Die Menschen im Alltag erreichen

Im Gespräch Elisabeth Pott über eine Gesundheitsförderung, die die Selbsthilfe stärkt

Am Wochenende fand in Berlin der 13. bundesweite Kongress Armut und Gesundheit unter dem Motto "Teilhabe stärken und Gesundheitschancen verbessern" statt. Die 1.600 Teilnehmenden verabschiedeten eine Resolution, in er sie die baldige Realisierung des Präventionsgesetzes fordern.

FREITAG: Armut macht krank, und Kranke werden arm, das ist die Jahr für Jahr stehende Rede des Kongresses. Schaut man sich die gesundheitspolitischen Strukturdaten an, etwa die Diskrepanz der schichtspezifischen Lebenserwartung oder die Sozialhilfeabhängigkeit von Kindern, scheint es, dass sich daran nichts ändert.

ELISABETH POTT: Ganz stimmt dieser Eindruck nicht. Es gibt heute schon eine Reihe von guten und einflussreichen Projekten, die in unserer Datenbank "Gesundheitsförderung für sozial Benachteiligte" abrufbar sind und von Betroffenen mit Erfolg angenommen werden. Über 60 davon haben wir bereits als besonders qualifiziert bewertet und sie zur Nachahmung empfohlen. Nun geht es darum, sie in andere Regionen und Kommunen oder in die Regelversorgung zu übertragen. An unserem Kooperationsverbund sind mittlerweile 49 Partner aus allen Bereichen, von Krankenkassen über Wohlfahrtsverbände bis hin zu Selbsthilfeeinrichtungen, beteiligt.

Um welche Projekte handelt es sich dabei beispielsweise?
Bei Schutzengel in Flensburg geht es zum Beispiel um die frühzeitige Erkennung von Problemen in gefährdeten Familien mit Kindern oder bei jungen Schwangeren. Speziell geschulte Hebammen gehen in die Familien, um schon im Vorfeld Risiken zu erkennen und präventiv tätig zu werden. Das Projekt ist mittlerweile auf ganz Schleswig-Holstein ausgeweitet worden. Ein anderes Projekt, das ich für sehr wichtig halte, gibt es in Magdeburg. Die Eltern-AG bildet Mediatoren aus, die Selbsthilfeangebote für Familien in schwierigen Lebenslagen machen. Über diese sollen Nachbarschaftsnetzwerke entstehen, die die Eltern dann selbst in die Lage versetzen, sich gegenseitig weiter zu unterstützen.

Das wäre das, was man unter "Empowerment" in der Gesundheitsförderung versteht.
Genau, es geht darum, Menschen in problematischen Lebenssituationen zu stärken. Sie sollen in die Lage versetzt werden, die Anforderungen, die an sie gestellt werden, zu bewältigen und sich gegenseitig zu unterstützen.

Ein oft genanntes Stichwort in diesem Zusammenhang ist Niedrigschwelligkeit. Niedrigschwellig ist zum Beispiel das Magdeburger Projekt deshalb, weil man eben nicht darauf wartet, dass die Betroffenen in eine Beratungsstelle kommen und Hilfe nachfragen, sondern dass die Multiplikatoren aufsuchende Arbeit machen. Sie gehen dorthin, wo sich die Menschen aufhalten, beispielsweise in den Supermarkt oder zum Kiosk, dorthin, wo man sie in ihrem normalen Alltag erreicht.

Welche Aufgabe fällt dabei Ihrer Institution zu?
Wir haben geholfen, in allen Bundesländern regionale Knoten einzurichten. Die ersten vier Knoten wurden von uns und dem BKK-Bundesverband finanziert, zunehmend haben andere Krankenkassen sich beteiligt. Mittlerweile gibt es verschiedene Finanzierungsmodelle, zum Beispiel 50 Prozent Land und 50 Prozent Krankenkassen. Die regionalen Knoten haben uns geholfen die Datenbank aufzubauen. Mittlerweile geht es um die Weiterentwicklung vor Ort und den Transfer gelingender Projekte in andere Bereiche. Wir haben jetzt vor allem eine Unterstützungs- und Koordinierungsfunktion.

Aus der Frauenförderung kennen wir das Prinzip, dass es bei Ungleichheit bleibt, wenn Ungleiche gleich behandelt werden. Sie hatten das Beispiel genannt, dass Antiraucher-Kampagnen an Gymnasien besonders erfolgreich sind, in Realschulen weniger und die Hauptschulen kaum erreichen. Gibt es also eine übertragbare Erfahrung in der Gesundheitsförderung?
Wir als Bundeszentrale machen Angebote zur Gesundheitsaufklärung und -förderung, die wir allen zur Verfügung stellen. Diese werden von Gymnasien oder Realschulen mehr nachgefragt als etwa von Hauptschulen, weil die Lehrer dort mit sozialen Problemen so belastet sind, dass sie sich diesen Themen gar nicht zuwenden können. Insofern ist es nicht eine Frage des Angebots, sondern eine Frage der Kapazitäten der Lehrerschaft.

Das Gespräch führte Ulrike Baureithel

Professor Dr. Elisabeth Pott ist Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln.

Die Datenbank "Projekte guter Praxis" findet sich unter http://www.gesundheitliche-chancengleichheit.de oder www.bzga.de

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