War da gerade Blaulicht in der Seitenstraße? Mein Kollege von Spiegel-TV, bei dem ich im Auto mitfahre, geht in die Eisen, wirft den Lenker um und wendet. Wir fahren rein in die Gasse, nach ein paar Metern taucht eine Wiese auf. Auf der stehen 30 Neonazis, mit Schals vermummt, auf ihren Mützen prangt das Logo der Partei „Der III. Weg“. Sie sind von Polizeiautos umzingelt, eines davon hat einen Scheinwerfer auf dem Dach und wirft einen grellen Lichtkegel auf die Typen.
Es ist kurz vor elf Uhr abends im brandenburgischen Groß Gastrose, einem Dorf an der Grenze zu Polen. Ich steige aus dem Wagen und versuche, an Matthias Fischer heranzukommen, ein hohes Tier in der rechtsextremen Szene, er ist dick angezogen und steht mittendrin im Kreis seiner Kameraden. „Was
eraden. „Was hatten Sie heute vor?“, rufe ich ihm zu. Er dreht sich um, blickt mir in die Augen, wartet kurz, dann sagt er: „Geh erst mal fertig studieren.“ Seine Freunde lachen höhnisch. Der nimmt mich nicht ernst, vielleicht sehe ich zu jung für seinen Geschmack aus oder nicht „männlich“ genug, aber einem anderen Journalisten erzählt Fischer später, sie hätten heute „die Grenze ablaufen“ wollen. Nur ein kleiner Spaziergang, um sich „ein Bild der Lage dort zu verschaffen“. Auf Flüchtlinge seien sie nicht gestoßen.Manche der Männer werden von den Sicherheitsbehörden zum „erweiterten Kreis“ des NSU gezählt. Auch die Nummer von Fischer wurde im Telefonbuch des Terroristen Uwe Mundlos gefunden. Ein Beamter führt ihn zu einem Polizeiwagen, er soll sich breitbeinig davorstellen, dann wird er durchsucht. Fischer trägt ein Nachtsichtgerät bei sich; bei seinem Kameraden wird ein Bajonett gefunden. Auch eine Machete wird die Polizei sicherstellen, an einem anderen Ort, außerdem Schlagstöcke und Pfefferspray: Die Rechten haben sich in zwei Gruppen aufgeteilt und bewaffnet. Es hagelt Platzverweise von der Polizei. Wir wollen gerade los, da zischt einer der Nazis meinem Kollegen zu, dass er sich unser Kennzeichen gemerkt habe. Soll er doch, denken wir, ist eh nur ein Leihwagen. In den steigen wir ein und fahren weiter.Spaziergang mit MacheteFür diese Samstagnacht hatte der rechtsextreme „III. Weg“ dazu aufgerufen, rund um die nahegelegene Stadt Guben auf die Jagd nach Flüchtlingen zu gehen. So haben die das nicht genannt: Sie sprachen von „Grenzgängen“. In ihren Chats war zuvor von „Tausenden Illegalen“ die Rede, die über Weißrussland und Polen „in unsere Heimat strömen“ würden. Das wollten sie stoppen. Insgesamt hindert die Polizei etwa 50 Personen „aus dem rechten Spektrum“ an ihrem Vorhaben. Sie kommen nicht nur aus Brandenburg, sondern auch aus Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern und Sachsen.Anlass für das ganze Theater ist das Vorgehen des weißrussischen Diktators Alexander Lukaschenko. Dieser lockt seit dem Sommer visafrei Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten – vor allem aus dem Iran, Irak, Jemen, Syrien und Afghanistan – in sein Land, um diese dann weiter an die europäische Außengrenze zu schicken: als Rache für die Sanktionen, welche die EU nach der manipulierten Präsidentschaftswahl im August 2020 gegen sein Land verhängt hatte. Die meisten der Flüchtlinge stranden im Wald, im Grenzgebiet zwischen Belarus und Polen, weil man in Warschau und vielen anderen EU-Staaten keine Lust auf Migranten hat. Polens Parlament hat gerade erst dem Bau einer Mauer für umgerechnet 366 Millionen Euro an der Grenze zu Weißrussland zugestimmt. 3.871 „unerlaubt eingereiste Personen mit Belarus-Bezug“ hat die Bundespolizei im laufenden Jahr im brandenburgischen Grenzgebiet festgestellt. Im ganzen Bundesgebiet waren es 6.657: Gemessen an den knapp 132.000 Asylanträgen, die 2021 gestellt wurden, sind das fünf Prozent. Die konservative Presse tobt: Man lasse sich von einem Despoten erpressen, dessen Land die Wirtschaftskraft von Köln habe. Köln! Der Chef der Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, will der EU-Binnengrenze zu Polen den „Status einer Außengrenze verleihen“. Und Innenminister Horst Seehofer (CSU) schickte acht Hundertschaften dorthin: „Falls notwendig“ sollen es mehr werden. Spricht man jedoch mit den Menschen, die im Grenzgebiet wohnen – egal ob in Frankfurt (Oder), in Eisenhüttenstadt oder der kleinen Gemeinde Lebus –, sagen sie einem meist: Wir kriegen hier nichts mit von einer „Ausnahmesituation“.Placeholder image-1Am Samstagnachmittag wehen Antifa-Flaggen auf dem zentralen Platz in Guben und die hiesige SPD-Bundestagsabgeordnete Maja Wallstein hält eine Rede. Sie hat mit nur zwei Prozent Vorsprung vor der AfD das Mandat geholt. Sich hier für Ausländer einzusetzen, ist nicht einfach, das weiß sie. 1999 starb ein algerischer Asylbewerber auf der Flucht vor einer Gruppe rechtsextremer Jugendlicher. Der Vorfall ging als „Gubener Hetzjagd“ in die Annalen der Stadt ein.Jetzt also wieder ein Aufruf zur Jagd. Der Gubener Andrej, der seinen Nachnamen nicht verraten will, hat nach der Ankündigung vom „III. Weg“ ein paar Leute angerufen und eine 24-Stunden-Mahnwache organisiert. Bis morgen um 14 Uhr wollen sie hier ausharren. „Wenn diese ganze Nazi-Scheiße nicht stattfindet, können wir ja früher Schluss machen“, sagt er. Ungefähr 150 Menschen nehmen teil. Ab und zu fahren Autos vorbei, Mittelfinger strecken sich aus dem Fenster. Einer stellt sich auf den Platz und ruft: „Ich erschieße euch alle!“ Zack gibt es eine Anzeige – und bei dem etwas verwirrten Mann kullern die Tränen. Auch die rechte Dorfjugend kommt vorbei, stellt sich neben die Demo, trinkt ein paar Bier und hört deutsche Schlagermusik auf voller Pulle. Aber die Hardcore-Nazis vom „III. Weg“ tauchen nicht auf. Man könne die Mahnwache „im wahrsten Sinne des Wortes links liegen lassen“, hatte es zuvor in ihren internen Chats geheißen.Kurz mal durchatmen, ich lehne mich gegen ein Tattoo-Studio, das am Rande des Platzes liegt. Plötzlich ruft ein Mann im Innern: „White Power!“ Ein paar Minuten später kommt er, der früher ein stadtbekannter Neonazi gewesen sein soll, raus und raucht eine Zigarette. Er ist ein Skinhead, auf dem Kopf und im Gesicht hat er Tattoos und „Cuttings“: An diesen Stellen wurde ihm die Haut rausgeschnitten, damit die Narben ein Muster ergeben. Nein, er sei kein Nazi, sagt er. Die gebe es auch gar nicht, immerhin habe in Deutschland eine „Entnazifizierung“ stattgefunden. Und überhaupt, sein Motto laute: „Paragraf eins: Jeder macht seins!“ Deswegen wolle er auch mit den Typen vom „III. Weg“ nichts zu tun haben.Apropos, wo sammeln die sich eigentlich heute Abend? In einer der Nachrichten, die sie vorher an die Interessenten der „Aktion Grenzgang“ geschickt haben, stand was von 22 Uhr, aber keine Ortsangabe: Die werde erst kurz vorher mitgeteilt, weil ansonsten zu viele „Antifas oder andere Saboteure“ das Event stören würde.Nachts übers Feld stapfenDer Tätowierer weiß auch nichts Genaues, sagt er, die Polizei scheint ebenfalls im Dunkeln zu stochern. Ob das zu gefährlich für mich ist, alleine nach den Nazis zu suchen? „Na ja, die haben es ja nicht so mit der Pressefreiheit“, sagt ein Beamter, der die Mahnwache beschützt, „nehmen Sie zumindest einen Kollegen mit.“Also hin zum Reporter von Spiegel-TV und nachfragen, wie mutig er ist. Zwei Minuten später sitzen wir in seinem Mietwagen. Es ist nach Mitternacht, als wir über ein stockfinsteres Feld stapfen, vor uns erhebt sich eine alte Holzbrücke, die über die Neiße nach Polen führt; die Treppe, die mal zu ihr raufgeführt haben muss, gibt es nicht mehr. Ein Stiefel liegt auf dem matschigen Boden, rund um das Feld hatten wir Schlafsäcke und Decken entdeckt: Hier sind wohl Geflüchtete vorbeigekommen. Dann kurz ein mulmiges Gefühl im Bauch: Ein Polizist hatte vorher zu uns gesagt, wir hätten die Nazis mit unseren Fragen so provoziert, dass er „für unsere Sicherheit nicht mehr garantieren“ könne, sobald wir alleine seien. Zum Glück treffen wir neben dem Acker nur auf eine Gruppe linker Demonstranten, auf ihrem Banner steht „Europas Abschottung stoppen!“. Sie werden von mehreren Einsatzwagen beschützt. „Ist echt ein Plot Twist, dass wir uns Polizisten an der Grenze wünschen“, sagt einer von ihnen. Doch den Rechten wollen sie buchstäblich nicht das Feld überlassen.Bei der Reise durchs Grenzgebiet kommt mir immer wieder ein Gedanke: Die Medien berichten über die Flüchtlinge, die von Minsk geschickt werden, Nazis gehen auf die Jagd nach ihnen, Linke demonstrieren gegen die Nazis – dabei ist der Anlass für all das nichtig: Weniger als 7.000 Geflüchtete kommen über Weißrussland nach Deutschland und wir diskutieren über „Verhältnisse wie 2015“?Wer mit den wenigen sprechen will, die über die „Belarus-Route“ hierher gekommen sind, muss in die Erstaufnahmeeinrichtung nach Eisenhüttenstadt fahren. Da komme ich nicht rein, also gehe ich vor den Zaun, dahinter stehen sechs Geflüchtete aus dem Irak, die noch in Quarantäne sind. Er würde schon mit mir reden, sagt einer von ihnen, aber nur wenn ich ihm eine SIM-Karte kaufe: Er brauche Internet, und die anderen Typen, die hier zu ihnen an den Zaun kämen, würden sie nur abzocken. Also rein in die nahe gelegende Markthalle, dann zurück.„Wir haben sieben Nächte in der Wildnis verbracht“, erzählt der Iraker – und meint die weißrussischen Wälder vor der polnischen Grenze. „Wir durften nicht zurück nach Minsk und die polnischen Soldaten ließen uns auch nicht durch!“ Als sie es durch ein Loch im Zaun über die Grenze geschafft hatten, habe sie ein „Taxi“ abgeholt und nach Deutschland gebracht. Ein Taxi? Er benutzt den Begriff „Schlepperdienst“ nicht, uns beiden würde auch kaum das englische Wort dafür einfallen. In Frankfurt wurden sie von der Polizei aufgegriffen und hierhergebracht. Schnell noch rüber zum Pförtner und ihn nach der „Ausnahmesituation“ mit den Geflüchteten fragen. „Davon kriege ich hier nichts mit“, sagt er, „die werden ja hinten von der Bundespolizei angeliefert.“ Und Zeitung lese er nicht, keine Zeit, bei Frühschicht klingele sein Wecker um drei Uhr morgens.
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