Die neue Mitte

Linke Ihr Pluralismus ist Stärke und Schwäche der Partei zugleich. Im Flügelstreit werden Rufe nach einem starken Zentrum laut

Parteien finden es ungerecht, in den Medien nur durch die Brille personalisierter Konflikte wahrgenommen zu werden. Andererseits will auch niemand in innerparteilichen Diskussionen auf die mediale Verbreitung seiner Botschaften verzichten. Doch welches Bild in der Öffentlichkeit entsteht, gerät mitunter aus der Hand.

Die Linke, die sich im Rennen um positive Aufmerksamkeit ohnehin benachteiligt sieht, hat das in den vergangenen Wochen einmal mehr erfahren müssen. Flügelstreit, inhaltliche Differenzen, strategischer Dissens und persönliche Animositäten verdichteten sich per Interview-Pingpong zum „Führungsstreit“, in dem dann bald schon wankende Parteivorsitzende und heimliche Putschisten ausgemacht wurden. Die Auseinandersetzung erschien in den Medien bloß schwarz-weiß: Pragmatiker gegen Realos, Ossis gegen Wessis, Gewerkschafter gegen sonstwen.

Die in die Kritik geratenen Parteivorsitzenden haben inzwischen von einer „munteren Debatte“ gesprochen und entschuldigend darauf verwiesen, dass es noch eine andere Wahrheit über die Linke gibt, eine in der tausende Mandatsträger, stabile Umfragewerte und große Übereinstimmung vorkommen. Das ist so richtig, wie es über die Probleme nicht hinwegtäuschen kann: Während die Gesellschaft in Bewegung gerät, wofür Sarrazin-Diskurs, Stuttgarter Bahnhofsprotest und Grüner Höhenflug nur drei Beispiele sind, verharrt die Linke in ihren eigenen Kompromissen.

Die Sorge, die Partei könnte auseinander brechen, mag verständlich sein, ein guter Ratgeber ist sie nicht. Zumal die mit dem „Bruch“ verbundene Logik des Entweder-Oder falsch ist. Es dürfte gar nicht darum gehen, umstrittene Fragen wie die nach den Haltelinien beim Mitregieren, nach dem Arbeitsbegriff oder der Rolle des Eigentums zugunsten einer Seite zu entscheiden. Es ginge eher um ein entschlossenes Sowohl-als-auch, um eine dialektische Auflösung von Widersprüchen, um einen Schritt nach vorn.

Angebote sind gemacht

Angebote dazu sind gemacht, die Linke diskutiert so umfangreich und interessant wie keine andere Partei über Programm und Strategie. Nur dringt das kaum über ihren Tellerrand, ja noch nicht einmal in alle Winkel der Basis. Die Linke hat zwar eine nach dreifachem Proporz ausgemendelte Führung. Aber kein Kraftzentrum, das den Vorteilen des politischen Pluralismus zur Geltung verhilft und die eigengesetzlichen Nachteile der Flügelvielfalt begrenzt.

Dass die Rufe nach „mehr Zentristen“ (Fraktionschef Gregor Gysi) jetzt vor allem von den so genannten Realos kommen, sollte in den anderen Strömungen nicht gleich als Versuch der Übervorteilung betrachtet werden. Wer wie Ex-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch „Blockaden in der Parteiführung“ beklagt, könnte auch anderes im Sinn haben als Rache für seinen vor Jahresfrist erzwungenen Rückzug. Zumal selbst „Regierungslinke“ wie Berlins Landeschef Klaus Lederer das organisierte Reformerlager kritisch sehen und fragen: „Gibt es in dieser Melange der Strömungen genügend Kraft für eine produktive Neuorientierung der Partei?“

Die Erkenntnis, dass Strömungen zwar wichtig sind, aber dazu tendieren, im Ringen um machtpolitische Ressourcen und „Wahrheit“ eine Partei als Ganzes zu blockieren, hatte schon vor einem Jahr in der Linken ihre Anhänger – auf allen politischen Flügeln. Da war der Auftrag, eine Parteidebatte zu führen, in der selbstkritisch die Rolle der Strömungsorganisationen auf den Tisch kommt, schon ein paar Monate alt. Nun ist er noch ein bisschen älter.

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