Die Moral der Geschichte

Kommentar Entschädigung für Apartheid-Opfer?

Ed Fagan könnte eine Lawine auslösen. Wenn der Anwalt aus New Jersey mit seinen Sammelklagen gegen renommierte Banken, die einst vom südafrikanischen Apartheid-Regime profitierten, Erfolg hat - wenn er es bis zum Gerichtsverfahren bringt -, entsteht ein Präzedenzfall, der über Südafrika hinausgreift. "Jeder, der unter der Apartheid litt, hat das Recht, einen Scheck zu erhalten", sagt der Anwalt und jongliert mit Summen bis zu 100 Milliarden Dollar, die unter anderem die Dresdner und Deutsche Bank zu zahlen hätten.
Fagan ist im Recht. Aber er wird es nie bekommen. Wenn doch, dann darf auch jeder Argentinier, Chilene oder Uruguayer, der in den siebziger Jahren von Militärdiktaturen tyrannisiert wurde, eine Entschädigung beanspruchen. Die Kontakte der Videla, Pinochet oder Bordaberry zur US-Ökonomie waren oft das Lebenselixier dieser Obristen. Interessen großer US-Firmen haben manchem Putsch-General die Hand geführt. Auch belgische oder französische Unternehmen könnten fortan belangt werden, die Opfer des Genozids in Ruanda 1994 oder der Bürgerkriege im Kongo abzufinden. Die Liste der Betroffenen einer "Lex Apartheid" ließe sich lange fortschreiben. Wird sie gebraucht?
Politisch gehandelt wird um ökonomischer Vorteile willen. Recht gebrochen auch. Dieses Axiom - noch dazu wenn es die "allgemeinen Geschäftbedingungen" von Unternehmen berührt - in Frage zu stellen, hieße die vorherrschende Wirtschaftsordnung in Zweifel ziehen. Immerhin war Südafrika trotz aller Sanktionen der UNO kein Paria der Weltökonomie, sondern deren Partner. Als Präsident Botha 1985 vor dem Staatsbankrott stand und die Schuldentilgung bei mehreren ausländischen Banken - unter anderem den jetzt verklagten - stornierte, erwuchs ihm daraus kein Nachteil. Seine Gläubiger wären nicht im Traum auf die Idee verfallen, durch Gegenmaßnahmen - etwa radikale Kreditsperren - die Apartheid in die Knie zu zwingen. Sie haben damit in der Tat Verbrechen begünstigt, die danach im Namen des Apartheid-Staates - auch dank dieser Kulanz - weiter begangen werden konnten. Begünstigung? Oder gar Totschlag durch Unterlassung?
Jedenfalls hat die ANC-Regierung nach der Machtübernahme 1994 die Schulden ihrer Vorgänger bei sämtlichen Kreditgebern bis auf den letzten Cent beglichen. Sie tat dies sicher nicht aus moralischer Überzeugung, wohl aber in der Gewissheit: Die Investoren der Botha und de Klerk waren notgedrungen auch die Investoren Mandelas. Die Moral der Geschichte blieb der "Wahrheitskommission" überlassen, die individuelle Schuld beleuchtete, ohne über das Wesen des Apartheid-Systems aufklären zu müssen. Damit war Vorsorge getroffen, die Außenhandelsbilanz oder Kreditwürdigkeit des Post-Apartheid-Staates zu schonen. Insofern dürfte auch Ed Fagan eher moralischer Sieger bleiben. Ein Entschädigungsanspruch für Apartheid-Opfer wird sich daraus nicht ergeben.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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