Ein junges Ehepaar wurde bald nach der Hochzeit getrennt, der Mann kam an die Front. Als die Front näher rückte, floh seine Frau Richtung Westen. Möbel und Hausrat mussten in der Wohnung bleiben, nur ein paar Fotos und Briefe konnte sie retten.
Schon im ersten Friedensjahr kehrte ihr Mann aus der Gefangenschaft zurück. Die Produkte der Nachkriegszeit, mit denen sie die nächste Wohnung möblierten, waren nur ein Notbehelf. Von den Ersparnissen etlicher Jahre schafften sie sich ein drittes Mal neue Möbel an. Mit ihnen lebte das Ehepaar jahrzehntelang, es waren solide Stücke. Fremde Möbel lernten sie kaum kennen; der Mann fand, zu Hause sei es am schönsten. Abends saßen sie oft in den bequemen Sesseln, und er las ihr vor.
Als er gestorben war, blieb die alte Frau mit den Möbeln in der großen Wohnung allein. Fast jede Nacht wurde sie wach und konnte nicht mehr einschlafen. Dann stand sie auf, wandelte zwischen den Möbeln hin und her, hielt sich an ihnen fest. Doch sie konnten ihr nicht helfen. Nach einigen Jahren musste sie ihre Wohnung aufgeben.
Die meisten Möbel wurden verkauft oder verschenkt. Mitnehmen konnte sie den Kleiderschrank, der die Spuren mehrerer Umzüge trug, eine Kommode mit dicken Beinen und die beiden Sessel. Sie wurden in ein schmales Zimmer gestellt und versuchten den Eindruck zu erwecken, sie sei noch immer daheim. Schon nach wenigen Monaten erkannte die Frau sie nicht mehr. Zuletzt wusste sie nur noch ihren Mädchennamen.
Der Schrank blieb nach ihrem Tod an seinem Platz. Die Kommode kam auf einen der langen Flure und das Sesselpaar ins Fernsehzimmer. Einige Pflegerinnen hatten noch in Erinnerung, dass die Stücke zusammengehörten. Doch das Personal wechselte immer wieder. Bald wusste niemand mehr, was es mit diesen Möbeln auf sich hatte.
Erhard Weinholz, geboren 1949 in Brandenburg/Havel, lebt in Berlin. Er ist Redaktionsmitglied der historisch-literarischen Zeitschrift Horch und Guck.
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