Julia Klöckner wirkt aufgeräumt, wie fast immer. Im Bundeslandwirtschaftsministerium tritt sie am Montag dieser Woche ans Mikro, schaltet ihr Lächeln an, sagt: „Schön, Sie zu sehen.“ Zu sehen sind coronabedingt vor allem Kameras, aber Klöckner guckt so fröhlich und verbindlich, als träfe sie hier im Pressesaal alte Bekannte.
Es ist diese ihre Art, die seit vielen Jahren dafür sorgt, dass Julia Klöckner, 48, für harmlos gehalten wird. Das ist ein Fehler. Klöckner ist nicht nur stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, also eine Art Nahrungsbeauftragte der Republik. Sie ist in diesem Amt zuständig für die harten, konkreten Themen, die an jedem Mittagstisch
ttagstisch für Debatten sorgen: Was wird gegessen, was nicht?In dieser Woche geht es um Tierwohl – ein agrarpolitischer Euphemismus, der versucht, das Triggerwort „Tierquälerei“ abzulösen. Es geht um Grausamkeiten, von denen Konsument:innen wollen, dass sie verboten werden. Weil Klöckner weiß, dass das Geld kostet, das viele aber nicht ausgeben können oder wollen, hat sie erst einmal eine Kommission eingesetzt. Jetzt, in einer der allerletzten Sitzungswochen dieser Wahlperiode, legt sie deren Bericht vor. Die Ergebnisse sind eindeutig. Landwirt:innen werden für gesunde, zufriedene Tiere zusätzliches Geld ausgeben müssen. Mehr Platz, besseres Futter, weicheres Stroh, Beschäftigungsmöglichkeiten für die Tiere – das alles würde die Kosten um zehn bis 20 Prozent steigern. Zahlen müssen werden dafür die Verbraucher:innen.Julia Klöckner fasst die Studie so zusammen: „Es gibt kein Recht auf Billigstfleisch.“ Der Superlativ von „billig“ soll nach Abfall klingen, den niemand gern essen würde, nach wundgelegenen Sauen und nackten Hühnern, die sich bepicken. Jetzt, da ihre Zeit im Landwirtschaftsministerium endet, erwägt Klöckner sogar öffentlich, die Mehrwertsteuer für tierische Produkte von sieben auf 19 Prozent zu erhöhen oder eine Tierwohlabgabe einzuführen. Hieße die Ministerin noch Renate Künast und käme von den Grünen – konservative Medien würden sie mit einem gigantischen Schnitzel-Shitstorm überziehen. So aber, auf den letzten Metern der Großen Koalition, ahnen selbst gutwillige Beteiligte, dass auf die schöne Studie fürs Erste nichts folgt. Klöckners Nachfolger:in wird sich um das Thema kümmern müssen.Dabei darf man bei Klöckner getrost davon ausgehen, dass ihr die Sache nicht gleichgültig ist. Sowohl persönlich als auch beruflich versteht sie einiges von der Landwirtschaft, von all den Gefühlen und Herausforderungen, die sich mit Nahrung und deren Herstellung verbinden. Aufgewachsen auf dem Weingut ihres Vaters im rheinland-pfälzischen Guldental, studiert sie nach dem Abitur Anfang der 1990er in Mainz Theologie, Politik und Pädagogik, schreibt ihre Magisterarbeit über europäische Weinbaupolitik. Dann arbeitet sie, jeweils kurz, als Religionslehrerin und als Journalistin. In diese Zeit fällt jenes Ereignis, das sie seither nicht mehr loswird. Die Winzertochter und Fachfrau Klöckner wird 1995 zur Deutschen Weinkönigin gekürt. Fotos aus der Zeit zeigen sie in farbenprächtigen Kleidern, die Krone auf dem vollen blonden Haar, ein Glas in der Hand, das Julia-Lachen im Gesicht. Wann immer seither jemand ein schnelles, flaches Urteil über sie braucht – das Siegel der altbackenen Weinkönigin reicht völlig, um sie auf menschlicher und politischer Ebene anzugreifen. Zugrunde liegt dem stets ein Stück Frauenverachtung. Die weibliche Konkurrenz verhält sich im politischen Geschäft genauso machtbewusst wie ihre männlichen Mitbewerber? Da kann ein ästhetisch und biografisch aufgeladenes Stück Geringschätzung nicht schaden.Als Klöckner 1997 in die CDU eintritt, haben Frauen noch Seltenheitswert, das Wort führen Männer wie Kohl, Vogel und Merz. Als Angela Merkel Parteivorsitzende wird, fördert sie Klöckner. Die beiden verstehen sich. 2002 wird die Rheinland-Pfälzerin Bundestagsabgeordnete, 2009 Parlamentarische Staatssekretärin im Landwirtschaftsministerium. Seit mehr als elf Jahren gehört sie dem Präsidium, also dem innersten CDU-Führungskreis, an. Bald heißt es, hier laufe sich Merkels Nachfolgerin warm.Dass sie in der Wahlperiode ab 2017 Ministerin werden würde, war dann aber nicht nur folgerichtig, Klöckner sollte über ein Amt auch eingehegt werden: Vom Herbst 2015 an hatte sie begonnen, sich von der Geflüchteten-Politik ihrer Kanzlerin abzusetzen. Im Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz trat sie als CDU-Spitzenkandidatin mit Forderungen nach einer Integrationspflicht sowie Gesetzes- und Verfassungstreue an die Öffentlichkeit, wollte Tageskontingente für Geflüchtete und Leistungskürzungen für deren Familien. Wo immer man Klöckner ein Mikrofon hinhielt, forderte sie im Namen der Frauenrechte ein Verbot der Vollverschleierung. Genützt hat es ihr nichts – Malu Dreyer wurde Ministerpräsidentin. Klöckner konzentriert sich seither auf ihre Arbeit im Ministerium.Dort leuchtet ihr Klöckner-Lächeln durch den Presseraum. Die Kommission hat errechnet, dass bessere Lebensbedingungen für Nutztiere pro Jahr drei bis vier Milliarden Euro zusätzlich kosten würden. „Wenn man es umrechnet auf eine Mahlzeit pro Tag, sind es fünf Cent“, rechnet der Studienleiter vor. Klöckner mag solche griffigen Bilder. Sie versichert, Fleisch werde kein Luxusprodukt werden. Sie glaube, dass die Verbraucher:innen bereit seien, mehr für ihre Bratwurst zu bezahlen, wenn sie wüssten, dass es den Tieren besser gehe. Die Studie ihres Hauses sagt das Gegenteil: Tierwohl gerne – aber ohne mehr Geld auszugeben. Das ist nicht mehr Klöckners Sorge. Im September wird gewählt, dann wird man weitersehen.
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