Die neue SPD

Höhenflug Die Grünen wachsen nicht durch Zulauf aus dem "bürgerlichen Lager", sondern auf Kosten der Sozialdemokratie. Doch dem Erfolg ist eine Enttäuschungsgarantie eingeschrieben

Es birgt eine besondere ­Ironie, dass in Baden-Württemberg ein Grüner als aussichtsreicher Gegenkandidat zu Stefan Mappus gehandelt wird, der so schwarz-grün ist wie kein Zweiter. Winfried Kretschmann hat auch nie einen Hehl daraus gemacht. Auch der schwärzeste Grüne muss inzwischen aber zugestehen, dass die Grünen offenbar am stärksten sind, wenn das gute alte rot-grüne Lager mit den guten alten Wirtschafts-, Energie- und Gerechtigkeitsthemen mobilisiert wird. Es reicht wohl doch nicht zum Politikmachen aus, sich Sonntagmorgens im Kinder­gottesdienst und abends in der Oper zu treffen.

Sämtliche Erkenntnisse, die den Grünen über Herkunft und Ursache ihrer Traum-Umfragewerte vorliegen, bestätigen das Bild, das sich bereits zur Bundestagswahl ergab: Am meisten gewinnen sie bei der Nichtwählerschaft – soweit dies erhebbar ist, kommt der Zuspruch von Leuten, die früher einmal SPD gewählt haben. Der zweitgrößte Teil der grünen Zuwächse ist der SPD unmittelbar aus dem Fleisch geschnitten.

Erst mit großem Abstand folgen Zugewinne auf Kosten der Union, der FDP und der Linken. Letztere erfährt auf diese Weise auch, was – abgesehen von internen Zwistigkeiten – ihr Problem ist: Die Grünen nehmen den Linken nicht bloß die frustrierten SPD-Anhänger, sondern auch die Nichtwähler weg.

Selbst in der Generation 60plus, die bislang für Grüne kaum erreichbar war, wächst die Zustimmung. Dies sollte die SPD besonders beunruhigen, scheint sie doch zu glauben, am Ende vom Boom des rot-grünen Gedankens profitieren und an den Grünen wieder vorbei­segeln zu können.

Insofern sieht es gegenwärtig tatsächlich so aus, als würden die Grünen nicht etwa die neue FDP, sondern die neue SPD: eine ökologische Drittel-Volkspartei mit Koch- statt Kellner-Anspruch. Enttäuschungsgarantie inklusive – niemand weiß besser als die Grünen, dass es zum Zeitpunkt der Landtagswahl in Baden-Württemberg auch zu spät sein könnte für eine Verhinderung von Stuttgart 21, dem ungeliebten Bahnhofsumbau. In Berlin mag es für eine grüne Bürgermeisterin Renate Künast 2011 übrigens auch zu spät sein für ökologische Veränderungen am Riesen-Flughafen BBI. So wie es in Hamburg zu spät war für die Verhinderung des Kohlekraftwerks Moorburg, so wie es in Nordrhein-West­falen – aus allerdings anderen Gründen – zu spät ist für eine beherzte Bildungsreform.

Auch wenn manch grüner Stratege entgegen aller öffentlichen Bescheidenheits-Koketterie sich bereits den Zuschnitt eines Bundeskabinetts unter einem Kanzler Jürgen Trittin zurechtlegt – bis 2013 hat nicht nur die Bundesregierung viel Zeit, sich von der Konjunktur aus dem 35-Prozent-Loch ziehen zu lassen. Die Grünen haben auch viel Zeit, ihre Wähler in den Bundesländern vor den Kopf zu stoßen.

Frühzeitig werden sie eine Tugend einüben müssen, wie sie zuletzt die Hamburger Schulsenatorin Christa Goetsch vorführte: Sie litt so authentisch darunter, den Volksentscheid für die Schulreform verloren zu haben, dass die Niederlage sich – zunächst – nicht auf das Umfragekonto der Hamburger Grünen auswirkte. Jedenfalls dies wäre dann ein nachhaltiges Überbleibsel des schwarz-grünen Projekts: glaubwüdigkeitserhaltend Bedauern an den Tag zu legen.

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Geschrieben von

Ulrike Winkelmann

Ressortleiterin Politik

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