Die Macht der Düfte

Marketing Weil Gerüche ungefiltert ins lymbische System gehen, beschäftigen Firmen inzwischen sogar Duftdesigner. Das Ergebnis: Bankschalter mit Minzduft und Autos mit Vanillenote

Enzian, Edelhölzer und rote Pfefferbeere – so riecht die Schweiz, jedenfalls wenn es nach Sissel Tolaas geht. Die Frau mit den wasserstoffblonden Haaren sitzt in der Lobby des Swissotel in Berlin. Sie fächert sich mit der Hand Luft zu, atmet tief ein: „Smell it! Jetzt riecht es wieder stärker.“ Ein blumiger Geruch liegt in der Luft, als hätte jemand viel Parfüm aufgetragen. Es ist der Duft des Hauses. Das Hotel selbst hat aufgetragen. Über die Klimaanlage wird die Lobby seit knapp einem Jahr mit einem Designerduft versorgt. Tolaas hat ihn für die Schweizer Hotelkette kreiert.

Sie hätte gern Käsegeruch mit hineingemischt, sagt sie. „Aber die Hoteliers wollten, dass der Duft sauber, frisch und modern riecht.“ Es klingt ein wenig enttäuscht. Tolaas, 47, gebürtige Norwegerin, arbeitet als Künstlerin, Forscherin, Dozentin und Designerin – immer mit Düften. Der weltweit zweitgrößte Duft- und Aromastoff-Hersteller, „International Flavors Fragances“, finanziert ihr ein Labor in Berlin. Dort entwickelt sie Aromen, schafft Geruchs-Installationen und forscht an neuen Möglichkeiten, Düfte einzusetzen.
Bei künstlichen Raumdüften ging es bisher darum, vorhandene Gerüche wie etwa penetranten Essensduft zu überdecken, erzählt sie. Das soll der Swissotel-Duft zwar auch, aber nicht nur das. „Man muss den Duft als integratives Element verstehen, als Teil der Architektur“, sagt sie. Überall auf der Welt sollen die Gäste ein Swissotel an seinem speziellen Duft wiedererkennen.

Ein unsichtbares Logo

Die Zeiten, in denen nur die Parfüm- und Kosmetikindustrie an neuen Duftkreationen interessiert war, sind vorbei. Heute arbeiten Parfümeure und Duftexperten auch im Auftrag von Elektronikherstellern, Banken, Autofirmen oder Hotelketten. Einfache Duftspender mit Vanilleduft haben ausgedient. Wer etwas auf sich hält, lässt sich einen eigenen Markenduft kreieren, ein unsichtbares Logo. „Corporate Smell“ nennen Marketingexperten das und schwärmen von der „Erweiterung der Corporate Identity um den olfaktorischen Sinn“.
Geruch ist der einzige Sinnesreiz, der ungefiltert ins limbische System geht – dorthin, wo im Gehirn unsere Emotionen entstehen. Duft entscheidet unmittelbar über Zustimmung oder Ablehnung, Sympathie oder Antipathie. Und mit Gerüchen werden Erinnerungen verknüpft. Deshalb entwickeln immer mehr Unternehmen gezielte Strategien, um ihre Produkte mit dem richtigen Duft zu verknüpfen.

„Coca-Cola etwa reproduzierte für Getränkeautomaten den Geruch einer Sonnencreme aus den 60er Jahren, die damals bei der Zielgruppe Marktführer war“, sagt Robert Müller-Grünow. Seit zwölf Jahren macht er mit seiner Kölner Firma „Scent-communication“ Duftmarketing. „Die Werbung beschränkte sich lange auf visuelle und akustische Botschaften, seit zwei, drei Jahren hat sich aber auch in Deutschland die Erkenntnis durchgesetzt, dass es noch andere Wege gibt, Einfluss zu nehmen.“
Der jetzige Trend zum „Corporate Smell“ sei auch darauf zurückzuführen, dass weltweit Ladenketten, Banken oder Hotels immer homogener aussehen. Im individuell designten Geruch sehen die Firmen eine Möglichkeit, sich von der Konkurrenz abzuheben. Derzeit arbeitet Müller-Grünow für eine große internationale Bank, die demnächst erstmals ihre polnischen Filialen mit einem eigenen Duft ausstatten will.

„Es soll eine Mischung sein, die nach Tradition, Verantwortlichkeit und Vertrauen riecht“, sagt er. Nicht ganz einfach in Zeiten wie diesen. Viele Menschen fühlten sich unwohl, wenn sie eine Bank betreten, Geldsorgen drückten auf das Gemüt. „Etwas Belebendes wie Zitrone, Minze oder Orange kann da helfen, sich zu relaxen.“ Was sonst noch in einen vertrauensschaffenden Bankduft gehört, will er aber nicht verraten.

In der Lobby des Swissotel drängt Sissel Tolaas zum Aufbruch. Sie will ihr Labor zeigen. Auf dem Weg dorthin absolviert sie ihr tägliches Geruchstraining. Tolaas hält auf dem Gehsteig immer wieder an, macht Abstecher zu Bäumen, beschnuppert Mauern mit Graffitis. „Die Farbe auf der Wand kann ich deutlich riechen. Und neben dem Beton und dem Staub kommt auch etwas Hunde-pippi durch.“ Es sei wichtig, immer wieder die Grundlagen zu riechen. Erst dann könne man verstehen, was man täglich an künstlich-synthetischen Gerüchen einatme.

Kunstleder-Schuhe, die nach Leder duften

In Kaufhäusern und großen Supermärkten wird die Macht des Dufts geschickt eingesetzt. Orangen in der Obstauslage werden mit extra Orangenduft besprüht und weil Kunstleder-Schuhe nicht nach Leder duften, wird in der Schuhabteilung künstlich nachgeholfen. Bei Gebrauchtwagenhändlern besonders beliebt ist versprühbarer „Neuwagen-Duft“, mit dem Kunden bei der Probefahrt beeindruckt werden sollen.

Nur wenige Unternehmen stehen aber offen zum Einsatz künstlicher Düfte. Denn es gibt Kritik, die über den Vorwurf der Manipulation hinausgeht. Umweltschützer machen gegen die synthetischen Düfte mobil. Studien zeigen, dass die eingesetzten Chemikalien schädlich für Allergiker sein können. Außerdem verschlechtert sich der Geruchssinn von Menschen, die dauerhaft künstlicher Raumbeduftung ausgesetzt sind. Sie brauchen – ähnlich wie Drogenabhängige – immer stärkere Dosen, um überhaupt noch etwas zu riechen.
Die meisten Duftmarketing- und Luftveredelungsfirmen behaupten, dass sie mittlerweile auf Allergiker Rücksicht nehmen und nur mit natürlichen Stoffen arbeiten. Überprüfen lässt sich diese Behauptung aber kaum.

In ihrer 300 Quadratmeter großen Altbau-Wohnung führt Sissel Tolaas die Besucherin durch ihre Arbeitsräume, eine Mischung aus Lounge und Labor. Der Blick durch offene Flügeltüren zeigt lange Regalreihen, vollgestopft mit kleinen Flaschen: die Substanzen, aus denen Tolaas Gerüche komponiert.
Bevor sie einen „Corporate Smell“ zusammensetzt, recherchiert sie im Unternehmen, spricht mit Mitarbeitern, sammelt Dufteindrücke in der Umgebung. Mit der so genannten Headspace-Technik kann Tolaas Gerüche in ihre feinsten Strukturen aufschlüsseln. Dabei wird Luft aus der unmittelbaren Nähe von Gegenständen oder Personen in eine Glasglocke gesaugt. Ein Computer analysiert die Moleküle, so dass Tolaas den Duft dann nachbauen kann. Derzeit arbeite sie am Markenduft für einen Sportartikelhersteller. „Wir planen eine Riesensache bei Olympia 2010 in London.“

Unterrichtsfach Riechen

Tolaas nutzt ihr Labor aber nicht nur, um im Auftrag der Industrie Nasen zu verwirren. Sie gibt dort auch Kindern Nachhilfe im bewussten Riechen. Einmal im Monat kommen die Klassenkameraden ihrer zehnjährigen Tochter, dann öffnet sie die Phiolen oder führt die Kinder zu ihrer Duftsammlung, die in 6.000 luftdicht verschlossenen Silberdosen auf den Regalen steht.
Hier bekommen die Kinder Kamelmist aus Ägypten oder faule Mangos aus Indonesien unter die Nase gehalten. „Kinder haben weniger Vorurteile, was gut und schlecht riecht. Die von der Werbung und der Gesellschaft verbreiteten Klischees sind bei ihnen noch nicht so fest verankert“, sagt Tolaas. Die Kinder sollen lernen, kritisch damit umzugehen, wie Gerüche eingesetzt werden. „Wenn man einen Duft kennt und weiß, wozu man ihn benutzen kann, dann glaubt man nicht mehr alles.“

Ihre Nachhilfeschüler helfen ihr aber auch bei der Arbeit: Tolaas lässt sie die Düfte beschreiben, gemeinsam suchen sie nach neuen Wörtern für das Gerochene. Mitunter fließen die Vorschläge der Kinder dann in „Nasolo“ ein – eine Kunstsprache speziell für Gerüche. Tolaas entwickelt sie zusammen mit Linguisten, Anthropologen und der Firma Sony.

Auch für Menschen könnte man einen „Corporate Smell“ bauen, sagt Tolaas. „Einen Geruchsverstärker des eigenen Ichs.“ Sie selbst hat es schon ausprobiert und mit der Headspace-Technik Gerüche von verschiedenen Körperteilen aufgenommen. Jetzt steht der „Sissel-Tolaas-Duft“ im Regal, für besondere Anlässe. Und was benutzt sie sonst? „Ich nehme kein Deo und kein Parfüm“, sagt sie. „Nichts von der Industrie.“

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