: "Es ist Zeit, dass endlich eine Frau Bundeskanzlerin wird. Ich würde sie wählen - obwohl ich weiß Gott keine CDU-Wählerin bin." Betretenes Schweigen in der Runde.

Öffentliche politische Bekenntnisse dieser Art sind out. Zugunsten von Angela Merkel eigentlich undenkbar. Hatte die nicht kurz zuvor auf Jörg Kachelmanns Frage, ob ihre derzeitigen Schwierigkeiten, sich in der K-Frage durchzusetzen, womöglich mit ihrem Geschlecht zusammenhingen, sehr ernsthaft geantwortet, Norbert Blüm habe seinerzeit ja auch so seine Schwierigkeiten mit der Rentenreform gehabt und der sei schließlich ein Mann?

Ist die nun so naiv oder tut sie nur so? Fest steht: Während Merkel in den vergangenen Jahren durchaus selbstbewusst damit begonnen hat, ihre ostdeutsche Herkunft als Teil der eigenen politischen Kompetenz zu präsentieren, hält sie sich in Geschlechterfragen weiterhin öffentlich bedeckt. Als die Welt am Sonntag kürzlich meldete, sie plane ihren Wahlkampf unter dem Motto "Eine Frau muss Kanzler werden", wurde das sofort von einem CDU-Mann dementiert. Von ihr selbst kein Kommentar dazu. Nur das gewundene Statement im Spiegel-Interiew, "im Grundsatz" sei die Bundesrepublik reif für eine Kanzlerin. Dass sie Susan Faludis "Die Männer schlagen zurück" seinerzeit furios in der Emma besprochen hat und sich mit deren Herausgeberin Alice Schwarzer schon mal zum Frühstück trifft, erfahren Spiegel-LeserInnen nicht. Erst recht nichts von der souveränen Lässigkeit, mit der sie acht Tage vor den Berliner Wahlen den CDU-Spitzenkandidaten Steffel auf dem Delegiertentag der Frauenunion öffentlich abgewatscht hat, als der unter dem höhnischen Gelächter der Delegierten behauptete, die CDU habe mit weiblichen Vorgesetzten kein Problem. Das wissen nur die, die dabei waren. Also vor allem engagierte CDU-Frauen.

Den anderen bleiben viele, vor allem ungute Erinnerungen: An eine Frauenministerin, die sich jahrelang öffentlich von der Quote distanzierte und sich bei der Abstimmung um den Antrag ihres eigenen Ministeriums zum § 218 aus Gewissensgründen enthielt. Doch mehr noch als die Fakten sind es die kollektiven Bilder, die zuverlässig dafür sorgen, dass sich die außerparteiliche Unterstützung für Merkel bislang in engen Grenzen hält. In ihrer spannenden politischen Biographie hat Evelyn Roll kürzlich solche Bilder kongenial beschrieben: Wie Merkel verlegen ihre Ponyfransen aus der Stirn pustet, wenn der Applaus so gar nicht enden will. Die peinliche Betroffenheit der anwesenden Journalistinnen, als sie sich bei der Bundespressekonferenz zur Amtseinführung von Laurenz Meyer an dessen Seite ziehen ließ, nachdem er - nicht sie - mit der Bemerkung gepatzt hatte, einen zweiten Missgriff bei der Wahl ihres Generalsekretär könne sie sich schließlich nicht leisten. Einen "Übergriff und eine Herrschaftsgeste als verlegene Wiedergutmachung", nennt die Berliner Journalistin diese Geste. Zu Recht.

Gegen solche Bilder personifizierter weiblicher Machtlosigkeit müsste Merkel nun anrennen. Nicht indem sie sie negiert. Im Gegenteil: Das Foto, mit dem die Welt am Sonntag vergangenes Wochenende Merkels überfälliges Bekenntnis "Ich werde kandidieren" illustrierte, zeigt den Zwiespalt, in dem sie steckt, ja überdeutlich: Geballte Fäuste, auf Kopfhöhe erhoben, sollen Siegesgewissheit signalisieren; doch den Kopf hält sie lächelnd geneigt, den Blick von unten nach oben gerichtet: eine typische Unterwerfungsgeste.

Mag sein, dass ihre Rechnung aufgeht und sie auch ohne deutliches Bekenntnis, welche ihrer spezifisch weiblichen Erfahrungen sie als Kanzlerin einbringen möchte, die eine oder andere Frau auf ihre Seite zieht. Für alle anderen gilt der Satz von Christine Westermann. Die reagierte auf Jutta Speidels enthusiastisches Pro-Merkel-Bekenntnis entgeistert: "Aber doch nicht Frau um jeden Preis."

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