Die Mechanik des Krieges

Bühne "Playing Cards 1: Spades" bei der Ruhrtriennale

Die Ruhrtriennale ist ein Festival, dessen Ausrichtung bewusst vage gehalten ist. Ob Musik oder Schauspiel im Mittelpunkt steht, das bestimmen die auf drei Jahre berufenen Intendanten. Nach den vom Stadttheater geprägten Gerard Mortier, Jürgen Flimm und Willy Decker herrscht jetzt Heiner Goebbels über die früheren Zechenhügel. Von Hause aus Musiker bewegt er sich eher zwischen den Frontlinien der Sparten, ist ein Parteigänger des Performativen (auch so ein vager Begriff). Statt auf Narration oder Psychologie zu setzen, hat Goebbels das „Theater der Erfahrung“ zum Leitbegriff seines Programms erhoben. Künstler wie Romeo Castellucci, Lemi Ponifasio, Jan Lauwers und Anne Teresa Keersmaker sollten das verbürgen. Mit wechselhaftem Erfolg.

Jan Lauwers Missbrauchsstück Marketplace 76 litt trotz perfekter Balance zwischen Tragik und Komik an einem völlig überkonstruierten Katastrophenplot. Eher verrätselt kam Lemi Ponifasios szenische Installation zu Carl Orffs selten gespieltem Prometheus daher. Bisheriger Höhepunkt: Das Nature Theatre of Oklahoma mit Life and Times Episode 2. Fünf Performer erzählen den Lebensbericht einer 34-jährigen Amerikanerin nach – als durchchoreografiertes Musical. Das alltägliche Leben wird zum popkulturell überformten Konstrukt zwischen Dokumentation und Serialität.

Der Neuigkeitsfaktor in Goebbels Künstlerliste blieb bisher überschaubar, die meisten Regisseure oder Choreografen sind im weltweiten Festivalbetrieb gut verankert. Das gilt auch für den kanadischen Regisseur Robert Lepage, der in Essen Playing Cards 1: Spades zeigte, den ersten Teil einer Kartenspiel-Tetralogie.

Vier Schicksale in Las Vegas

Die Zeit: Frühling 2003. Der Ort: Las Vegas. George W. Bush hat dem Irak gerade den Krieg erklärt, und in der Wüstenstadt verschlingen sich die Lebenswege eines kanadischen Paares, eines dänischen Soldaten, eines Fernsehproduzenten und eines mexikanischen Zimmermädchens. Vier Geschichten, die sich zu einem Sittenbild der USA in Kriegszeiten formieren. Ehebruch, Sucht, Prostitution, Geldgier, Ausbeutung, sexuelle Nötigung – Las Vegas wird zum Katalysator des Menschlich-Allzumenschlichen, das durch die Folie des Irak-Kriegs den Stempel des moralisch Mangelhaften erhält – auch wenn Lepage seine Figuren nicht verurteilt.

Da wird der dänische Soldat von seinem amerikanischen Kommandanten sexuell bedrängt und inszeniert mit einer Prostituierten ein Rollenspiel, bei dem er den Tod findet. Der Fernsehproduzent Mark berichtet mit trotziger Melancholie in einem Stuhlkreis von seiner Spielsucht, muss sich später Drohungen seiner Gläubiger anhören und hat eine Affäre mit einer französischen Kollegin. Und das mexikanische Zimmermädchen, das illegal in den USA arbeitet, kann nur deshalb den Arzt bezahlen, weil sie Marks Spielgewinn findet.

So anrührend diese vier Schicksale erzählt werden, man kommt den grob geschnitzten Figuren nicht nahe. Lepages Interesse gilt eher der Verflechtung dieser Lebensläufe und dazu trägt eine Showbühnen-Arena mit kreisrunder Spielfläche bei, aus der alles von der Bar über einen Pool bis zum Hotelzimmer auftaucht und wieder verschwindet. Es ist genau diese wirkungsvolle Mechanik, mit der sich der Abend zufriedengibt. Playing Cards 1: Spades erschöpft sich im virtuosen Auffächern dieser vier Schicksale, der inhaltliche Mehrwert bleibt dürftig: Am Ende triumphiert die Show.

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