Die Männer werden so alt, wie sie gelebt haben

Im Gespräch Der Gerontologe Eckart Hammer über Falten und Brüche, die männlichen Wechseljahre und wie Mann besser alt wird

FREITAG: Sie haben Ihr Buch "Männer altern anders" im Untertitel "eine Gebrauchsanweisung" genannt, was an die Do it yourself-Anleitungen fürs Autoreparieren erinnert. Dennoch hatte ich beim Lesen das Gefühl, Ihr Buch wendet sich vor allem an Frauen - ist das nun ein Frauen-Trostbuch?
ECKART HAMMER: Das höre ich jetzt zum ersten Mal und ist interessant. Ich habe das Buch auf jeden Fall für Männer geschrieben, aber Sie haben Recht, Männer lesen so etwas in der Regel nicht, schon deshalb, weil sich Männer nicht gerne mit sich selbst befassen, und davon handelt das Buch ja.

In meiner Umgebung geben Männer möglichst nicht zu, dass sie altern: Sie heiraten junge Frauen, zeugen noch mal Kinder oder sie holen ihre Karriere nach oder joggen bis zum Umfallen. Dass die Biologie zum Schicksal wird, war eigentlich immer Privileg der gebärfähigen Frauen. Nun scheint sich das zu wiederholen in dem Sinn, dass Alter wieder nur für Frauen Schicksal ist.
Das stimmt schon insofern, als Frauen früher als alt wahrgenommen werden als Männer: "Frauen bekommen Falten, Männer Linien" und werden angeblich interessanter. Dazu kommt, dass Frauen ohnehin älter werden, das hohe Alter ist weiblich. Deshalb auch meine Hypothese, dass viele Missstände in der Altenhilfe damit zu tun haben, dass dort Frauen arbeiten und das Alter weiblich ist. Wären 90 Prozent der Heimbewohner Männer, stünde es um die stationäre Altenhilfe wahrscheinlich besser.

Gleichzeitig behaupten Sie in Ihrem Buch, dass das Alters-Schicksal Männer härter trifft als Frauen.
Frauen sind in viel stärkerem Maße als Männer lebenslang mit biographischen Brüchen konfrontiert: Ausbildung, Beruf, Familie, wieder Beruf, Pflege usw. - sie bewegen sich in verschiedenen Bezugsfeldern und haben gelernt, mit Unvorhersehbarem umzugehen. Männer, soweit sie eine Normalarbeitsbiographie leben, die allerdings im Schwinden ist, werden gelebt, da wurde alles von außen bestimmt. Die Entberuflichung ist der erste wirkliche Bruch, an dem Männer auf sich selbst zurückgeworfen sind. Wenn sie aus dem Beruf fallen, stehen sie vor der Frage, was jetzt? Tätigkeiten, Freunde, alles war bislang über den Beruf vermittelt. Jetzt bleibt plötzlich nur noch die Ehefrau, die alle Bedürfnisse erfüllen, alles auffangen soll. Und da die Phase des Ruhestands heute viel länger dauert als früher, weil die Leute mit 55 schon alt gemacht werden und gleichzeitig länger leben, wird das zum Problem. Mit 55 plötzlich radikal sein Leben ändern zu müssen, wenn man aus dem "Gefängnis" der Arbeit "freigesetzt" wird, ist eine Herausforderung, und die meisten Ruheständler haben kein Konzept dafür.

Sie beschreiben ein gerontologisches Konzept: Wir altern, wie wir gelebt haben. In einer Stadt wie Reutlingen oder Freiburg mag das noch sozialverträglich werden. Wenn ich mir Berlin ansehe, ist das eine ziemliche Horrorvorstellung: Lauter egozentrische Singles auf dem lebenslangen Weg nach Selbstverwirklichung. Wie sieht das, was zumindest die Generation, die in zehn, zwanzig Jahren alt sein wird, geprägt hat, dann aus?
Ganz genau so: Die egomanischen Berliner Singles werden so alt, wie sie gelebt haben und einsam sein. Die Betriebsamkeit braucht sich auf, bricht ab, und es ist niemand da, der sie im Zweifelsfall auffängt. Aber so anders ist das bei uns in Reutlingen auch nicht, wenn ich dort einen Beruf habe und nicht darauf achte, dass es tragfähige Netze durch Freunde oder Nachbarschaft gibt, dann stehe ich genauso da.

Ein Problem für Männer ist, im Alter stabile soziale Beziehungen, die früher strukturell gestiftet wurden, herzustellen. Männer sterben früher, sie nehmen sich öfter das Leben als Frauen. Soziale Kompetenz lässt sich aber nicht so einfach nachholen, was würden Sie Männern raten?
Das ist in der Tat schwierig, denn Untersuchungen belegen, dass in der Regel nur die Aktivitäten, die mit 20 oder 30 begonnen wurden, auch im Alter weiter geführt werden. Insofern begleitet einen die Frage "Wie lebe ich richtig?" lebenslang. Eine Chance besteht darin, dass wir historisch erstmals in einer Phase der Entberuflichung leben, die materiell relativ abgesichert ist und in der man bei guter Gesundheit ein neues Geschäft anfangen kann und muss. Ein Beispiel wäre, dass man sich sozial engagiert für das Gemeinwesen, in der Nachbarschaft. Im Konzept des bürgerschaftlichen Engagements mache ich mit anderen etwas für mich und gleichzeitig für andere, was irgendwann auf mich zurückfällt, in Form von Wahlverwandtschaften, eines sozialen Netzes, auf das ich dann zurückgreifen kann.

In der letzten Erhebung zum bürgerschaftlichen Engagement wird wieder einmal vermerkt, dass Männer vor allem im Sportverein oder in der Politik ehrenamtlich tätig werden, das monieren auch ehrenamtlich tätige Frauen. Das heißt, im Prinzip wiederholen sich die männlichen Berufsrollen im Alter. Wie ist das zu durchbrechen?
Es gibt tatsächlich eine starke geschlechtsspezifische Rollenteilung im bürgerschaftlichen Engagement. Aber vielleicht ist es ja gar nicht so schlecht, dass die Männer das weiter tun, was sie können - der Manager zum Beispiel, der in einer neuen, sozial orientierten Form sein Wissen weitergibt. Ich habe das unter dem Stichwort "Wechseljahre" beschrieben, die biologisch für den Mann wahrscheinlich nicht so gravierend sind, aber eine Möglichkeit sind, innezuhalten, zu überlegen, wo stehe ich, wie sieht mein Umfeld aus, orientiere ich mich nur nach außen oder lasse ich andere Dimensionen in mir zu?

Sie sagen, die männlichen Wechseljahre gibt es biologisch nicht. Aber ist nicht gerade der Verlust der männlichen Kraft und Potenz identitätsbedrohend für Männer?
Also, ich denke, für Frauen bedeuten die Wechseljahre biologisch einen radikaleren Bruch als für Männer, bei Männern setzt das früher ein, schon mit 30 verändert sich ihr Hormonstatus, der Prozess verläuft schleichender. Ich kann mich mit den medizinischen Auswegen aus den männlichen Wechseljahren nicht anfreunden, weil Männer ohnehin gerne zu solchen technischen Lösungen greifen, man denke nur an Viagra. Ein Mann kann diese Veränderungen aber auch zulassen im Sinne einer Verunsicherung, indem er sich fragt, wie steht es um meine Partnerschaft, ist sie noch tragfähig, was ist da noch möglich, anstatt einfach loszurennen, sich eine jüngere Frau zu suchen und Hormone zu spritzen. Wichtig ist auch, sich einzugestehen, dass man nicht mehr die Kräfte wie vor 20 Jahren hat und sich zum Beispiel fragen sollte, ob der Marathon gesundheitlich noch angesagt ist.

Wenn ich mir den heutigen demographischen Diskurs anschaue, der männlich dominiert ist, habe ich immer den Eindruck, da haben Männer Angst, einmal nicht mehr von Frauen gepflegt zu werden. Generell ist Pflegebedürftigkeit ein verdrängtes Thema und scheint seit der Pflegeversicherung noch verdrängter zu werden. Sie sagen, dass Pflege für Männer auch eine Chance eröffnet.
Ihre These, dass die Pflegeversicherung die Auseinandersetzung mit Pflegebedürftigkeit verändert hat, scheint plausibel. Pflege bedroht die männliche Autonomie, Männer wollen lebenslang steuern und bestimmen. Wenn Männer aber selbst in die Lage kommen, beispielsweise ihre Frau zu pflegen, kann das auch mit dem Gefühl einhergehen, etwas zurückgeben zu können, vor allem, wenn sie in traditionellen Ehen gelebt haben. Männer haben gesellschaftlich gesehen für die Pflege auch gute Voraussetzungen, denn sie werden als Pflegende wahrgenommen, sie erhalten Unterstützung und Anerkennung. Männer sind auch in der Lage, sich besser abzugrenzen und das wird akzeptiert, es wird ihnen zugestanden, dass sie keine Einlagen wechseln und am Sonntag auch mal in den Sportverein wollen. Von Frauen wird einfach selbstverständlich erwartet, dass sie pflegen. Deshalb bin ich der Auffassung, dass pflegende Männer sichtbarer werden müssen, auch wenn es ungerecht ist, dass sie gelobt werden. Nur so macht ihr Beispiel Schule.

Alte Männer unterscheiden sich von alten Frauen. Aber auch alte Männer sind nicht alle gleich - mein Eindruck ist, dass das Alter die sozialen, geschlechtsspezifischen und ethnischen Gräben und Verwerfungen noch einmal vertieft.
Zunächst: Alt nicht gleich alt und kein Kontinent ist bunter als das Alter. Deshalb ist es natürlich immer wichtig zu fragen, von welchem Menschen wir reden. Ganz sicher ist, dass Reiche länger leben, und das soziale Gefälle dramatisiert sich im Alter noch. Die Geschlechter gleichen sich im Alter biologisch zwar eher an, aber die Frauen werden aufgrund der unterschiedlichen Lebenserwartung häufiger Witwe und Armut ist für sie ein gravierenderes Problem. Migranten, für die die Rückkehroption immer ein Thema ist, kann es passieren, dass dieser Traum im Alter platzt und die Zerrissenheit zwischen den Kulturen und die Entfremdung von der jüngeren Generation spürbarer und schmerzhafter wird.

Die demographische Verschiebung wird möglicherweise zu einer Herrschaft der Alten führen, vor der Sie auch warnen. Besteht nicht auch die Chance, dass die Alten zivilere, friedlichere Bedürfnisse entwickeln als junge Menschen und das gesellschaftlich von Vorteil ist?
Zunächst ist die Klage über die Umkehrung der Bevölkerungspyramide Unsinn. Wer sich das zurückwünscht, wünscht sich Kinder- und Jugendlichensterblichkeit zurück und will, dass 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen das 20. Lebensjahr nicht erleben. Insofern ist es gut, dass die Gesellschaft altert. Wenn nun die Alten mehr Gewicht haben, gibt es bestimmt viele Dinge, die auch allen anderen das Leben erleichtern, zum Beispiel Handys, die ich auch noch mit 53 und DVD-Player, die überhaupt jemand bedienen kann. Eine altengerechte Gesellschaft ist eine menschengerechte Gesellschaft. Wichtig ist aber die Verteilungsfrage, wie werden die gesellschaftlichen Ressourcen verteilt? Wir leben heute mit Kinderarmut, nicht mit Altenarmut, und in den Gaststätten müsste statt eines Seniorentellers ein Alleinerziehendenteller angeboten werden. Es wird sicher keine aktive Altenmacht geben, aber eine passive, und sie werden dadurch politischen Einfluss haben. Gleichzeitig gibt es viele Alte, die generationsübergreifend denken und nicht nur ihre Rente gesichert sehen wollen, sondern auch die Zukunft ihrer Enkel.

Sie haben am Ende, ziemlich ungeschützt, eine Utopie vorgestellt, wie Sie sich Ihr eigenes Alter vorstellen, wie sieht das aus?
Ich wünsche mir natürlich, dass ich als Hochschullehrer, Berater und Autor mit 85 noch fit bin und dann irgendwann möglichst schnell einen schönen Tod habe. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich in diesem Alter dann aber nicht mehr ganz so gut bei Kräften bin, ist relativ hoch. Dann hoffe ich, dass ich in einem überschaubaren, generationsgemischten Wohnprojekt leben kann, wo ich mit meiner dann hoffentlich noch lebenden Frau in einer gut vernetzten Nachbarschaft aufgehoben bin. Wenn ich dann eines Tages pflegebedürftig sein sollte, hoffe ich auf das kleine überschaubare Heim um die Ecke mit maximal zehn Plätzen, in das ich gerne ziehe und alte Bekannte wieder treffe und wo mich die Nachbarschaft besuchen kann.

Wenn Sie unserer Generation, den heute um die 50-Jährigen, einen Rat geben könnten, wie sähe der aus?
Mit der Altersvorbereitung nicht warten und aufschieben, sondern anfangen. Heute richtig leben!

Das Gespräch führte Ulrike Baureithel

Eckart Hammer ist Sozialwissenschaftler und lehrt an der Fachhochschule in Ludwigsburg das Fach Gerontologie. Sein Buch Männer altern anders - Eine Gebrauchsanweisung ist kürzlich im Herder-Verlag Freiburg erschienen.

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