Im Zuge der Corona-Pandemie kommen auf den Staat enorme Ausgaben zu – für das Gesundheitssystem, für Unternehmenshilfen und Konjunkturförderung. Gleichzeitig sinken die Einnahmen des Staates, weswegen seine Schulden in die Höhe schießen. Damit fragt sich: Wer zahlt am Ende die Rechnung? Eine derzeit populäre Antwort lautet: Niemand, denn die staatlichen Ausgaben werden das Wirtschaftswachstum anheizen und so die Schulden tragbar machen. Ob das funktioniert, hängt allerdings an einer ökonomischen Maßzahl. Und die hat ihre Tücken.
Die Frage nach der „Rechnung“ für die Krise stellt sich schon allein deswegen nicht, weil Staaten ihre Schulden üblicherweise nicht wirklich zurückzahlen, sondern bloß alte Schulden mit neuen ablösen. Damit das auf Dauer funktioniert, muss allerdings sichergestellt werden, dass ein Staat jederzeit zu tragbaren Zinsen Kredit erhält. Entscheidend ist daher nicht die absolute Höhe der Schulden in Euro und Cent, sondern die Schuldenquote, also das Verhältnis von Schulden und Wirtschaftsleistung. Diese Quote kann auch bei steigenden Schulden sinken, wenn nur das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ausreichend wächst.
Was Robert Habeck und der DGB-Chef fordern
Hier setzt derzeit die Mehrheit der Ökonomen an: Statt Sparprogrammen sei nun eine Förderung des Wachstums nötig, und zwar durch „massive öffentliche Investitionen“, so der Ökonom Jens Südekum. Dem schließen sich Politik und Gewerkschaften an. So verweisen Grünen-Chef Robert Habeck und DGB-Vorstand Reiner Hoffmann auf den „Investitionsrückstand in den Kommunen – nicht sanierte Brücken, Schulen, marode Freibäder“, der sich auf 147 Milliarden Euro belaufe. Investitionen in den sozial-ökologischen Umbau, in Bildung und Infrastruktur würden auch das BIP erhöhen, auf diese Weise könne Deutschland aus seinen Schulden herauswachsen.
Ob diese Rechnung aufgeht, hängt an einer einzigen Kennzahl: dem sogenannten Fiskalmultiplikator. Er gibt an, inwieweit sich staatliche Ausgaben in eine wachsende Wirtschaftsleistung und damit in wachsende Steuereinnahmen übersetzen. Ein Multiplikator von 1 bedeutet beispielsweise, ein Euro Staatsausgaben zieht einen Euro mehr BIP nach sich. Bei einem Wert von deutlich über 1 würde die Schuldenquote trotz steigender Schulden sinken, sagt Sebastian Gechert vom gewerkschaftsnahen Institut IMK. Liege der Multiplikator deutlich höher, etwa bei 2,5, könnten sich die Staatsausgaben durch höhere Steuern komplett selbst finanzieren.
Der Haken: Wie hoch der Multiplikator ist, sei nur „schwer zu beantworten“, so Gechert. Eine Analyse von 98 empirischen Studien zu 1.800 Multiplikatorschätzungen habe „eine große Streuung“ der Werte ergeben. Denn die Kalkulation werde verkompliziert durch Messschwierigkeiten und Länderspezifika, durch die Art der staatlichen Maßnahmen und die gegebenen Umstände. Dazu kommt das „Identifikationsproblem“, also die grundsätzliche Frage, zu welchem Anteil ein Euro Wirtschaftswachstum überhaupt auf bestimmte Staatsausgaben zurückgeführt werden kann: Ist der BIP-Zuwachs einer neuen Straße geschuldet oder bloß der guten Konjunktur? Dem Ölpreis oder dem Zinsniveau? Der Ökonom Tom Krebs schreibt zwar, nach dem Zweiten Weltkrieg habe „der Ausbau des Autobahnnetzes in den 1950er und 1960er Jahren die Transportkosten erheblich gesenkt und so starke Wachstumsimpulse gesetzt“. Doch haben die Autobahnen ein bereits laufendes Wachstum bloß begleitet oder hat ihr Bau den Schub ausgelöst?
Was die Arbeitgeber wollen
Derartige Berechnungen von Kausalitäten in der Vergangenheit sind komplex und mit einer „Vielzahl von Annahmen“ zu tätigen, sagt Gechert. Umso unsicherer und noch reicher an Modellannahmen sind Berechnungen für die Zukunft, auf viele Jahre hinaus. Denn hier ist nicht nur unsicher, welche Maßnahmen die Politik beschließen wird, sondern auch, auf welche Umstände sie treffen werden. Doch vor solchen Aufgaben scheuen Ökonomen nicht zurück: Eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Auftrag des Finanzministeriums verspricht für jeden Euro an öffentlichen Investitionen bis 2024 ein Plus des BIP in Höhe von 1,6 Euro, und das sei „noch konservativ“.
Ob dieses Versprechen eingehalten wird, ist offen. Denn letztlich kranken solche Berechnungen stets daran, dass die Politik der Privatwirtschaft nur die Bedingungen des Wachstums setzen kann. Sie kann etwa Ladestationen für Elektroautos bereitstellen. Ob das E-Auto dann aber zum Wachstumsmarkt für deutsche Anbieter wird oder bloß chinesische Wettbewerber voranbringt, entscheidet die Konkurrenz auf dem Markt. Deren Vertreter melden sich daher bereits zu Wort. So fordert das Arbeitgeberlager Steuersenkungen, ein höheres Renteneintrittsalter und ein „Belastungsmoratorium“ für die Unternehmen, damit diese aus den staatlichen Investitionen Mittel ihres Geschäfts machen können. „Die Politik darf nicht immer neue Anforderungen an uns Arbeitgeber stellen“, sagt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger und verweist damit darauf, dass Wirtschaftswachstum letztlich auf dem Wachstum der Unternehmen beruht.
Investitionen wirken stärker als Steuersenkungen
Einig sind sich Ökonomen und Politiker, dass die aktuelle Krise wie auch Digitalisierung und Klimaschutz vermehrte Staatsausgaben und damit -schulden erfordern. Gerade in Krisen, so Gechert, sei eine aktive Fiskalpolitik unverzichtbar, um die gesamtgesellschaftliche Nachfrage anzukurbeln. Relativ sicher scheint auch, dass öffentliche Investitionen stärker auf das BIP wirken als Steuersenkungen und dass ihre Wirkung in schlechten Zeiten stärker ist als in guten. Insgesamt allerdings, so Gechert, kann die Forschung „keine gesicherten Erkenntnisse für konkrete Fälle liefern“.
Und so bleibt nur die Hoffnung, dass die staatlichen Investitionen Wirtschaftswachstum erzeugen, dass ökologische Investitionen dasselbe bei gleichzeitigem Klimaschutz gewährleisten und dass sozial-ökologische Investitionen dazu auch noch die öffentliche Daseinsvorsorge stärken – kurz: dass „Zukunftsinvestitionen“ die Zukunft sichern.
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