Die Masken fallen

Katalonien Madrid eskaliert die Lage mit neuer Repression. Die Inhaftierten, Jordi Sánchez und Jordi Cuixart, waren noch nie radikale Aufwiegler. 200.000 Menschen demonstrieren
Die Independentistes sind wieder zusammengeschweißter, nachdem der zaudernde Kurs der Generalitat für Unmut gesorgt hatte
Die Independentistes sind wieder zusammengeschweißter, nachdem der zaudernde Kurs der Generalitat für Unmut gesorgt hatte

Foto: Pau Barrena/AFP/Getty Images

Die cacerolada, das Topfklopfen aus Protest, war an diesem Montagabend die spontane Reaktion darauf, dass Jordi Sánchez und Jordi Cuixart in Untersuchungshaft genommen worden waren. Am Dienstag dann gingen 200.000 Menschen auf die Straße, um gegen diese neue Stufe der Eskalation zu protestieren.

Sánchez und Cuixart sind die Präsidenten der großen Unabhängigkeitsorganisationen Assemblea Nacional de Catalunya (ANC) und Òmnium Cultural. Die Richterin des nationalen Strafgerichtshofs macht beide für das Delikt der sedición verantwortlich, der Anstiftung zu Aufruhr und Widerstand gegen den Rechtsstaat. Das Urteil meint damit die Aufrufe von ANC und Òmnium Mitte September, polizeiliche Maßnahmen gegen Kataloniens Regionalregierung zu blockieren und vor der Niederlassung des spanischen Justizministeriums in Barcelona zu protestieren.

Friedlicher Protest für jedes Alter

Die Härte der Entscheidung überraschte allseits. Ob wohlwollend oder empört, für spanische wie katalanische Medien ist das Urteil gegen Sánchez und Cuixart politisch aufgeladen, es sendet der „separatistischen Revolte“ (El País) die Botschaft: Die Infragestellung des Rechtsstaates bleibt nicht ungestraft. Nur: Sánchez und Cuixart waren noch nie radikale Aufwiegler. Unter ihrer Präsidentschaft organisierten ANC und Òmnium friedliche Proteste für alle Altersklassen. Die Verhaftungen rütteln eine Stimmung auf, die zuletzt von der institutionellen Politik eingeschläfert worden war. Die independentistes sind wieder zusammengeschweißter, nachdem der zaudernde Kurs der Generalitat für Unmut gesorgt hatte.

Wäre es nicht Spaniens größte Staatskrise seit Francos Tod 1975, so könnte der Konflikt rund um den Unabhängigkeitsprozess als Seifenoper durchgehen. Sie hält bedauerliche Folgen wie die Verhaftung von Sánchez und Cuixart bereit, aber auch bizarre wie das Hin und Her zwischen Spaniens Premier Mariano Rajoy und Kataloniens Präsident Carles Puigdemont. Ausgerechnet Rajoy, Meister des Zauderns und der Schwammigkeit, forderte Puigdemont heraus, endlich klar mitzuteilen, ob dieser am 10. Oktober die Unabhängigkeit von Katalonien erklärt hatte oder nicht. Tatsächlich spielte Puigdemont mit der Vieldeutigkeit, hatte er doch eine Unabhängigkeitserklärung temporär aufgehoben, die das Parlament de Catalunya gar nicht erst beschlossen hatte. Puigdemont vollzog damit einen taktischen Zug. „Wir möchten reden. Aber Madrid sperrt sich und suspendiert auch noch, mit der Anwendung des Verfassungsartikels 155, unsere Autonomie“: Dies dürfte die Wette Puigdemonts gewesen sein, um in Europa und Katalonien die Legitimität des Unabhängigkeitsprojektes zu erhöhen und den Autoritarismus Madrids bloßzustellen.

Technokratenkabinett? Neuwahlen?

Puigdemont spielte Rajoy einen vergifteten Ball zu. Und der spielte ihn zurück: Bis Donnerstagmorgen soll Puigdemont erklärten, ob er die Unabhängigkeit erklärt hat. Dialog bekunden und parallel von einem Unabhängigkeitsmandat auszugehen – davon muss Kataloniens Präsident lassen, ob mit Erklärungen oder Schreiben der Art, wie er es diesen Montag verfasste. Anderenfalls wird sich die Zentralregierung „gezwungen sehen“, gegen das verfassungswidrige Handeln der Generalitat Zwangsmaßnahmen zu ergreifen: erst die Absetzung der Puigdemont-Regierung und dann – je nach politischem Klima – die Einsetzung eines Technokratenkabinetts oder Neuwahlen in Katalonien.

Was nun? Auf Befehl wird Puigdemont nicht vom Unabhängigkeitskurs zurückrudern. Eine bedingungslose Kapitulation ohne ein minimales Gegenangebot der Zentralregierung wäre eine Demütigung für das hochmobilisierte Unabhängigkeitslager, in den Institutionen wie auf der Straße. Es sind zu viele Akteure und zu viele entfremdende Ereignisse zwischen Katalonien und Madrid – seit Jahren und besonders im letzten Monat –, als dass jetzt alle alles fallen lassen. Vor allem nach der Verhaftung von Sánchez und Cuixart. Die kurz übergezogenen Masken des Dialogs werden fallengelassen, stattdessen wieder jene des Konflikts angezogen. Und irgendwann, vielleicht schon bald, da wird die Maske endgültig zum Gesicht.

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Geschrieben von

Conrad Lluis Martell | conrad lluis

Forscht zur Bewegung der indignados (Empörte) und ihren Auswirkungen auf Spaniens Politik und Gesellschaft, lebt in Barcelona, liebt den Bergport.

conrad lluis

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