Die Mär vom sauberen Gas

Energiewende Erdgasproduktion erzeugt den Klimakiller Methan, auch deshalb muss Nord Stream 2 gestoppt werden. Die Zukunft ist dezentral
Ausgabe 17/2021
Die Mär vom sauberen Gas

Illustration: Verena Mack für der Freitag

Eigentlich müsste bei dem Gezerre um die Gas-Pipeline Nord Stream ja die Frage im Zentrum stehen, wann der bestehende erste Strang stillgelegt wird. Da es aber zunächst nur um Schadensbegrenzung geht: Die nächste Bundesregierung muss Nord Stream 2 stoppen! Es braucht eine klare Entscheidung gegen neue Gas-Infrastruktur.

Während sich die Klimaschutzbewegung auf den Widerstand gegen die Kohle konzentriert hat, bereitete die Öl- und Gas-Industrie einen gigantischen Marketing-Coup vor: die Geschichte vom sauberen Gas. Flankiert von einem Aushängeschild wie Gerhard Schröder behaupten die Konzerne hinter Nord Stream 2, es ginge ihnen darum, „CO₂-Emissionen zu begrenzen, indem wir mehr sauberes Erdgas produzieren“. Mit fragwürdigen Studien, glänzenden Broschüren und Gas-Galas hat die Industrie ihre grün gewaschenen Claims unterstrichen: Gas sei eine unabdingbare Brückentechnologie.

Dabei zeigen neue Studien aus den USA, dass die Methan-Emissionen aus der Erdgasproduktion viel gravierender sind als bisher angenommen. Der Hauptbestandteil des Erdgases – Methan – wirkt deutlich stärker in der Atmosphäre als CO₂. Vor allem in den ersten 20 Jahren nach der Freisetzung ist es 87-mal klimaschädlicher als CO₂. Das Polareis schmilzt schon heute, die Gletscher schwinden, Sibirien brennt immer wieder. Methan stößt diese Kettenreaktion in Richtung Klima-Abgrund mit an.

Wer behauptet, es brauche neue, zusätzliche fossile Infrastruktur, hat falsch geplant und handelt fahrlässig. Diese neue Infrastruktur bringt das Gegenteil von Sicherheit: Sie gefährdet unsere noch stabilen Lebensgrundlagen. Konzernen, die mit solchen Projekten beginnen, kann nicht automatisch das Recht zur Fertigstellung gegeben werden, wenn in der Zwischenzeit bindende Verträge wie das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet werden. Sorry, Gazprom und Wintershall & Co.!

Der Widerstand gegen Nord Stream 2 wächst. Östliche EU-Staaten wie Polen, aber auch westliche wie Frankreich begründen ihre Ablehnung vor allem geopolitisch. Das Nein der USA hat einen starken ökonomischen Hintergrund. Aber können nicht auch falsche Motive in die richtige Richtung führen? Wobei klimapolitisch das Fracking-Gas, das Washington als „Alternative“ in den Markt drücken will, ebenso klar abzulehnen ist.

Die russische Gasproduktion nimmt wenig Rücksicht auf die Umwelt oder die indigene Bevölkerung, in deren Gebiet gefördert wird. Nord Stream 2 zementiert die Macht der entsprechenden Konzerne und auch des Autokraten Wladimir Putin. Die GroKo unter Angela Merkel nimmt das in Kauf und begibt sich noch weiter in Abhängigkeit. Dabei ist es sicherer und effizienter, Energie vor Ort zu produzieren.

Nötig ist eine dezentrale Energiewende. Demokratisch und genossenschaftlich können etwa Solaranlagen gebaut werden. Gewinne und Zinsen fließen dann an Mitglieder und nicht an Konzerne. So profitieren Menschen vor Ort. Lokale Wärmenetze sind die Zukunft. Fatal sind Anreize, Öl- durch Gasheizungen zu ersetzen.

Schon ohne eine Bezifferung der Klimaschäden kostet Nord Stream 2 die Investoren 9,5 Milliarden Euro. Würden die Banken solche Summen für alternative Vorhaben zur Verfügung stellen, flösse günstiges Geld in fortschrittliche Projekte. Nicht nur die Organisation „Positive Money“ schlägt das vor. Das Geld würde für 1,9 Millionen mittelgroße Dachsolaranlagen oder Wärmepumpen für eine Million Häuser reichen.

Die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock hat sich gegen Nord Stream 2 ausgesprochen. Sollte sie an der Bundesregierung beteiligt werden, wäre dieses Nein ein Prüfstein für eine glaubwürdige Klimapolitik. Ein anderer wäre, sich von den USA kein Fracking-Gas aufdrängen zu lassen, dessen Produktion bereits kurzfristig verheerende Folgen hat. Denn diese Debatte dreht sich um langfristige Existenzbedingungen, nicht um kurzfristige Machtpolitik.

Annemarie Botzki ist Campaignerin bei WeMove Europe und Extinction Rebellion

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