Die nehmen, was ihnen schmeckt

Im Gespräch Der US-Politologe George Friedman über einen möglichen Zerfall der Allianz zwischen Europäern und Amerikanern

Auf Vorhaltungen europäischer Regierungen wegen Unilateralismus wird in den USA häufig mit dem Hinweis reagiert, dass man eine Bündniskrise keineswegs scheue. Für George Friedman, Sprecher des Think Tanks Stratfor in Austin (Texas), ist sie kaum noch aufzuhalten. Der Politologe, Begründer des Zentrums für Geopolitische Studien an der Louisiana State University und Berater der US-Armee in strategischen Fragen, hält ein reinigendes Gewitter zwischen den Alliierten für unvermeidbar.

FREITAG: Seit Präsident George W. Bush eine "Achse des Bösen" erkannt haben will, hängt der Haussegen mit Europa schief und von uneingeschränkter Solidarität ist nur noch eingeschränkt die Rede. Wo liegen tiefere Ursachen für diese Kluft?

GEORGE FRIEDMAN: Die ergeben sich aus dem Unterschied in der Befindlichkeit: Die Europäer halten den 11. September für einen unerfreulichen Zwischenfall, aber die Welt hat sich für sie nicht wirklich verändert. Für uns Amerikaner ist seit dem 11. September alles anders.

Vielleicht sind die Europäer auch verschreckt, weil sie nicht mehr erkennen, wo für die USA al-Qaida aufhört und andere Bedrohungsszenarien beginnen. Wie kommt etwa Russland auf diese Liste jener Staaten, die mit Nuklearwaffen angegriffen werden könnten?

Es ist Teil unserer Strategie, alle möglichen Quellen für Nuklearmaterial, die al-Qaida nützen könnte, zu zerstören. Wo die USA nicht sicher sind, ob das Atomarsenal tatsächlich in sicherer Hand der Regierung ist, dort werden wir im Zweifelsfall angreifen. Und die USA sind nicht sicher, ob sich das Arsenal Russlands tatsächlich unter der Kontrolle von Präsident Putin befindet.

Können die USA denn sicher sein, dass die pakistanischen Atomwaffen unter vollständiger Kontrolle von Präsident Perez Musharraf sind? Warum ist Pakistan nicht auf dieser Liste möglicher Ziele eines US-Nuklearschlages?

Pakistan ist auf dieser Liste, aber aus diplomatischen Gründen hat die Bush-Administration es vorgezogen, das nicht zu veröffentlichen, sondern Musharraf persönlich darüber zu informieren. Ein kleiner Hinweis: Gerade wurden US-Kampfflugzeuge in Kirgisien stationiert. Die würden die Aufgabe haben, sofort einzugreifen, wenn es mit Pakistan unsicher würde. US-Truppen sind in Georgien, in Kirgisien, auf den Philippinen, in Indonesien, praktisch über ganz Asien verteilt. Das ist kein Zufall und hat nur wenig mit Saddam Hussein allein zu tun.

Das würde aber bedeuten, dass es im Falle des Falles nicht nur zu einem Schlag gegen den Irak kommen würde, sondern auch andere Staaten betroffen wären.

Genau. Meiner Überzeugung nach wird es zu einem simultanen Militärschlag der USA gegen alle Risiko-Staaten kommen. Dabei wird die US-Regierung auch keine Rücksicht auf die Gefühlslage der Europäer nehmen. Wenn die Europäer die Amerikaner immer darauf aufmerksam machen, dass sie etwa gerade dabei seien, gute Handelsbeziehungen zum Iran aufzubauen, so wird uns das dann völlig egal sein. Die USA haben genug von einer Allianz, in der leichtfertig mit dem Leben amerikanischer Bürger gespielt wird und die Europäer aus eigenen Interessen stets bremsen wollen. Mit jeder weiteren Kritik des deutschen oder des französischen Außenministers gegenüber der US-Politik kommt diese transatlantische Allianz ihrem definitiven Zerfall näher. Seit dem 11. September herrscht in der Bush-Administration die Stimmung, dass die Europäer das Bündnis mit den Amerikanern wie ein Buffet sehen. Sie nehmen, was ihnen schmeckt.

Resultieren die Vorbehalte der Europäer möglicherweise auch aus mangelndem Vertrauen in die Weisheit von George W. Bush?

Das mag sein. Vielleicht ist es so, dass George W. Bush ein Präsident war, der wegen eines Betriebsunfalls im amerikanischen System gewählt wurde. Seit dem 11. September ist das aber nicht mehr so. Die Europäer sollten nicht vergessen, dass Bush derzeit ein Spiegel für die Gefühlslage der Nation ist.

Das Gespräch führte Martin Schwarz

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