Die Mimikry des Militärs

Tribunal Im ­Prozess gegen Ratko Mladic wird es auch um das Massaker von Srebrenica gehen, dessen Mythos bis heute das Zusammenleben der Völker im bosnischen Staat belastet

Es begann wie eine Posse. Mit einer lächerlichen Baseballmütze auf dem Kopf pöbelte Ratko Mladic bei seiner ersten Vorführung vor einem Jahr im Haager Gerichtssaal herum wie Jack Nicholson im Kuckucksnest. Ist er wirklich senil, oder war es nur Pose? Wenn, dann war es eine überzeugende. Ein befehlsgewohnter Chef, der im Altersheim landet, schnauzt auch mangels Sekretärin die Pflegerin an. Doch muss die Psychologie dieses Täters niemanden über Gebühr interessieren.

Das Gericht im Prozess gegen den früheren Generalstabschef der bosnisch-serbischen Armee – er beginnt am 16. Mai – wird es schwer haben und die Welt den Verhandlungen von Den Haag weniger Aufmerksamkeit schenken als den Prozessen gegen Anders Breivik oder gegen die mutmaßlichen Drahtzieher von 9/11. Die Serben werden angestrengt wegschauen. Trotzdem hat das letzte Verfahren des Jugoslawien-Tribunals eine wichtige Mission: Es muss die Wahrheit über das Massaker von Srebrenica herausfinden.

Damit ist nicht die Frage gemeint, ob Mladic nun 7.000 oder 8.000 Menschen umbringen ließ und erst recht nicht, ob die Getöteten vielleicht nur ein Fake sind, wie Verschwörungstheoretiker behaupten. Noch weniger geht es darum, ob Mladic wirklich der Mörder war. Es geht um das Warum. Wenn der Prozess da eine Antwort bietet, kann Bosnien daran genesen.

Das Srebrenica-Massaker im Juli 1995 hat die Beziehungen zwischen muslimischen Bosniaken und Serben, die 80 Prozent der bosnischen Bevölkerung ausmachen, nachhaltig vergiftet. Tausende bosnischer Jungen und Männer wurden damals von Truppen der Republik Srpska unter Mladics Führung getötet, obwohl UN-Blauhelmsoldaten in der Nähe waren. Das Massaker gilt als das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.

Für die Bosniaken hört die Erinnerung daran nicht mehr auf. Das Zusammenleben in einem multinationalen Staat macht diese historische Hypothek denkbar schwierig. Bosnische Serben klagen über die „Srebrenisierung“ der jüngsten Geschichte. Die Erinnerung an das Massaker sehen sie auch als Mythos, der sie moralisch in Schach hält.

Gerechte Strafe?

Mythos? Gab es das Massaker etwa nicht? Doch, natürlich, aber die bosnisch-serbische Republik Srpska gründet nicht auf diesem Völkermord, wie es in Sarajewo heute heißt. Sie entsprang vielmehr der Unmöglichkeit, dem „Staat aus drei Nationen“ eine plausible, demokratische Form zu geben. Schuld am Krieg sind alle drei Seiten zugleich: serbische, kroatische und bosniakische Politiker. Die Republik Srpska entstand Anfang 1992, mehr als drei Jahre nach dem Massaker von Srebrenica. Mladics wollte mit einer perfiden Logik verhindern, dass Bosnien wiederersteht. Er wollte das Zusammenleben in einem solchen Staat auf Dauer unmöglich machen. Wenn Bosniaken Srebrenica zum mythischen Ort erklären, spielen sie sein Spiel.

Der niederländische Richter Alphonse Orie, der im Mladic-Prozess den Vorsitz führt, hat sich bisher desinteressiert gezeigt an diesem Hintergrund. Er steht für Fairness und ein schnelles Verfahren, was bei der Verzögerungstaktik der Mladic-Anwälte geboten ist. Beim Mladic selbst geht es nicht um die Schuldfrage, die durch frühere Prozesse soweit geklärt wurde, dass an Mladics Rolle kein Zweifel besteht. Gerade das bietet die Chance, das Verfahren eben doch auf die teuflische Absicht des Massenmordes zu konzentrieren.

Der Angeklagte wird dabei nicht mitmachen. Er lässt die Welt gern in dem Glauben, er wäre damals bloß erzürnt über die Raubzüge des bosniakischen Freischärlers Naser Oric gewesen und hätte das Massaker als gerechte Strafe dafür angelegt. Aber das ist nur Mimikry. Mladic war im Krieg viel mehr Politiker als Militär. Er war es, der 1993 mit einer Rede den Friedensplan der Vermittler Cyrus Vance und Robert Owen zu Fall brachte. Schon zu jugoslawischer Zeit inszenierten sich die Generäle gern als Frontschweine und raue Landser, als ehrliche Haut gegen die windigen Etappenhengste von Politikern. Dabei war das Verhältnis tatsächlich verschoben: Die Politiker waren Geschäftsleute, die Militärs die eigentlichen Politiker. Wenn die Richter das begreifen, kann der Prozess gegen Mladic zu einem furiosen Schlusswort des Jugoslawien-Tribunals werden.

Norbert Mappes-Niediek schrieb zuletzt über die serbischen Wahlen

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